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Geschwister-Scholl-Preis 2020 für Dina Nayeri

Der Kulturausschuss des Stadtrats der Landeshauptstadt München und der Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e. V. haben beschlossen, den mit 10.000 Euro dotierten Geschwister-Scholl-Preis 2020 an Dina Nayeri für ihr Buch Der undankbare Flüchtling (Kein & Aber) zu vergeben.

Mit dem in diesem Jahr zum 41. Mal vergebenen Geschwister-Scholl-Preis wird jährlich ein Buch ausgezeichnet, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben.

Jurybegründung:

„Die iranisch-amerikanische Schriftstellerin Dina Nayeri erinnert mit ihrem Buch Der undankbare Flüchtling an eines der wichtigsten globalen Themen unserer Zeit: Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) waren im vergangenen Jahr weltweit 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht. 26 Millionen von ihnen flohen aus ihrer Heimat vor bewaffneten Konflikten, Kriegen oder schweren Menschenrechtsverletzungen. Die Zahl der Geflüchteten nimmt seit Jahren beständig zu und wird nicht zuletzt mit den wachsenden Auswirkungen des Klimawandels weiter steigen.

Die Schriftstellerin und Publizistin Dina Nayeri – 1979 in Isfahan geboren – erzählt aus persönlicher Perspektive von dieser großen Geschichte. Im Kindesalter wurde sie selbst zur Geflüchteten, die Familie bekam schließlich Asyl in den USA. Die eigene Biographie verbindet Dina Nayeri mit anderen Fluchtgeschichten unserer Zeit. Sie berichtet – einfühlsam und eindringlich – von Menschen, die vor Verfolgung, Kriegen und Bürgerkriegen fliehen, in der Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Freiheit. In diesem Sinn gibt ihr Buch dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse und fördert moralischen wie auch intellektuellen Mut.

In der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte wie auch mit den Biographien der Geflüchteten in unserer Gegenwart richtet Dina Nayeri unsere Augen immer wieder auch auf die schwierige Situation in den Ländern der Ankunft. Denn die Migrant*innen – so ihre Überzeugung – bleiben Migrant*innen. Sie sehen sich konfrontiert mit einer Vielzahl von Vorbehalten, in den Behörden, bei denen sie um Aufnahme bitten, ebenso aber auch in den Gesellschaften, in denen sie leben wollen. ‚Migranten‘, so schreibt Dina Nayeri, ‚verbringen den Rest ihres Lebens damit, darum zu kämpfen, dass man ihnen glaubt.‘ Diese neue und wichtige Perspektive macht ihr Buch – Dokument einer Welt in Aufruhr – so besonders. Aus diesem Blick kristallisiert sich zugleich eine Erfahrung, die für zahllose Fluchtschicksale stehen kann, in allen historischen Epochen.

Für die Aufnahme in eine Gesellschaft, so Dina Nayeri, werde Dankbarkeit erwartet – und der zukünftige Verzicht auf die eigene Identität und Kultur. Wir haben keine Schuld zu begleichen, sagt die Schriftstellerin im Gespräch. Der Handel, den sie hier beschreibt, ist nicht neu und erinnert an die schmerzhaften Aufnahmeprozesse von Jüdinnen und Juden in die europäischen Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. Deren rechtliche Gleichstellung nach Jahrhunderten der Diskriminierung wurde an die Aufgabe ihrer jüdischen Identität und der mit ihr verbundenen kollektiven Strukturen gebunden und – nicht zuletzt – an Dankbarkeit.

Dina Nayeri führt ihre Leserinnen und Leser zur Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, in einem anderen Land zu leben, in Sicherheit zwar, doch immer unter Vorbehalt und zur steten Dankbarkeit verpflichtet. Ihr Buch Der undankbare Flüchtling ist damit ein Plädoyer, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen. In den Flugblättern der Weißen Rose finden sich die wichtigen Forderungen, jeder Einzelne habe ein Recht auf einen ‚brauchbaren und gerechten Staat‘ sowie auf die ‚Güter der Welt‘. Dina Nayeris Buch ist in dieser zutiefst humanistischen Überzeugung geschrieben.“

Dina Nayeri wurde während der Islamischen Revolution im Iran geboren und emigrierte als Zehnjährige in die USA. In Princeton absolvierte sie ihren BA, in Harvard ihren MBA und Master of Education. Sie hat zwei weitere Romane geschrieben, Drei sind ein Dorf (2018) sowie das Debüt Ein Teelöffel Land und Meer (2013), das in 14 Sprachen übersetzt wurde. Dina Nayeri wohnt in Paris.

Der Jury unter dem Vorsitz von Kulturreferent Anton Biebl und Michael Then, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e. V., gehörten 2020 an: Patrick Bahners (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Niels Beintker (Bayerischer Rundfunk), Andreas Isenschmid (Journalist, Literaturkritiker), Margit Ketterle (Droemer Knaur), Michael Krüger (Schriftsteller und Publizist), Thomas Rathnow (Penguin Random House), Dr. Michael Schmitt (3sat / Kulturzeit), Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky (LMU / Institut für Soziologie), Prof. Dr. Mirjam Zadoff (NS-Dokumentationszentrum) und Sonja Zekri (Süddeutsche Zeitung) sowie von Seiten des Stadtrats Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste), Leo Agerer (Fraktion der CSU) und Kathrin Abele (Fraktion SPD/Volt). Beratende Mitglieder waren neben Dr. Hildegard Kronawitter (Weiße Rose Stiftung e. V.) die Stadträtin Mona Fuchs (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste) und der Stadtrat Rudolf Schabl (Fraktion ÖDP/FW).

Die Verleihung des Preises ist am Montag, 30. November, um 19.00 Uhr, in der großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München geplant und ist abhängig von der dann aktuellen Pandemie-Lage. (Geschlossene Veranstaltung).