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25.11.2025, 11:13 Uhr
Julia Pasko
Text & Debatte

Gedichte von Julia Pasko

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© Julia Pasko

Die in Moskau geborene und in Augsburg lebende Literaturwissenschaftlerin Julia Pasko, die über Intertextualität bei Elfriede Jelinek promovierte, betreut am Bayernkolleg Augsburg nicht nur das Projekt Zukunft öffnen, in welchem sich Schülerinnen und Schüler dichtend mit der Welt auseinandersetzen. Seit 2022 schreibt sie auch selbst Gedichte, die hier im Literaturportal Bayern nun erstmals schriftlich der lesenden Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Julia Paskos Poesie besticht durch eine wahrnehmungsgenaue, klare und schnörkellose Sprache, in der das Spannungsverhältnis des Individuums zu der sich immer wieder entziehenden, bedeutungsverrückenden Welt spürbar wird. Die Texte sind von der Dichterin lyrisch-kompositorisch in „Spiegel-Kapiteln“ angelegt. Die Redaktion des Literaturportals stellt hier aus zweien dieser Kapitel jeweils eine kleine Auswahl an Gedichten vor.   

*

Kapitel „ich und ich“

I.

der spiegel ein rahmen
mein gesicht darin ein leinen
ich stehe vor der zeit
der großen künstlerin
und sehe ihr beim malen zu
sie malt mein porträt
jeden tag jede stunde jede minute
unermüdlich
mit großem geschick und feinem talent
pinselstrich für pinselstrich
ihre palette bunt
ihre bewegungen präzis
ihr auge streng
es ist eine harte arbeit
denn jede veränderung muss sichtbar sein
lächeln tränen
kummer zweifel
alles muss abgebildet werden
in falten und linien
in spitzen mundwinkeln
in schalen auf den wangen
im silbernen spinnennetz auf dem haar
ich stehe vor der zeit
der großen künstlerin
und sehe ihr beim malen zu
der spiegel ein rahmen
mein gesicht darin ein leinen
wann ist das porträt wohl fertig?

II. 

manchmal falle ich raus
und verliere den faden
der mich gerade
mit dieser welt verbinden würde
alles wird zu einer hürde
sogar der eigene körper ist mir fremd
als ob er ständig klemmt
ich spüre ihn kaum
aus dem spiegel im waschraum
schaut auf mich jemand
den ich fürchte und nicht erkenne
am liebsten möchte ich wegrennen
aber ich weiß -- es wird nicht klappen
so nehme ich einen lappen
und wische den spiegel
der meinen doppelgänger verriegelt
das bringt nicht sehr viel
ich bin trotzdem nicht ich und will
zu mir zurück
zu meinem glück
es hängt gerade an diesem faden
der mich mit dieser welt verbindet
immer noch

III.

von der welt bin ich nun isoliert
durch eine glaswand
sie ist blitzblank poliert
und niemand sieht niemand versteht
dass der bund zwischen mir und der welt
nicht mehr besteht
zerrissen ist jenes band
das mich einst mit dieser welt verband
meine faust versucht vergeblich
die glaswand zu brechen
mit hilfe von außen kann ich kaum rechnen
hinter der glaswand bin ich allein
das wird wohl lange noch so sein
weil niemand versteht niemand sieht
was hinter dieser glaswand mit mir geschieht...

IV.

seit einer gewissen zeit
bin ich stets tränenbereit
tränen gibt es allerlei
für jeden geschmack
da mag einer nehmen was er mag:
eine träne für freude
eine träne fürs leid
eine träne für freunde
eine träne für 'nen feind
eine träne für eltern
eine träne fürs altern
eine träne für die welt -
ob sie deshalb länger hält?
eine träne fürs kind
das ich mal war
das ich nie mehr find'
denn es ist einfach
nicht mehr da

V.

wer anderen eine grube gräbt
fällt selbst hinein
nun okay fein
hier haben wir zwei in einem:
ich bin nämlich dieser „wer“
der gräbt
der einen anspruch darauf erhebt
in die selbstgegrabene grube zu fallen
wie einst alice ins kaninchenloch
alles in allem
bin ich dieser „wer“
der langsam in die grube fällt
und gar nicht weiß
wo er landet
sich nach einem halt sehnt
aber jede hilfe ablehnt
der sich an seine bilder klammert
sich daran festhält
oft vergangenheit statt zukunft wählt
diese bilder sind nichts als nebel
sie lösen sich auf
in den rauchwolken der raupe
ihr darf man nicht glauben
alles nur betrug
im fall-flug
spiele ich mit der herzkönigin karten
ihre majestät ist ungeduldig und wartet
auf ihren gewinn -- nicht ohne sinn
denn ich habe mein leben aufs spiel gesetzt
für die herzkönigin bedeutet es nicht sehr viel
zudem kennt sie meine karten und will
mich betrügen
kein wunder alle lügen
auch im kaninchenloch
auch humpty dumpty und grinsekatze
die mit ihrer grimmigen tatze
immer in die falsche richtung zeigt
doch ich gehe mit unserer zeit
die von mir isst und trinkt
und mit mir immer tiefer sinkt
in die grube
die ich mir selbst grub
hoffentlich ist das nicht mein grab

kapitel „ich und du“

I.

lieben hat einen buchstaben mehr als leben
weil lieben das leben größer macht
weil leben ohne lieben keinen sinn hat
weil lieben über das leben hinausreicht
es überdauert
es fortsetzt
es erweitert
bis ins unendliche

II. 

ich sah mich im traum
ich wäre ein haus
und alles war in mir
und ich war in allem
ich ging durch das haus
es gab viele räume
im ersten die freunde
sie lachten und tanzten
und sprachen und sangen
und winkten mir zu
ich ging aber weiter
ich ging durch das haus
und sah meine eltern
sie saßen am tisch
der tisch war gedeckt
schön reichlich und festlich
sie haben geschwiegen
ich wusste sie warten
bis ich endlich komme
ich ging aber weiter
ich ging durch das haus
und sah eine halle
ein großes theater
mit riesiger bühne
und einem orchester
da warn viele menschen
sie klatschten begeistert
ich kannte das stück
die musik war vertraut
ich ging immer weiter
ich ging durch das haus
ich suchte nach etwas
mit sehnsucht und trauer
eine treppe war vor mir
sie führte nach oben
zum sonnigen dach
höher und höher
heller und heller
ich schwebte im licht
ein offenes fenster
und vor dem fenster
dort steht jemand
mit dem rücken zu mir
vom lichte umrahmt
ich spüre ich ahne
wer das ist
......................
ich wache auf
ich bin allein
und doch sehr glücklich
denn ich weiß es warst DU

III.

ich wäre gern eine mandel
die im himmel
von sonne zu mond wandert
und licht-vergoldet
in deine hand landet
ich wäre gern eine lindenblüte
die ihre sinnlichen düfte
einem waldbach zuflüstert
bevor er in deinen sommerfluss mündet
ich wäre gern ein gedicht
das alle deine sinne sucht
sich aber leicht liest
sich jeden tag neu schreibt
und trotzdem immer deins bleibt
ja, das wäre ich gern...

IV.

ohne dich bin ich einsam
doch wenn du mir schreibst
bin ich zweisam
du und ich
wir stehen beide
an ufern eines flusses
und bauen eine brücke
du und ich
wir schauen uns ins gesicht
jede zeile ein stein
jede zeile ein schritt aber klein
so bauen wir an unserer brücke
sie wird länger
stücke für stücke
der fluss ist jedoch breit
bis zum treffen ist es zu weit
wir brauchen noch viel zeit
vielleicht ein ganzes leben
bis zum vergeben
bis zum vergehen
in unserer einsamkeit
in unserer zweisamkeit

V.

du sagst ich habe zu wenig geduld
weißt du wer ist daran schuld?
es ist meine herzuhr
bedenke nur
ihre minute hat hundertzwanzig pulssekunden
ein tag dauert ganze achtundvierzig stunden
es ist ein segen wirst du mir sagen
von wegen!
meine herzuhr folgt einem strengen gesetz
diese pulssekunden sind oft ein schmerz
schau du bist zwei tage verreist
und schon ist die zeit wie vereist:
vier tage vergehen statt zwei
meinst du ich mache spaß? o nein!
warte ich auf einen anruf von dir
spielt die herzuhr ihre spielchen mit mir:
aus fünf minuten werden plötzlich zehn
was soll das? wie kann man das verstehen?
aber eins muss ich dir noch erzählen
die kehrseite der medaille darf doch nicht fehlen
manchmal geht es fast umgekehrt
weil meine herzuhr einiges „vermehrt“
ein blick von dir freude hoch zwei
ein wort von dir mein doppeltes glück
ein treffen mit dir ein leben für mich
meine herzuhr ein segen? wer weiß...
aber ein fluch ist sie nicht
............
ich frage mich manchmal
wer meine herzuhr in der hand hält...
und habe ich nun doppelt mehr
oder doppelt weniger zeit auf dieser welt?

**

Julia Pasko wurde 1985 in Moskau geboren. Sie studierte Germanistik, Linguistik und Fremdsprachendidaktik, 2011 promovierte sie über Intertextualität bei Elfriede Jelinek. Bis 2023 unterrichtete sie Deutsch als Fremdsprache, hielt Vorlesungen und Seminare zur deutschsprachigen Literatur, Geschichte und Kultur Deutschlands. In diversen Fachzeitschriften erschienen von ihr Studien zu Elfriede Jelinek, Ulla Hahn, Ljudmila Ulitskaja, Boris Pasternak und Marina Zwetajewa. Zudem beschäftigte sich Julia Pasko mit Projekten zur Popularisierung der deutschsprachigen Kultur und Literatur. Seit 2023 lebt und arbeitet sie in Augsburg. Seit 2022 schreibt sie Gedichte, einige davon wurden von ihr im Rahmen ihres Lyrikabends in Werder (Havel) im August 2024 präsentiert.