Zur Entstehung des kollektiven Theaterprojekts „This Plot is not for Sale“ (III)
Das Projekt mit dem Arbeitstitel Land of Tropes entstand als ein kollektives, fünfsprachiges Theaterprojekt über Erinnerung, Zugehörigkeit, Postkolonialismus und Schuld. Es wird derzeit unter der Leitung des NMT (Netzwerk Münchner Theatertexter*innen) in Nairobi und München sowie im digitalen Raum realisiert und am 31. Oktober 2025 bei
SPIELART unter dem Titel This Plot is not for Sale uraufgeführt. Das Literaturportal Bayern begleitet diese spannende herausfordernde Projektarbeit sowohl in Hinblick auf die Aufführung im Herbst berichtend als auch im Vorfeld fördernd, indem es die drei maßgeblich beteiligten Autorinnen und Autoren gebeten hat, über ihre Arbeit und die dazugehörigen sprachlich-kulturellen Bewusstseinsprozesse in essayistischer Form zu reflektieren.
Der dritte Beitrag stammt von der in Fürth geborenen und in München lebenden Theatermacherin und Autorin Theresa Serphin.
*
HOW TO WRITE (WITH) WHITE GUILT
How to write „weiße Frau in Afrika“?
Kathi tritt nicht einfach nur auf, sie macht einen Auftritt. Sobald sie da ist, ändert sich der Raum. Sie hat eine Art, ihre dicken blonden Haare über die Schulter zu werfen, dass man nicht anders kann, als staunen. Sie bewegt sich mit der Freiheit und Lässigkeit einer Person, die sich nie unterordnen musste. Die nie fehl am Platz war. Nie zu viel oder zu wenig. Sondern immer genau richtig.
Das sind einige der ersten Sätze, die ich über meine Figur, Kathi, für THIS PLOT IS NOT FOR SALE geschrieben habe. Kathi hatte für mich von Anfang an eine Leichtigkeit, eine Flatterhaftigkeit, die man sich leisten können muss. Die NGO-Gründerin mit ausgeprägtem Saviour-Complex. Eine dieser weißen Frauen, denen viele schon beim Anblick unterstellen, von jedem Schicksal verschont worden zu sein. Deren reines Auftreten, sei es auf einer Theaterbühne oder im Bekanntenkreis, viele mit Neid und Abscheu erfüllt. Neid darüber, wie jemensch ohne eigenes Dazutun quasi den Live-Hack schlechthin serviert bekommen hat: schön, gesund, reich, weiß, hetero – check. Abscheu wiederum gegenüber Kathis Blindheit für strukturelle Ungleichheit und einer Naivität, die in Sekundenschnelle zur Waffe gegenüber Schwächeren werden kann.
Genau wegen dieser schwelenden Brutalität, diesem steten Potential der Figur in ihrem Sprechen gewaltvoll zu werden, hatte ich, gerade als weiße Autorin, große Hemmungen, mich ihr überhaupt psychologisch nähern; geschweige denn, sie selbst sprechen zu lassen. Zu groß war die Sorge vor der Reproduktion rassistischer Gewalt. Reichte es nicht, sie anzusehen? Reichte es nicht, ihren Habitus auszustellen und diesen Prototyp „weiße Frau in Afrika“ ohne jede Figurenpsychologie ad absurdum zu führen?
Es wäre so einfach, Kathi in ihrem rassistischen und kolonialen Blick auf Kenia bloßzustellen. Es wäre so einfach, gerade in einem satirischen Setting wie wir es für THIS PLOT IS NOT FOR SALE entworfen hatten, Kathi dem Publikum zum Fraß vorzuwerfen. Liebend gerne würden – gerade deutsche weiße Zuschauer*innen – sie fressen, sie verlachen und so sicherstellen, dass sie sich von Kathi unterscheiden. Dass sie selbst ganz anders sind als sie: weniger rassistisch, weniger durchschaubar, viel awarer.
Die Regel, zu der ich während dieses Schreibprozesses immer wieder zurückkehren musste, ist: liebe deine Figur. Es gab Momente, in denen ich nur sagen konnte: „Ich finde Kathi ganz furchtbar. Ich ertrage sie eigentlich nicht.“ Und meine Kolleg*innen mir widersprachen: „Wir sind Fans! Wir wollen immer mehr von ihr.“
How to write through shame
Dann war ich reisen. Beim Reisen siehst du viele Dinge. Andere Menschen, andere Kulturen. Das siehst du alles, aber vor allem siehst du dich selbst. An der Art deiner Erschöpfung spürst du, wo du herkommst. An den kleinsten Bedürfnissen, wie dem nach Ruhe, erkennst du, in welchem Luxus du groß geworden bist. Durch die Art, wie dein Magen sich krampft, verstehst du, was Fremdheit bedeutet.
Die ersten eigenen Sätze von Kathi brachten mich zurück zu meinen Erinnerungen als Backpacking-Reisende Anfang des Studiums. Wie ich als weiße Frau durch Indien reiste. Immer mit dem Versuch, das Land fernab von Tourismus zu erleben, den Menschen „auf Augenhöhe“ zu begegnen. Momente, in denen ich erstmals die Erfahrung machte, sichtbar weiß zu sein. Als weiße Backpacking-Reisende wirst du besser behandelt als Nicht-Weiße, aber du zahlst auch mehr für Alltägliches, du bist ein beliebtes Ziel von Trickbetrüger*innen oder kannst dich vor Heiratsanträgen kaum retten. Du wirst zur Repräsentantin von Macht und Wohlstand.
„Im Schauspiel“, so erklärte mir ein*e Kolleg*in, bei dem*der ich vorbereitend für unser Projekt Unterricht genommen habe, „gibt es für das Spielen von Status eine einfache Regel: Den König spielen die Anderen. Das bedeutet für das Spiel, dass ich selbst – als Königin – gar nichts tun muss um meinen mächtigen Status zu beweisen oder zu zeigen. Sondern allein die Art, wie meine Mitspielenden mich behandeln, macht sichtbar: Ich bin die Königin.“ Diese Formel beschreibt das Bewegen eines weißen Körpers durch eine ehemals kolonisierte, mehrheitlich Schwarze oder Coloured-Gesellschaft genau. „Hey Muzungu, hey Weiße“, riefen Kenianer*innen mir und meinen Kollegen auch bei unserem ersten Aufenthalt in Nairobi zu.
Es war hier, dass sie mich zum ersten Mal überkommen hat, die weiße Schuld. Diese Krankheit, die dir die Kehle zuschnürt. Die dir die Dankbarkeit raubt und dich lähmt.
Kathis erstes Sätze habe ich im Rausch geschrieben, in einem Augen-zu-und-durch-Modus. Du weißt, dass du etwas aussprechen, benennen musst, und hast gleichzeitig schon beim Gedanken daran eine große Angst. Die Angst vor dem Aussprechen ist die Angst davor, mit dem Ausgesprochenen alleine zu bleiben. Dass mensch im Sprechen eben kein Kollektiv, sondern nur sich selbst entblößt. Dass die Gedanken und Gefühle, die gesellschaftspolitische Erfahrungen in mir auslösen, eben nicht strukturell sind, sondern mein eigenes Problem: mein Rassismus, meine Verachtung, meine Ignoranz, mein Abgrund. Der Song I wish my father hurt me ist dabei entstanden.
I wish my father hurt me.
I wish I grew up poor.
I wish we are from DDR.
I wish I knew torture.
I wish my parents were divorced.
I wish I was LGBQueer.
I wish I had a lethal desease
and fight it without fear.
But destiny was so good to me.
And history looks so pale on me…
Wenn ich meinen weißen Freund*innen von meiner Auseinandersetzung mit Kathi erzählte, stellte sich ein besonderer Effekt ein. Viele von ihnen teilten Geschichten und Erfahrungen mit mir, die ich – auch wenn wir uns sehr nah waren – noch nie gehört hatte. Es waren beinah Geständnisse, über Gefühle der Scham, Ohnmacht, Überforderungen mit den eigenen Privilegien umzugehen oder Geschichten über die Backpacking-Reise, das Work-and-travel-Jahr, das mensch „heute ja gar nicht mehr so machen würde, aber früher, oh je, eben doch gemacht hatte.“ Wir teilten – manchmal zum ersten Mal – Geschichten und Erfahrungen des Weißseins.
Diskriminierungs- und besonders rassismuskritische Diskurse in Deutschland konzentrieren sich unter weißen Deutschen vornehmlich auf den Begriff des Allyship. Damit wird meistens das öffentliche Einstehen für und die Unterstützung von rassifizierten Personen verbunden. Die Nabelschau, die Selbstreflexion, die für eine funktionierende Solidarität mindestens genauso entscheidend ist, bleibt im Hintergrund. Dabei kann es nicht nur Aufgabe Schwarzer Intellektueller wie Alice Hasters, Tupoka Ogette oder Sharon Dodua Otoo sein, die Rassismen der weißen Dominanzgesellschaft zu reflektieren.
Was ich also mit Kathi versuchte, war, das eigene Weißsein zu benennen. In dem Wissen, dass ich mit ihm nicht alleine bin. Wer schaut, wenn Kathi auf Kenia schaut? Welche historischen Narrative prägen ihren Blick?
How to write about Africa
Ein Text, den mir meine Ko-Autorin Ursula Gisemba früh vorgestellt hat und der mich seitdem begleitet, ist der Essay How to write about Africa des kenianischen Autors Binyavanga Wainaina. "In your text, treat Africa as if it were one country. It is hot and dusty with rolling grasslands and huge herds of animals and tall, thin people who are starving... Make sure you show how Africans have music and rhythm deep in their souls, and eat things no other humans eat”, spitzt Binyavanga den weißen Blick auf den afrikanischen Kontinent satirisch zu. Wir gaben den Essay auch unseren Studierenden des Seminars Politisch Schreiben an der LMU München zu lesen. „Wie ging es euch mit diesem Text?“, fragen wir in der nächsten Sitzung in den Raum voller weißer Studierender. Es ist lustig, sagten die einen. Es ist überzogen, sagten andere. Es bedient sich aller Klischees, die es von Afrika so gibt. Dann, nach einer kurzen Pause meldete sich eine Studierende und sagt: „Ehrlich gesagt ging es mir nicht gut beim Lesen. Ich habe mich in meinem Blick sehr erkannt gefühlt. Auch wenn man sicher nicht alles denkt und nicht alles auf einen zutrifft. Aber früher oder später kriegt er dich.“
Wie also eine weiße Frau in Kenia schreiben, ohne permanent Stereotype zu reproduzieren? Wie den weißen Blick sichtbar machen, ohne ihn gleich der Lächerlichkeit Preis zu geben? Wie die Verschränkung von struktureller Macht und individueller Ohnmacht zeigen?
Das Bemerkenswerte an der „weißen Frau in Afrika“, wie wir sie aus Filmen wie Jenseits von Afrika, Nirgendwo in Afrika oder Die weiße Massai kennen, scheint mir, dass wir sie meist in ihrer Faszination für „das Andere“ kennenlernen. Ihre Sehnsüchte, aber auch ihre Konflikte und ihr Wohlbefinden werden an der Grenze, an der Schwelle zwischen der europäischen Protagonistin und „dem Anderen“ verhandelt. Sie ist fasziniert von der „fremden Kultur“, setzt sich für die „Einheimischen“ ein, und tritt White Supremacists entgegen. Sie ist das Identifikationsangebot für ein weißes europäisches Publikum.
Was aber häufig unklar bleibt, oder nur am Rande erwähnt wird, ist – was ihr eigener Konflikt ist. Warum sie sich entschlossen hat, die europäische Heimat zu verlassen. Wie sie von einer weißen Frau unter vielen zur einzigen weißen Frau wurde. Wer also ist Kathi, abgesehen von ihrer Faszination für das Andere?
Du denkst ich wäre frei, kann mir alles leisten, alles erlauben, dabei lebe auch ich nur in einem riesigen goldenen Käfig. Sagt Kathi in ihrer Confession, in ihrem letzten Monolog, zu Pete und spricht damit aus, was viele weißen Frauen in einer Reise oder einem Leben in einem fernen Land suchen: ihre eigene Freiheit.
Kenia als Ausflucht also, als Rettung vor der europäischen, patriarchalen Enge. Wenn ich an meine eigenen Backpacking-Reisen denke, erkenne ich auch darin das Bedürfnis, etwas zu beweisen. Ich will mir als Frau meine Freiheit beweisen. Ich will zeigen, dass ich mich genau so frei, furchtlos und unabhängig durch die Welt bewegen kann, wie ein (weißer) Mann. Das Narrativ, das ich mir dafür aussuche, ist das des Abenteurers, des Entdeckers. Die Psychologin und Professorin für Soziale Arbeit Dr. Martina Tißberg untersucht 2006 in einer Interview-Studie das Zusammenspiel von Rassismen und Sexismen. Ein häufiges Motiv bei ihren Interviewpartnerinnen ist die Reise als emanzipatorisches Konzept. „Wir wollten die Welt entdecken, einfach mal eine Reise machen nach Südamerika oder Zentralamerika – wir wollten damals Sachen lernen und Dinge tun, die Männerdomänen waren und dazu gehörte dann auch alleine ne Weltreise machen“, gibt eine Interviewpartnerin zu Protokoll. Doch das linke, solidarische Selbstverständnis der Individualtouristinnen wird im Reiseziel nicht als solches erkannt. Die politischen Dimensionen, in denen ich als weißes Subjekt auf Reisen eingeschrieben bin, sind zu dominant, als dass sie sich auf individueller Ebene überwinden ließen. In dieser Unauflösbarkeit, in diesem naiven Dilemma sitzen der Schock und die weiße Verletztheit, die nicht nur auf Reisen zu erfahren ist, sondern jedem Prozess des weißen Unlearnings zu eigen sind.
Ich mache das hier nicht für dich, Pete. Ich mache das für mich, für meine eigene Freiheit. Die ist auf einem anderen Kontinent manchmal leichter zu finden, als vor der eigenen Haustür.
Was vielen weißen Frauen als großer emanzipatorischer Schritt erscheint, steht auch in der europäischen Frauenrechtsbewegung in einer langen kolonialen Tradition. Frauenrechtlerinnen erhofften sich in den Kolonien neue Räume und Rollenangebote für Frauen. „Die Hoffnung korrespondiert mit dem damals weitverbreiteten Bild der Kolonien als „leerem Raum“, in den die Kolonialmacht eindringt. Das Bild der leeren Fläche verspricht dabei die uneingeschränkte Kontrolle der Kolonialmacht. Die kolonisierte schwarze Bevölkerung wird unsichtbar.“ Oder, wie Binyavanga in seinem Essay es ausdrückt: „Africa is the only country you can love – take advantage of this.“
How to write to do Utopia
Diesen Satz aus dem Essay von Binyavanga habe ich lange nicht ganz entschlüsseln, mir nicht erschließen können. Warum sollte Afrika das einzige „Land“ sein, das zu lieben möglich ist? Mittlerweile verstehe ich diesen Satz als einen Hinweis auf jenen scheinbar leeren Raum, auf die Projektionsfläche, die der Kontinent bis heute ist: Das einfache Leben der Tribes, die Verbundenheit mit der Natur, Gemeinschaft statt Individualismus, polyamore Beziehungsformen statt christlicher Monogamie, Queerness statt Heteronormativität, sind nur einige dieser verkürzten Projektionen.
Als queere Frau kenne ich den Reiz des leeren, unbeschriebenen Raumes nur zu gut. Er ist das Gefäß für die Hoffnung auf ein freies, selbstbestimmtes Leben, das in der normativen Gegenwart kaum Umsetzung findet. Wir brauchen das Vakuum. Wir brauchen die Heterotopie, den Gegenort. Der Kunstgriff solcher Utopien ist dabei gerade die räumliche oder zeitliche Verschiebung – in eine ferne Zukunft oder Vergangenheit, in ein unbekanntes Land. Das gerade diese freiheitsstrebende Sehnsucht in ihrer Realisierung eine gewaltvolle Kehrseite haben kann, gehört zur traurigen Wahrheit des Utopischen.
Wenn ich an unsere zwei Projektjahre zurückdenke, so war das Besondere für mich irgendwann, dass sich in regelmäßigen Zoom-Treffen von einem Kontinent zum nächsten eine Vertrautheit einstellte, um auch über Fragen der eigenen Scham, des Weißseins, des rassistischen Blicks zu sprechen. Sie zu verhandeln und gleichzeitig mehr füreinander zu sein als Repräsentant*innen. Nicht nur die Weiße, die Schwarze, der Jugo zu sein. Sondern auch Theresa, Gisemba und Denijen. „Eigentlich ist das, was ihr macht, selbst schon ein bisschen utopisch“, haben kürzlich zwei Freund*innen zu mir gesagt. „Utopisch, weil extrem unwahrscheinlich.“
Das war die schönste Einschätzung seit langem.
Zur Entstehung des kollektiven Theaterprojekts „This Plot is not for Sale“ (III)>
Das Projekt mit dem Arbeitstitel Land of Tropes entstand als ein kollektives, fünfsprachiges Theaterprojekt über Erinnerung, Zugehörigkeit, Postkolonialismus und Schuld. Es wird derzeit unter der Leitung des NMT (Netzwerk Münchner Theatertexter*innen) in Nairobi und München sowie im digitalen Raum realisiert und am 31. Oktober 2025 bei
SPIELART unter dem Titel This Plot is not for Sale uraufgeführt. Das Literaturportal Bayern begleitet diese spannende herausfordernde Projektarbeit sowohl in Hinblick auf die Aufführung im Herbst berichtend als auch im Vorfeld fördernd, indem es die drei maßgeblich beteiligten Autorinnen und Autoren gebeten hat, über ihre Arbeit und die dazugehörigen sprachlich-kulturellen Bewusstseinsprozesse in essayistischer Form zu reflektieren.
Der dritte Beitrag stammt von der in Fürth geborenen und in München lebenden Theatermacherin und Autorin Theresa Serphin.
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HOW TO WRITE (WITH) WHITE GUILT
How to write „weiße Frau in Afrika“?
Kathi tritt nicht einfach nur auf, sie macht einen Auftritt. Sobald sie da ist, ändert sich der Raum. Sie hat eine Art, ihre dicken blonden Haare über die Schulter zu werfen, dass man nicht anders kann, als staunen. Sie bewegt sich mit der Freiheit und Lässigkeit einer Person, die sich nie unterordnen musste. Die nie fehl am Platz war. Nie zu viel oder zu wenig. Sondern immer genau richtig.
Das sind einige der ersten Sätze, die ich über meine Figur, Kathi, für THIS PLOT IS NOT FOR SALE geschrieben habe. Kathi hatte für mich von Anfang an eine Leichtigkeit, eine Flatterhaftigkeit, die man sich leisten können muss. Die NGO-Gründerin mit ausgeprägtem Saviour-Complex. Eine dieser weißen Frauen, denen viele schon beim Anblick unterstellen, von jedem Schicksal verschont worden zu sein. Deren reines Auftreten, sei es auf einer Theaterbühne oder im Bekanntenkreis, viele mit Neid und Abscheu erfüllt. Neid darüber, wie jemensch ohne eigenes Dazutun quasi den Live-Hack schlechthin serviert bekommen hat: schön, gesund, reich, weiß, hetero – check. Abscheu wiederum gegenüber Kathis Blindheit für strukturelle Ungleichheit und einer Naivität, die in Sekundenschnelle zur Waffe gegenüber Schwächeren werden kann.
Genau wegen dieser schwelenden Brutalität, diesem steten Potential der Figur in ihrem Sprechen gewaltvoll zu werden, hatte ich, gerade als weiße Autorin, große Hemmungen, mich ihr überhaupt psychologisch nähern; geschweige denn, sie selbst sprechen zu lassen. Zu groß war die Sorge vor der Reproduktion rassistischer Gewalt. Reichte es nicht, sie anzusehen? Reichte es nicht, ihren Habitus auszustellen und diesen Prototyp „weiße Frau in Afrika“ ohne jede Figurenpsychologie ad absurdum zu führen?
Es wäre so einfach, Kathi in ihrem rassistischen und kolonialen Blick auf Kenia bloßzustellen. Es wäre so einfach, gerade in einem satirischen Setting wie wir es für THIS PLOT IS NOT FOR SALE entworfen hatten, Kathi dem Publikum zum Fraß vorzuwerfen. Liebend gerne würden – gerade deutsche weiße Zuschauer*innen – sie fressen, sie verlachen und so sicherstellen, dass sie sich von Kathi unterscheiden. Dass sie selbst ganz anders sind als sie: weniger rassistisch, weniger durchschaubar, viel awarer.
Die Regel, zu der ich während dieses Schreibprozesses immer wieder zurückkehren musste, ist: liebe deine Figur. Es gab Momente, in denen ich nur sagen konnte: „Ich finde Kathi ganz furchtbar. Ich ertrage sie eigentlich nicht.“ Und meine Kolleg*innen mir widersprachen: „Wir sind Fans! Wir wollen immer mehr von ihr.“
How to write through shame
Dann war ich reisen. Beim Reisen siehst du viele Dinge. Andere Menschen, andere Kulturen. Das siehst du alles, aber vor allem siehst du dich selbst. An der Art deiner Erschöpfung spürst du, wo du herkommst. An den kleinsten Bedürfnissen, wie dem nach Ruhe, erkennst du, in welchem Luxus du groß geworden bist. Durch die Art, wie dein Magen sich krampft, verstehst du, was Fremdheit bedeutet.
Die ersten eigenen Sätze von Kathi brachten mich zurück zu meinen Erinnerungen als Backpacking-Reisende Anfang des Studiums. Wie ich als weiße Frau durch Indien reiste. Immer mit dem Versuch, das Land fernab von Tourismus zu erleben, den Menschen „auf Augenhöhe“ zu begegnen. Momente, in denen ich erstmals die Erfahrung machte, sichtbar weiß zu sein. Als weiße Backpacking-Reisende wirst du besser behandelt als Nicht-Weiße, aber du zahlst auch mehr für Alltägliches, du bist ein beliebtes Ziel von Trickbetrüger*innen oder kannst dich vor Heiratsanträgen kaum retten. Du wirst zur Repräsentantin von Macht und Wohlstand.
„Im Schauspiel“, so erklärte mir ein*e Kolleg*in, bei dem*der ich vorbereitend für unser Projekt Unterricht genommen habe, „gibt es für das Spielen von Status eine einfache Regel: Den König spielen die Anderen. Das bedeutet für das Spiel, dass ich selbst – als Königin – gar nichts tun muss um meinen mächtigen Status zu beweisen oder zu zeigen. Sondern allein die Art, wie meine Mitspielenden mich behandeln, macht sichtbar: Ich bin die Königin.“ Diese Formel beschreibt das Bewegen eines weißen Körpers durch eine ehemals kolonisierte, mehrheitlich Schwarze oder Coloured-Gesellschaft genau. „Hey Muzungu, hey Weiße“, riefen Kenianer*innen mir und meinen Kollegen auch bei unserem ersten Aufenthalt in Nairobi zu.
Es war hier, dass sie mich zum ersten Mal überkommen hat, die weiße Schuld. Diese Krankheit, die dir die Kehle zuschnürt. Die dir die Dankbarkeit raubt und dich lähmt.
Kathis erstes Sätze habe ich im Rausch geschrieben, in einem Augen-zu-und-durch-Modus. Du weißt, dass du etwas aussprechen, benennen musst, und hast gleichzeitig schon beim Gedanken daran eine große Angst. Die Angst vor dem Aussprechen ist die Angst davor, mit dem Ausgesprochenen alleine zu bleiben. Dass mensch im Sprechen eben kein Kollektiv, sondern nur sich selbst entblößt. Dass die Gedanken und Gefühle, die gesellschaftspolitische Erfahrungen in mir auslösen, eben nicht strukturell sind, sondern mein eigenes Problem: mein Rassismus, meine Verachtung, meine Ignoranz, mein Abgrund. Der Song I wish my father hurt me ist dabei entstanden.
I wish my father hurt me.
I wish I grew up poor.
I wish we are from DDR.
I wish I knew torture.
I wish my parents were divorced.
I wish I was LGBQueer.
I wish I had a lethal desease
and fight it without fear.
But destiny was so good to me.
And history looks so pale on me…
Wenn ich meinen weißen Freund*innen von meiner Auseinandersetzung mit Kathi erzählte, stellte sich ein besonderer Effekt ein. Viele von ihnen teilten Geschichten und Erfahrungen mit mir, die ich – auch wenn wir uns sehr nah waren – noch nie gehört hatte. Es waren beinah Geständnisse, über Gefühle der Scham, Ohnmacht, Überforderungen mit den eigenen Privilegien umzugehen oder Geschichten über die Backpacking-Reise, das Work-and-travel-Jahr, das mensch „heute ja gar nicht mehr so machen würde, aber früher, oh je, eben doch gemacht hatte.“ Wir teilten – manchmal zum ersten Mal – Geschichten und Erfahrungen des Weißseins.
Diskriminierungs- und besonders rassismuskritische Diskurse in Deutschland konzentrieren sich unter weißen Deutschen vornehmlich auf den Begriff des Allyship. Damit wird meistens das öffentliche Einstehen für und die Unterstützung von rassifizierten Personen verbunden. Die Nabelschau, die Selbstreflexion, die für eine funktionierende Solidarität mindestens genauso entscheidend ist, bleibt im Hintergrund. Dabei kann es nicht nur Aufgabe Schwarzer Intellektueller wie Alice Hasters, Tupoka Ogette oder Sharon Dodua Otoo sein, die Rassismen der weißen Dominanzgesellschaft zu reflektieren.
Was ich also mit Kathi versuchte, war, das eigene Weißsein zu benennen. In dem Wissen, dass ich mit ihm nicht alleine bin. Wer schaut, wenn Kathi auf Kenia schaut? Welche historischen Narrative prägen ihren Blick?
How to write about Africa
Ein Text, den mir meine Ko-Autorin Ursula Gisemba früh vorgestellt hat und der mich seitdem begleitet, ist der Essay How to write about Africa des kenianischen Autors Binyavanga Wainaina. "In your text, treat Africa as if it were one country. It is hot and dusty with rolling grasslands and huge herds of animals and tall, thin people who are starving... Make sure you show how Africans have music and rhythm deep in their souls, and eat things no other humans eat”, spitzt Binyavanga den weißen Blick auf den afrikanischen Kontinent satirisch zu. Wir gaben den Essay auch unseren Studierenden des Seminars Politisch Schreiben an der LMU München zu lesen. „Wie ging es euch mit diesem Text?“, fragen wir in der nächsten Sitzung in den Raum voller weißer Studierender. Es ist lustig, sagten die einen. Es ist überzogen, sagten andere. Es bedient sich aller Klischees, die es von Afrika so gibt. Dann, nach einer kurzen Pause meldete sich eine Studierende und sagt: „Ehrlich gesagt ging es mir nicht gut beim Lesen. Ich habe mich in meinem Blick sehr erkannt gefühlt. Auch wenn man sicher nicht alles denkt und nicht alles auf einen zutrifft. Aber früher oder später kriegt er dich.“
Wie also eine weiße Frau in Kenia schreiben, ohne permanent Stereotype zu reproduzieren? Wie den weißen Blick sichtbar machen, ohne ihn gleich der Lächerlichkeit Preis zu geben? Wie die Verschränkung von struktureller Macht und individueller Ohnmacht zeigen?
Das Bemerkenswerte an der „weißen Frau in Afrika“, wie wir sie aus Filmen wie Jenseits von Afrika, Nirgendwo in Afrika oder Die weiße Massai kennen, scheint mir, dass wir sie meist in ihrer Faszination für „das Andere“ kennenlernen. Ihre Sehnsüchte, aber auch ihre Konflikte und ihr Wohlbefinden werden an der Grenze, an der Schwelle zwischen der europäischen Protagonistin und „dem Anderen“ verhandelt. Sie ist fasziniert von der „fremden Kultur“, setzt sich für die „Einheimischen“ ein, und tritt White Supremacists entgegen. Sie ist das Identifikationsangebot für ein weißes europäisches Publikum.
Was aber häufig unklar bleibt, oder nur am Rande erwähnt wird, ist – was ihr eigener Konflikt ist. Warum sie sich entschlossen hat, die europäische Heimat zu verlassen. Wie sie von einer weißen Frau unter vielen zur einzigen weißen Frau wurde. Wer also ist Kathi, abgesehen von ihrer Faszination für das Andere?
Du denkst ich wäre frei, kann mir alles leisten, alles erlauben, dabei lebe auch ich nur in einem riesigen goldenen Käfig. Sagt Kathi in ihrer Confession, in ihrem letzten Monolog, zu Pete und spricht damit aus, was viele weißen Frauen in einer Reise oder einem Leben in einem fernen Land suchen: ihre eigene Freiheit.
Kenia als Ausflucht also, als Rettung vor der europäischen, patriarchalen Enge. Wenn ich an meine eigenen Backpacking-Reisen denke, erkenne ich auch darin das Bedürfnis, etwas zu beweisen. Ich will mir als Frau meine Freiheit beweisen. Ich will zeigen, dass ich mich genau so frei, furchtlos und unabhängig durch die Welt bewegen kann, wie ein (weißer) Mann. Das Narrativ, das ich mir dafür aussuche, ist das des Abenteurers, des Entdeckers. Die Psychologin und Professorin für Soziale Arbeit Dr. Martina Tißberg untersucht 2006 in einer Interview-Studie das Zusammenspiel von Rassismen und Sexismen. Ein häufiges Motiv bei ihren Interviewpartnerinnen ist die Reise als emanzipatorisches Konzept. „Wir wollten die Welt entdecken, einfach mal eine Reise machen nach Südamerika oder Zentralamerika – wir wollten damals Sachen lernen und Dinge tun, die Männerdomänen waren und dazu gehörte dann auch alleine ne Weltreise machen“, gibt eine Interviewpartnerin zu Protokoll. Doch das linke, solidarische Selbstverständnis der Individualtouristinnen wird im Reiseziel nicht als solches erkannt. Die politischen Dimensionen, in denen ich als weißes Subjekt auf Reisen eingeschrieben bin, sind zu dominant, als dass sie sich auf individueller Ebene überwinden ließen. In dieser Unauflösbarkeit, in diesem naiven Dilemma sitzen der Schock und die weiße Verletztheit, die nicht nur auf Reisen zu erfahren ist, sondern jedem Prozess des weißen Unlearnings zu eigen sind.
Ich mache das hier nicht für dich, Pete. Ich mache das für mich, für meine eigene Freiheit. Die ist auf einem anderen Kontinent manchmal leichter zu finden, als vor der eigenen Haustür.
Was vielen weißen Frauen als großer emanzipatorischer Schritt erscheint, steht auch in der europäischen Frauenrechtsbewegung in einer langen kolonialen Tradition. Frauenrechtlerinnen erhofften sich in den Kolonien neue Räume und Rollenangebote für Frauen. „Die Hoffnung korrespondiert mit dem damals weitverbreiteten Bild der Kolonien als „leerem Raum“, in den die Kolonialmacht eindringt. Das Bild der leeren Fläche verspricht dabei die uneingeschränkte Kontrolle der Kolonialmacht. Die kolonisierte schwarze Bevölkerung wird unsichtbar.“ Oder, wie Binyavanga in seinem Essay es ausdrückt: „Africa is the only country you can love – take advantage of this.“
How to write to do Utopia
Diesen Satz aus dem Essay von Binyavanga habe ich lange nicht ganz entschlüsseln, mir nicht erschließen können. Warum sollte Afrika das einzige „Land“ sein, das zu lieben möglich ist? Mittlerweile verstehe ich diesen Satz als einen Hinweis auf jenen scheinbar leeren Raum, auf die Projektionsfläche, die der Kontinent bis heute ist: Das einfache Leben der Tribes, die Verbundenheit mit der Natur, Gemeinschaft statt Individualismus, polyamore Beziehungsformen statt christlicher Monogamie, Queerness statt Heteronormativität, sind nur einige dieser verkürzten Projektionen.
Als queere Frau kenne ich den Reiz des leeren, unbeschriebenen Raumes nur zu gut. Er ist das Gefäß für die Hoffnung auf ein freies, selbstbestimmtes Leben, das in der normativen Gegenwart kaum Umsetzung findet. Wir brauchen das Vakuum. Wir brauchen die Heterotopie, den Gegenort. Der Kunstgriff solcher Utopien ist dabei gerade die räumliche oder zeitliche Verschiebung – in eine ferne Zukunft oder Vergangenheit, in ein unbekanntes Land. Das gerade diese freiheitsstrebende Sehnsucht in ihrer Realisierung eine gewaltvolle Kehrseite haben kann, gehört zur traurigen Wahrheit des Utopischen.
Wenn ich an unsere zwei Projektjahre zurückdenke, so war das Besondere für mich irgendwann, dass sich in regelmäßigen Zoom-Treffen von einem Kontinent zum nächsten eine Vertrautheit einstellte, um auch über Fragen der eigenen Scham, des Weißseins, des rassistischen Blicks zu sprechen. Sie zu verhandeln und gleichzeitig mehr füreinander zu sein als Repräsentant*innen. Nicht nur die Weiße, die Schwarze, der Jugo zu sein. Sondern auch Theresa, Gisemba und Denijen. „Eigentlich ist das, was ihr macht, selbst schon ein bisschen utopisch“, haben kürzlich zwei Freund*innen zu mir gesagt. „Utopisch, weil extrem unwahrscheinlich.“
Das war die schönste Einschätzung seit langem.