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17.06.2025, 09:48 Uhr
Sara Gómez
Text & Debatte

Künstlerisch-feministische Kollektive in Chile und was Münchnerische Kollektive von diesen lernen können

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Sara Gómez (z.v.l.) mit Vereinspräsidentin Marcela Vásquez (r.) und Tochter Catalina Jara (l.) von "Nonken Libko Lelfün" © Sara Gómez

Am Abend des 21. Mai 2025 trafen sich verschiedene Vertreterinnen und Vertreter feministischer Kollektive Münchens im EineWeltHaus auf Einladung des Vereins Wepsert e.V. Es war die Klammer oder der Punkt hinter einem mehrmonatigen Projekt, das unter dem Titel „Poetiken deutsch-/chilenischer Künstler*innen angesichts des Rechtsrucks in beiden Ländern“ erfolgreich beim Kulturreferat eingereicht worden war. Mit dem Brückenschlag wollte die Münchner Autorin und Wepsert-Mitglied Sara Gómez sowohl aktivistischen Münchnerinnen und Münchnern berichten, was sich auf der anderen Seite des Ozeans im Bereich feministischer Kollektive abspielt, als auch für eine konkrete Vernetzung innerhalb der Münchner Szene feministischer Akteurinnen und Akteuren sorgen.

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Eines fällt mir bei allen Gesprächen mit Kollektiven und Gruppen, die ich in meiner Zeit in Chile treffe, auf: Sie stellen (sich) andere Fragen und denken um andere Ecken als mir das gemeinhin in Deutschland begegnet. Und es gibt andere Selbstverständlichkeiten: Einer der krassesten Unterschiede ist die Einschätzung von „Feiern als Widerstandsform“ oder auch joy as resistance. Ein Phänomen, das mir aus ganz Lateinamerika vertraut vorkommt – wohingegen es in Deutschland schnell im Verruf steht, nicht politisch genug, zu oberflächlich und unentschieden zu sein. Und so ist mir auch kein einziger Song bekannt, der im Zuge der Loveparade Einzug ins kollektive Gedächtnis von Aktivist*innen in Deutschland gehalten hätte – während in Chile immer wieder Hymen entstehen, die im Zuge der regelmäßigen Protestwellen populär werden und ganze Generationen prägen. Eine der dominierendsten Gestalten hierin ist die chilenisch-französische Rapperin Ana Tijoux, die nicht zuletzt dem estallido social, der sozialen Revolte, die im Oktober 2019 in Chile ausbrach, noch mitten im Geschehen mehrere Lieder widmete, z.B. den lautmalerischen cacerolazo (über die spezielle Protestform auf Kochtöpfe zu schlagen), und deren letztes Album nicht von ungefähr den lebensbejahenden Titel VIDA trägt, um allen Mut zu machen, die in Chile am Verzweifeln sind an den Umständen. Sie ist auch eine der ersten emblematischen Figuren, die die Akteur*innen von gata engrifá nennen, mit denen ich mich während meiner Recherche in Chile mehrfach treffe.

Das Kollektiv gata engrifá entstand 2018 rund um die Rapperin und Schauspielerin Fraña und ist inspiriert von der sich sträubenden Katze, die einen Buckel macht und zum Angriff bereit ist – all das steckt in dem Begriff „engrifá“, den es so auf Deutsch nicht gibt. Dass mein eigenes Kollektiv – Wepsert – und die gatas nicht nur jeweils ein als aggressiv und weiblich gelabeltes Tier in den Kollektiv-Namen tragen, sondern jeweils ausgehend von einer künstlerischen zu immer mehr verschiedenen Praktiken gefunden haben, stellen wir während unserer stundenlangen Gespräche ebenfalls fest. Bei Wepsert war’s die Literatur, bei den gatas die Musik: Sie entstanden ursprünglich als Hip-Hop-Kollektiv – nach einer schwierigen Phase, just nach Erscheinen ihrer ersten LP, sind die mittlerweile fünf Mitglieder jetzt auch als Workshopleiter*innen unterwegs, finden immer wieder für verschiedene Projekte zusammen, aber verfolgen jeweils auch Solokarrieren. Ausschließlich als selbständige Künstlerin in Chile zu überleben, ist für die wenigsten möglich: Alle vom Kollektiv haben nebenbei noch verschiedene Jobs. Wer in Chile nicht auch Lebenskünstler*in ist, hat schlechte Karten.

Die gatas prangern in ihren Texten und Aktionen insbesondere den Krieg als patriarchales Prinzip und die Vereinzelung an, die in ihren Augen nicht zuletzt mit dem neoliberalen kapitalistischen System zu tun hat. Damit stehen sie in Chile alles andere als allein da: Viele Menschen ihrer Generation waren Teil der „Revolución pingüina“, der massiven Schüler*innenproteste 2006 für bessere Bedingungen im Bereich der Bildung, und später Akteur*innen der Proteste der Studierenden 2011, von denen die großen Namen, wie Camila Vallejo und Giorgio Jackson, die letzten Jahre als Parlamentarier aktiv die institutionalisierte Politik mitprägen bzw. mitgeprägt haben. Die Generation ihrer Eltern hat wiederum live erlebt, wie der Neoliberalismus als groß angelegtes Experiment von den Chicago Boys während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973-1989/1990) implementiert wurde und das Land bis heute krass prägt. Chiles Vermögen ist nicht zuletzt deshalb so extrem ungleich verteilt. Noch 2017 hieß es in einem ZEIT-Artikel, dass „[d]er Armutsforscher Thomas Piketty davon aus[geht], dass ein Prozent der Chilenen 35 Prozent des Reichtums des Landes besitzen.“ Zudem führt der Ausverkauf sämtlicher, vormals öffentlicher, Sektoren, wie des Gesundheits- und Bildungswesens sowie des Rentensystems, dazu, dass die individuellen Schulden schwindelerregende Höhen erreicht haben – fast jede erwachsene Person der Mittelschicht besitzt mehrere Kreditkarten – und außerdem die Suizidrate in Chile zu den höchsten Lateinamerikas gehört. Diese Diskrepanz bringt in Chile regelmäßig Menschen auf die Palme bzw. auf die Straße, wie die genannten Proteste und der estallido social, die soziale Revolte von 2019/2020 zeigen – wohingegen in Deutschland, in dem das Vermögen so ungleich verteilt ist, wie in kaum einem anderen Land der Euro-Zone, der Protest mau bleibt und schon der Sticker TAX THE RICH wie ein hartes Statement wirkt.

Chile ist zugleich zu seiner Ungleichverteilung eines der wohlhabendsten, stabilsten Länder Lateinamerikas und hat genaugenommen eine längere Demokratie-Geschichte als Deutschland. Dass mein „Reise Know-How“-Reiseführer betitelt ist mit Land der Extreme passt hier in vielerlei Hinsicht. Die offenen Adern Lateinamerikas von Eduardo Galeano fallen mir in diesem Zusammenhang immer wieder ein: In seiner Abhandlung untersucht der uruguayische Journalist und Autor Galeano die verschiedenen Phasen der Ausbeutung Lateinamerikas seit dem Eintreffen der spanischen Flotte 1492. Ein Buch, das sich heute – in Zeiten von Lithiumabbau und Sojaexporten – problemlos weiterschreiben ließe.

In Chile und anderen Ländern Lateinamerikas sind gesellschaftliche Probleme wie eine öffentliche Kloake: Es stinkt und alle wissen Bescheid. Wen sie als Schuldigen ausmachen, steht dann wieder auf einem anderen Blatt. In Deutschland verhält es sich mit gesellschaftlichen Problemen hingegen mehr wie mit dem berühmt-berüchtigten Sperrbezirk Münchens, der hier besonders groß ist und Sexarbeit nur dahinter legal möglich macht. Also nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Als ob Probleme (wenn man denn Sexarbeit als Problem stigmatisieren will) verschwinden, wenn man sie nur weit genug an den Rand verbannt. Als ob es keine Menschen gäbe, die auf der Straße leben (müssen), wenn man nur alle öffentlichen Bänke mit Zwischentrennungen versieht, so dass niemand mehr darauf ausgestreckt liegen (und oh Gott! schlafen) kann. Ich wette, wenn ich meiner chilenischen Familie von den Zwischentrennungen erzähle, werden sie ihren Ohren kaum trauen. 

Die gatas glauben wiederum fest daran, dass Kunst in all ihren Formen andere Räume und ein anderes Verbundensein möglich machen kann. Mit ihrer Musik und ihren Workshops wollen sie diese Räume kreieren und gerade auch an jüngere Frauen und disidencias – wie trans*- und nicht-binäre Menschen hier meist genannt werden bzw. sich nennen. Ihren Gemein-Sinn und den Wunsch nach Schwesternschaft leiten die gatas nicht zuletzt auch von der – teils als Erbe erfahrenen, teils erlernten – Mapuche-Kultur ab. 

Mapuche-Flagge © Sara Gómez

Die Mapuche stellen heute mit Abstand die größte indigene Community Chiles – entsprechend haben viele chilenxs Mapuche-Wurzeln, hatten sie sich doch, im Gegensatz zu vielen der anderen indigenen Völkern Lateinamerikas, erst erfolgreich gegen die Inka und später gegen die spanischen „Eroberer*innen“ verteidigt. Für sie brachte ironischerweise letztlich erst die Unabhängigkeit von der spanischen Krone 1818 die extremen Probleme und Landenteignungen mit sich, gegen die sich zahlreiche Mapuche bis heute wehren. Erst kürzlich stellte die Regierung unter Gabriel Boric (endlich) eine  Verfassungsreform in Aussicht, die die Rechte indigener Völker, und das meint hier in allererster Linie die Mapuche, stärken und Land zurückgeben soll. Schon 1957 schrieb die Musikerin, Komponistin und (Feld-)Forscherin Violeta Parra das Lied Arauco tiene una pena („Araucos Schmerz“) und darin die bezeichnende Strophe in Bezug auf die Situation der Mapuche: „Hoy son lo‘ propio‘ chileno‘ lo‘ que les quitan su pan“. Auf Deutsch etwa: Heute sind es ausgerechnet die Chilenen selbst, die ihnen [den Mapuche] das Brot nehmen. 

Viele chilenxs wissen zwar, dass sie Mapuche-Wurzeln haben – aber beherrschen weder die Sprache (Mapudungun) noch kennen sie Kultur, Spiritualität, Bräuche. Und bei vielen kam erst mit dem estallido social, der sozialen Revolte ab Oktober 2019, ein neuer Stolz und ein neues Selbstbewusstsein auf, sich zum Mapuche-Sein zu bekennen. Die Fahne des Wallmapu ist seitdem bei Demonstrationen nicht mehr wegzudenken.

Auch bei der Gründerin des zweiten Kollektivs, das ich in Chile kennenlernte, war der Weg bis zur Mapuche-Identität ein langer: Nachdem Marcela Vásquez mit rund 50 Jahren endgültig herausfand, dass sie Mapuchevorfahr*innen hat (und deutsche!), trieb sie das große Verlangen, sich mit Sprache, Kultur und Bräuchen auseinanderzusetzen. Als sie nach einem Verein fragte, der mit alledem aufwarten würde, sagte man ihr in ihrer Gemeinde in Concepción, der zweitgrößten Stadt Chiles, dass es solch einen Verein dort nicht gebe, sie aber gerne einen gründen könne. Das ließ sich die Linguistin, Germanistin, Dichterin und Aktivistin nicht zweimal sagen: Sie trommelte die über zwanzig Personen zusammen, die in Chile zur Gründung einer asociación, dem Pendant des deutschen Vereins, nötig sind und gründete 2019 die Nonken Libko Lelfün, deren Präsidentin sie seitdem ist. Begleitet wird sie dabei von Beginn an von ihrer Tochter Catalina Jara, die eben ihren Biologie-Master abgeschlossen und bereits vor einigen Jahren ein StartUp für natürliche (Mapuche-)Kosmetik gegründet hat. Die beiden verfolgen mit ihrem Verein vor allem das Ziel, Mapuche-Frauen und -Kinder zu empowern, verschiedene Lebensrealitäten kennenzulernen, die Community besser miteinander zu vernetzen und nicht zuletzt verschüttetes Wissen wieder aufleben zu lassen: Hierzu gehören das auf Augenhöhe-Sein mit anderen Menschen (Che), der Erde (Ñuke Mapu) und dem Universum (Wenu Mapu). Viel Arbeit besteht auch im Austausch mit ärmeren Mapuche-Communities, die aufgrund des krass neoliberalen Systems in Chile wenig Bildungschancen und damit weniger Aussicht auf beruflichen Erfolg haben. Catalina Jara ist dabei mit ihrem akademischen und gleichzeitig sehr eigenen Weg hin zu einer inklusiven Identität als Mapuche insbesondere für die Jüngeren ein Vorbild.

Besonders berührend wird die Arbeit dort, wo kulturelle Bildung tatsächlich die Bildungsbiografien prägt: Marcela erzählt mir, wie bei der Präsentation der letzten Textanthologie, die im Rahmen mehrerer Workshops mit den Teilnehmerinnen entstanden ist, Tränen flossen – vor allem der Freude und des Stolzes: Zwei der Teilnehmerinnen hatten, angeregt durch die Schreibwerkstatt, mit über 70 beschlossen, noch die Grundschule abzuschließen. 

Nonken Libko Lelfün würde sich selbst wohl nicht unbedingt das Label „feministisch“ geben. Gerade auch weil Feminismus in Chile oftmals als „westlich“/kolonialistisch wahrgenommen wird – feminismo blanco hört man in dem Zusammenhang öfter. Unweigerlich denke ich hier an Sibel Schicks Analyse und manifestartige Schrift weißen Feminismus canceln, in dem sie auseinandernimmt, wie wenig der girlboss-Feminismus weißer Mittelschichtsfrauen eine echte emanzipatorische Bewegung darstellt, die tatsächlich ALLEN Frauen und queeren Menschen zur Befreiung verhilft. 

Coordinadora Feminista Paine © Sara Gómez

Während die gatas Anfang bis Mitte 30 sind und Marcela von Nonken Libko Lelfün über 50, wird das dritte Kollektiv, mit dem ich im Austausch war, von Mitte bis Ende Zwanzigjährigen angeführt: Die Coordinadora Feminista Paine – einer der zahlreichen Ableger der größten und bekanntesten coordinadoras feministas, derjenigen aus der Hauptstadt Santiago, die vor allem zum 8. März (feministischer Kampftag) und 27. November (Tag gegen Gewalt an Frauen*) Aktionen organisiert, aber im Zuge des estallido social auch eigene Akteur*innen in den Verfassungskonvent entsandt hatte. 

Keines meiner Gespräche mit Kollektiven und Aktivistinnen kommt aus, ohne einen Rückblick auf den estallido social. Von der deutschen Journalistin Sophia Boddenberg, die seit rund zehn Jahren in Chile (und Argentinien) lebt, wird der estallido social mit „soziale Revolte“ übersetzt, da es sich weder lediglich um Proteste handelte noch das revolutionäre Potential tatsächlich in einer Revolution, im Sinne von Umsturz der Verhältnisse, mündete. Wer nicht diese Aufbruchsstimmung ab Oktober 2019 miterlebt hat, die revolutionäre Atmosphäre, die Straßen, die sich in Kunst verwandelt hatten, dem wird es schwerfallen zu verstehen, welch tiefen Fall die Ablehnung der neu erarbeiteten Verfassung bedeutet hat, der sogenannte rechazo, die am Ende dieser Zeit stand. Für alle, mit denen ich spreche, und von denen viele die knapp zwei Jahre vom estallido social bis zur Abstimmung über die neue Verfassung aufs Aktivste mitgestaltet und -verfolgt haben, war der rechazo sowohl auf politischer wie persönlicher Ebene eine der herbsten Niederlagen ihres politischen Lebens.

Für mein Projekt hat mich genau diese Ausgangslage interessiert, das „Wie geht es nun weiter“? Die Frage, wie gerade die emanzipativsten Bewegungen, die zugleich eine neue Verfassung mit am meisten geprägt hätten, die feministische und die indigene, nun weiterarbeiten. Was mir im wahrsten Sinne ins Auge springt, Anfang 2025, ist, dass die Straßenkunst nahezu verschwunden ist. Die letzten beiden Male, die ich in Chile war, im Februar/März 2020 und dann um den Jahreswechsel 2022/2023 herum, waren die Straßen Santiagos und Valparaisos noch voller Kunst –  innovativ, witzig, emanzipatorisch. Jetzt ist bis auf ein paar der üblichen Graffitis und politischen Sticker fast nichts mehr davon übrig. Auch das museo del estallido social, das die Kunst beherbergte, die während der sozialen Revolte entstanden war, existiert nur noch online und nicht mehr wie noch 2023 in einem tatsächlichen, haptischen Sinn. Ich durfte das museo noch kennenlernen, da mich Valentina Arán von der Coordinadora Feminista Paine bei einem meiner früheren Chileaufenthalte dorthin mitnahm.

Myriam Sepúlveda, eines der Gründungsmitglieder der Coordinadora Feminista Paine, ist bildende Künstlerin und eine der ersten Personen, die den Angehörigen der zahlreichen Verschwundenen, die es in Paine während der Militärdiktatur gab, künstlerisch ein Denkmal gesetzt hat. Pro Kopf gerechnet, weist die Gemeinde die höchste Rate an Verschwundenen während der Diktatur auf: 70 Männer wurden hier „verschwunden gelassen“ – desaparecido. 2003 wurde ein Gedenkort für sie beschlossen und in den Folgejahren gebaut. Inspiriert von diesem hat Myriam Gespräche mit den Witwen, Müttern, Schwestern der desaparecidos geführt und ihre Porträts gemalt. Für viele war es das erste Mal, dass sie solch eine Öffentlichkeit bekamen. Myriam stellt in ihren Bildern bewusst Frauen in all ihren unterschiedlichen Facetten ins Zentrum. Auch sie distanziert sich vom „weißen Feminismus“, der ihrer Ansicht nach zu kurz greift und die Lebensrealität von zu vielen Menschen außer Acht lässt. Analog zum berühmt gewordenen Ausspruch des Präsidenten Salvador Allende der vía chilena al socialismo, also dass Chile seinen eigenen Weg zum Sozialismus finden müsse, insbesondere einen demokratischen, müssten auch die Feminist*innen Chiles ihren eigenen feministischen Weg finden.

Myriam zeigt sich aktuell wie die meisten anderen feministischen/aktivistischen Bewegungen Chiles solidarisch mit propalästinensischen Protesten als auch mit den Protesten um das Verschwinden von Julia Chuñil, der sie ebenfalls ein Bild in ihrem fotorealistischen Stil gewidmet hat. Julia Chuñil ist eine Mapucheangehörige und Umweltaktivistin und im November 2024 verschwunden, nachdem es Drohungen gegen sie und ihre Familie gab. Im Verdacht steht hier insbesondere die Familie Anwandter, eine der reichsten Familien Chiles und mit deutschen Wurzeln, die den Boden für sich beansprucht, nachdem sie diesen im 19. Jahrhundert vom chilenischen Staat für „einen Appel und ein Ei“ erwarb – entgegen der Rechte der Mapuche, um deren Land es sich eigentlich handelte. Lateinamerika weist den höchsten Stand an ermordeten Umweltaktivist*innen im Kontinente-Vergleich auf. Bis heute fehlt von Julia Chuñil und ihrem Welpen Cholito jede Spur, ihre Kinder und Enkel mussten derweil ihr Land räumen

Wie auch gata engrifá und Nonken Libko Lelfün versuchen die Mitglieder der Coordinadora Feminista Paine trotz der herben Niederlage des rechazo am Ball zu bleiben: Das bedeutet für sie vor allem an den emblematischen feministischen Daten des 8. März und 25. November präsent zu sein – denn gerade in den ländlichen Gemeinden gibt es derart wenig feministischen Angebote, dass sie ein wichtiger Anlaufort für Frauen, Mädchen und disidencias sind. Als Erfolg werten Myriam und Valentina daher bereits, dass sie trotz des rechazo und der Corona-Pandemie noch existieren und mit ihren verschiedenen Aktionen und teilweise auch Workshops „Sand im Getriebe“ des Patriarchats sein werden. 

Wepsert-Austausch in München © Antonia Wodaschik

Zurück nach München: Bei unserem Austausch stelle ich ein großes Interesse der Münchner feministischen Gruppen an den chilenischen Gruppen und Erlebnissen fest und die ganz augenscheinlichen Einflüsse von dort – insbesondere was das Benennen und damit auch systematischere Bekämpfen von Femi(ni)ziden als solchen angeht, wie es etwa von den Bündnissen ni una menos Múnich“ oder Femizide stoppen München“ nun auch hier immer mehr betrieben wird. Das Dranbleiben trotz aller Widerstände und insbesondere in Zeiten extremen Rechtsrucks und konservativem Gegenwinds sowie das Kombinieren von künstlerischer Praxis mit pädagogischer ist etwas, das sich die meisten von uns ebenfalls aneignen und vornehmen für die Zeit, die vor uns liegt.

Was das Einbinden von künstlerischer Praxis in aktivistische Zusammenhänge und Kämpfe sowie „Freude als Widerstandsform“ angeht, stellen wir fest, dass in Deutschland/München noch viel Luft nach oben ist. Gerade deshalb wird von uns das recht junge Bündnis „reclaim the night München“ gefeiert: Sie berufen sich explizit auf die Schwarze, queere Autorin und Aktivistin Audre Lorde, die explizit joy as an act of resistance bezeichnete. Über Grabenkämpfe hinweg, dient dieses Momentum dazu, uns zu bestärken und zu feiern. Denn wie es ebenfalls Audre Lorde so gut auf den Punkt brachte: „It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.“ Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, zu akzeptieren und zu feiern.