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12.06.2025, 14:02 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 19: Marta Karlweis, Ein österreichischer Don Juan (1929)

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Buchcover zu "Ein österreichischer Don Juan" (1929), Grethlein & Co. Leipzig/Zürich

300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Marta Karlweis wird am 27. April 1889 in Wien geboren. Bereits ihr Vater Karl Weiß, damaliger Direktor der Südbahn in Wien, ist literarisch tätig. Er schreibt unter dem Pseudonym C. Karlweis Theaterstücke im Wiener Dialekt. Ihr Bruder Oskar ist Schauspieler. Marta Karlweis besucht das Eugenie-Schwarzwald-Gymnasium in Wien und beginnt nach ihrer Matura ein Psychologiestudium, das sie allerdings schon 1907 wieder abbricht, als sie den Industriellen Walter Stross heiratet. Ihre Töchter Bianka und Emmy stammen aus dieser Verbindung. Die Sommermonate verbringt die Familie Stross über Jahre hinweg in Altaussee, wo Marta Karlweis 1915 Jakob Wassermann kennenlernt, mit dem sie bald eine Liebesbeziehung eingeht. Während Karlweis sich mit ihrem Mann auf eine einvernehmliche Scheidung einigen kann, zieht sich Wassermanns Scheidung von Julie Speyer, der Mutter seiner ersten vier Kinder, zermürbend lange hin.

Im Februar 1924 bringt Marta Karlweis den gemeinsamen Sohn Carl Ulrich zur Welt, erst 1926 aber ist es nach Wassermanns Scheidung möglich, die Verbindung zu legalisieren. Bereits vier Jahre zuvor kauft Wassermann vom befreundeten Leopold von Andrian ein großes Grundstück samt Haus am Altausseer See, das er in eine herrschaftliche Villa umbauen lässt. Dort leben er, Karlweis und deren Kinder bis zu Wassermanns Tod 1934.

Als Autorin tritt Marta Karlweis erstmals 1913 mit der Erzählung Der Zauberlehrling an die Öffentlichkeit. 1919 folgte der erste Roman Die Insel der Diana, 1921 Das Gastmahl auf Dubrowitza, ein historischer Roman über Katharina II. 1928. Nach der ein Jahr zuvor mit Jakob Wassermann unternommenen Amerika-Reise veröffentlichte sie Eine Frau reist durch Amerika und Amor und Psyche auf Reisen, ein Jahr später Ein österreichischer Don Juan und 1931 den gesellschaftspolitischen Roman Schwindel. Darüber hinaus ist sie als Essayistin und Journalistin tätig.

Nach Jakob Wassermanns Tod ist sie aus finanziellen Gründen gezwungen, die Villa in Altaussee aufzugeben, und zieht mit ihren Töchtern in die Schweiz. Ihr Sohn Carl Ulrich kommt zunächst nach Wien, verbringt aber den größten Teil seiner Schulzeit in England. 1935 schreibt sie ihr letztes Buch, eine Biografie über Jakob Wassermann, die der mit dem Verstorbenen befreundete Thomas Mann mit einem Vorwort beehrt. In Zürich nimmt sie ihr Studium der Psychologie wieder auf. Sie studiert bei C. G. Jung Analytische Psychologie, schließt mit Promotion ab und folgte 1939 einem Ruf an die McGill-Universität in Montréal. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zu ihrem Tod arbeitet sie in ihrer psychiatrischen Praxis in Ottawa. Am 2.11.1965 stirbt Marta Karlweis auf einer Reise in der Schweiz.

Marta Karlweis ist im literarischen Wien gut verankert. Wie gut sie alle Schichten ihrer Heimatstadt kennt und sarkastisch beschreiben kann, zeigt sie vor allem in ihren letzten Romanen: Während Schwindel in kleinbürgerlichen Kreisen spielt, handelt Ein österreichischer Don Juan von Großbürgertum und Adel. Der wohlhabende Wiener Baron Erwein von Raidt verkörpert in jeder Hinsicht den Prototyp eines Frauenhelden. Der Erzählung vorangestellt ist eine präzise Charakterstudie des Schuhfetischisten, die ihn als gefühlskalten Einzelgänger offenbart. Sein vorübergehendes Verhältnis mit der schönen Witwe Löwenstein endet abrupt, als er ihrer bezaubernden Tochter Cecile begegnet. Nachdem diese von ihm schwanger wird, bricht er umgehend den Kontakt zu ihr ab. Um den äußeren Schein zu wahren, arrangiert er ihre Heirat mit einem ahnungslosen Industriellen. Als Cecile den wahren Charakter Erwein von Raidts erkennt, ist sie bereits unheilbar erkrankt. Während die Jahre für den einst skrupellosen Frauenhelden und Bonvivant in einer Reihe von amourösen Abenteuern, Verführungen und Eroberungen vergehen, bleibt er schließlich nicht unberührt von seiner letzten Geliebten.

Der Roman, von düsterer Ironie durchzogen, schildert den schicksalhaften Fall des jüdischen Mädchens Cecile, das in den Abgrund gestürzt wird. Die Handlung ist in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg angesiedelt, und ebenso wie bei Joseph Roth und Ödön von Horváth ist Karlweis’ wahres Interesse der Zerfall der k. u. k. Monarchie. Dennoch fehlt ihrem Werk jegliche Nostalgie. Vielmehr entlarvt es eine bigotte, frauenfeindliche Gesellschaft, die einer Operette entspringen hätte können – bitterböse Geschichten aus der Wienerstadt. So schreibt zum Erscheinen des Romans der Schriftsteller Rudolf Jeremias Kreutz in der Neuen Freien Presse:

Dieser geborene Verführer, der umso mehr Glück bei den Frauen hat, als er – seinem großen Vorbilde treu – ohne jede Beteiligung seines Herzens operiert, steinerner Gast des eigenen Liebesspieles und in einem Atem heißer Galan, ja opferfähiger, kindischer Weiberknecht, dieser Urtyp des zwielichtigen, stets unglücklichen Hasardeurs, kann nicht plastischer umrissen, nicht grausig heller gedeutet werden, als dies Marta Karlweis gelingt.

Marta Karlweis: Ein österreichischer Don Juan. Herausgegeben von Johann Sonnleitner. Wien 2015

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