Ein Gespräch zum 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer
Kann man Mut lernen? – Im April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg für seine Überzeugungen hingerichtet. Anlässlich des 80. Gedenktages an das Leben, Sterben und Wirken des couragierten, weltweit geachteten Theologen, der, wie er sagte: „den Mut im Elternhaus lernte“, sprach das Literaturportal mit Johannes Bretting, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
*
LITERATURPORTAL BAYERN: Lieber Herr Bretting, gerade haben Sie hier in der Gedenkstätte Flossenbürg ein wichtiges Jubiläum begangen: den 80. Gedenktag an Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde. Dietrich Bonhoeffer, als Mitglied der Bekennenden Kirche, ist inzwischen weltweit bekannt als einer der wichtigsten Personen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Wie war die Gedenkfeier?
JOHANNES BRETTING: Es war eine tolle Woche mit vielen verschiedenen Veranstaltungen. Es gab einen Fernsehgottesdienst, ein Konzert mit dem Ensemble Nobile und dem Gewandhauschor aus Leipzig, eine internationale Tagung zur Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers und eine Jugendbegegnung mit über 250 Jugendlichen. Die Jugendbegegnung stand unter dem Motto „grenzenlos hoffen – mutig handeln“ und war mein persönliches Highlight, weil es diese Jugendbegegnungen schon sehr lange gibt und davon immer wieder eine große Wirkung ausgeht, über die ich mich sehr freue.
LPB: Sie sprechen die Jugendbewegungen an: Wie würden Sie Bonhoeffer von der heutigen, jungen Generation gerne erinnert wissen? Was wäre für Sie persönlich am Wichtigsten?
BRETTING: Dietrich Bonhoeffer, sein Wirken, seine Schriften können wichtige Inspirationsquellen sein und es ist toll, wenn Bonhoeffer damit auch heute noch Bedeutung hat. Entscheidend ist für mich aber auch, dass es nicht nur darum geht ihn möglichst gut oder intensiv zu verstehen. Vielmehr geht es ja darum, was mit „mutig handeln“ gemeint ist – nämlich einfach auch die Herausforderungen der Gegenwart zu schauen und zu überlegen, wo hilft uns der Bonhoeffer weiter und wo müssen wir uns unsere eigenen Gedanken machen und dann mutig in die Welt tragen.
LPB: Ja. Und gerade die jungen Menschen suchen ja doch nach Vorbildern für ihr eigenes Handeln und Dasein in der Welt, ob sie dies nun aussprechen oder nicht. Das ist auch meine Erfahrung im Austausch mit Jugendlichen. Unter anderem regt Bonhoeffer auch die wichtige Frage nach den Möglichkeiten von Zivilcourage heute an, in gottlob noch bewegungsfreieren Zeiten als damals unter dem Terror der NS-Herrschaft. Dennoch: Mutige Menschen braucht eine Gesellschaft zu jeder Zeit. Dieser Mut mag sich teilweise anders äußern; mitunter, wie Ingeborg Bachmann so schön sagte, auch einmal in „der Tapferkeit vor dem Freund“ bestehen; er kann leise oder laute Töne annehmen. Aber wie Sie sagen, Bonhoeffer ist mit seinem Wirken, Denken und Handeln eine wichtige Inspirationsquelle und er steht auch, dies ist ja unserer Leserschaft des Literaturportals besonders wichtig, für die Kraft von Worten und Sprachbildern: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag.“ Diese Zuversicht angesichts der Schrecken zum Beispiel verliert niemals ihre Strahlkraft.
Nun prägt die Erinnerung an Bonhoeffer, der am Morgen des 9. April 1945 im Arresthof hingerichtet wurde, als eine so prominente Persönlichkeit für Jahrzehnte die Erinnerung an das Konzentrationslager Flossenbürg. Kommen dadurch andere Erinnerungsaspekte dieses Ortes mitunter nicht auch zu kurz?
BRETTING: Der starke Fokus auf eine Person ist immer eine ambivalente Angelegenheit. Am 09. April 1945 wurden mit Bonhoeffer weitere Männer des militärischen Widerstands ermordet. Hans Oster, Wilhelm Canaris und Ludwig Gehre – um zumindest drei von ihnen zu nennen. Es ist wichtig auch an diese Menschen zu erinnern. Und natürlich kann man da auch eine noch größere Perspektive einnehmen. In diesen Tagen – am 23. April – jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg zum 80. Mal. Da kommen Überlebende nach Flossenbürg, da kommen mehrere Hundert Angehörige aus der ganzen Welt nach Flossenbürg. Im Lagerkomplex Flossenbürg waren ca. 100.000 Menschen gefangen und es ist entscheidend, dass auch diese anderen Geschichten erzählt werden und vor allem auch an die erinnert wird, die wir nicht namentlich kennen und von denen wir nur ganz wenig wissen.
Kürzlich wurde etwa die Wechselausstellung Die Verleugneten – Opfer des Nationalsozialismus 1933 – 1945 – heute eröffnet. Da geht es um Menschen, die als sogenannte „Asoziale“ oder als „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden und erst 2020 als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden. Bei diesen Themen geht es dann zwingend auch darum, was ist eigentlich nach 1945 passiert, welche Kontinuitäten gab es und welche Geschichten wurden nicht erzählt oder sogar ignoriert.
LPB: Damit weisen Sie auf eine sehr wichtige Ausstellung hin, die zur Wissensbildung und Aufklärung beiträgt. Diesen Faden noch einmal aufnehmend: Worin bestehen die aktuellen Herausforderungen in der Bildungsarbeit für einen derartigen besonderen Ort des Gedenkens?
BRETTING: Ein wichtiger Punkt ist dabei sicherlich, dass junge Menschen heute in ganz unterschiedlichen Beziehungen zur Geschichte des Nationalsozialismus stehen und es jetzt erstmal nicht total selbsterklärend ist, warum man mit der Schule an einen solchen Ort fährt. Im Sinne einer guten Bildungsarbeit bedeutet dies neue Zugänge zur Geschichte des Ortes zu entwickeln. Wir arbeiten dabei z.B. mit kreativen und theaterpädagogischen Ansätzen, da dies neben dem klassischen Format des Rundgangs eine wichtige Ergänzung darstellt. Offenere Formate bieten da gute Möglichkeiten, dass Jugendlichen sich trauen ihre Fragen an diese Geschichte zu stellen und selbst herauszufinden, warum diese Geschichte heute noch von Bedeutung ist.
LPB: Das klingt nach einem vielversprechenden Ansatz, auch dass man Geschichte weniger lernt, als sich fragend und nach seinen eigenen persönlichen Zugängen erschließt. Angesicht des Gedenktages nun aber doch noch einmal zurück zu Dietrich Bonhoeffer – Dieser Name steht für Zivilcourage, gelebtes Christentum, politischen Widerstand. Freies Assoziationsspiel. Welche Stichworte halten Sie hier für ergänzungswürdig?
BRETTING: Ich denke, dass seine Weltgewandtheit und Weltoffenheit noch ganz wesentliche Punkte sind. Er hat sich in die Probleme seiner Zeit hineinbegeben, ausgesetzt und unermüdlich als Mensch und als Theologe damit gerungen.
LPB: In seiner ersten Zeit im Gefängnis in Tegel (1943) notiert Dietrich Bonhoeffer einmal, lyrisch komprimiert, auf einen Zettel:
Unzufriedenheit – Gespanntheit
Ungeduld
Sehnsucht
Langeweile
Nacht – tief einsam
Mit dem Widerspruch und der Spannung zwischen Depressionen und innerer Stärke hat sich Dietrich Bonhoeffer in dieser Zeit immer wieder auseinandersetzen müssen. Auch sein Gedicht „Wer bin ich?“ ist ein Zeugnis dafür. Was können Sie uns über den Menschen Bonhoeffer erzählen, seine Zweifel und Krisen, was viele vielleicht gar nicht wissen?
BRETTING: Seine Frage „Wer bin ich?“ deutet da denke ich schon in eine wichtige Richtung. Bonhoeffer wird heute häufig als Antwort auf vieles verstanden. Das dahinter jedoch eine sehr fragende und suchende Person stand ist wichtig zu beachten. Bonhoeffer wendete sich schon 1933 öffentlich gegen die Nationalsozialisten, jedoch war das sicher nicht der gleiche Bonhoeffer, der auch noch zehn Jahre später Widerstand leistete. Seine Strategien des Widerstands, sein Widerspruch veränderte sich über die Zeit und suchte immer wieder neue Wege.
LPB: Abschließend: Was würden Sie Menschen für ihren ersten Besuch am Gedenkort Flossenbürg vorab gerne sagen oder als Ratschlag/Tipp mit an die Hand geben?
BRETTING: Bringen Sie Zeit mit. Einerseits um unsere tollen Ausstellungen anzuschauen, aber auch um Zeit für Kaffee und Kuchen in unserem wunderbaren Museumscafé zu haben.
LPB: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch! Und wie es sich für ein Literaturportal gehört, möchten für anlässlich dieses wichtigen Gedenktags auch auf ein sehr lesenswertes Werk zu Dietrich Bonhoeffer hinweisen, das soeben erschienen ist:
Acht Tage im April heißt das aktuelle Buch von John McCabe (Penguin Verlag, München 2025) über die letzten Tage von Bonhoeffer in Flossenbürg. McCabe beleuchtet in diesem Buch besonders die so heterogene Gruppe von Persönlichkeiten, mit denen Bonhoeffer die letzten Tage seines Lebens unterwegs war und erhellt somit die hochkomplexe radikale Zeit der letzten Kriegswochen, über die es, dies wird man bei der Lektüre feststellen, im Detail immer noch sehr viel Neues zu lernen und zu erfahren gibt. Auf jeden Fall denkt man nach dem Lesen noch einmal verstärkt über die hier von Bonhoeffer ausgelöste Frage nach, was Zivilcourage auch heute jedem Einzelnen sagen kann. Denn der Mensch ist letztlich so viel mehr und in besonderen Krisenlagen teilweise etwas ganz anderes als nur die Summe seiner Eigenschaften.
Ein Gespräch zum 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer >
Kann man Mut lernen? – Im April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg für seine Überzeugungen hingerichtet. Anlässlich des 80. Gedenktages an das Leben, Sterben und Wirken des couragierten, weltweit geachteten Theologen, der, wie er sagte: „den Mut im Elternhaus lernte“, sprach das Literaturportal mit Johannes Bretting, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
*
LITERATURPORTAL BAYERN: Lieber Herr Bretting, gerade haben Sie hier in der Gedenkstätte Flossenbürg ein wichtiges Jubiläum begangen: den 80. Gedenktag an Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde. Dietrich Bonhoeffer, als Mitglied der Bekennenden Kirche, ist inzwischen weltweit bekannt als einer der wichtigsten Personen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Wie war die Gedenkfeier?
JOHANNES BRETTING: Es war eine tolle Woche mit vielen verschiedenen Veranstaltungen. Es gab einen Fernsehgottesdienst, ein Konzert mit dem Ensemble Nobile und dem Gewandhauschor aus Leipzig, eine internationale Tagung zur Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers und eine Jugendbegegnung mit über 250 Jugendlichen. Die Jugendbegegnung stand unter dem Motto „grenzenlos hoffen – mutig handeln“ und war mein persönliches Highlight, weil es diese Jugendbegegnungen schon sehr lange gibt und davon immer wieder eine große Wirkung ausgeht, über die ich mich sehr freue.
LPB: Sie sprechen die Jugendbewegungen an: Wie würden Sie Bonhoeffer von der heutigen, jungen Generation gerne erinnert wissen? Was wäre für Sie persönlich am Wichtigsten?
BRETTING: Dietrich Bonhoeffer, sein Wirken, seine Schriften können wichtige Inspirationsquellen sein und es ist toll, wenn Bonhoeffer damit auch heute noch Bedeutung hat. Entscheidend ist für mich aber auch, dass es nicht nur darum geht ihn möglichst gut oder intensiv zu verstehen. Vielmehr geht es ja darum, was mit „mutig handeln“ gemeint ist – nämlich einfach auch die Herausforderungen der Gegenwart zu schauen und zu überlegen, wo hilft uns der Bonhoeffer weiter und wo müssen wir uns unsere eigenen Gedanken machen und dann mutig in die Welt tragen.
LPB: Ja. Und gerade die jungen Menschen suchen ja doch nach Vorbildern für ihr eigenes Handeln und Dasein in der Welt, ob sie dies nun aussprechen oder nicht. Das ist auch meine Erfahrung im Austausch mit Jugendlichen. Unter anderem regt Bonhoeffer auch die wichtige Frage nach den Möglichkeiten von Zivilcourage heute an, in gottlob noch bewegungsfreieren Zeiten als damals unter dem Terror der NS-Herrschaft. Dennoch: Mutige Menschen braucht eine Gesellschaft zu jeder Zeit. Dieser Mut mag sich teilweise anders äußern; mitunter, wie Ingeborg Bachmann so schön sagte, auch einmal in „der Tapferkeit vor dem Freund“ bestehen; er kann leise oder laute Töne annehmen. Aber wie Sie sagen, Bonhoeffer ist mit seinem Wirken, Denken und Handeln eine wichtige Inspirationsquelle und er steht auch, dies ist ja unserer Leserschaft des Literaturportals besonders wichtig, für die Kraft von Worten und Sprachbildern: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag.“ Diese Zuversicht angesichts der Schrecken zum Beispiel verliert niemals ihre Strahlkraft.
Nun prägt die Erinnerung an Bonhoeffer, der am Morgen des 9. April 1945 im Arresthof hingerichtet wurde, als eine so prominente Persönlichkeit für Jahrzehnte die Erinnerung an das Konzentrationslager Flossenbürg. Kommen dadurch andere Erinnerungsaspekte dieses Ortes mitunter nicht auch zu kurz?
BRETTING: Der starke Fokus auf eine Person ist immer eine ambivalente Angelegenheit. Am 09. April 1945 wurden mit Bonhoeffer weitere Männer des militärischen Widerstands ermordet. Hans Oster, Wilhelm Canaris und Ludwig Gehre – um zumindest drei von ihnen zu nennen. Es ist wichtig auch an diese Menschen zu erinnern. Und natürlich kann man da auch eine noch größere Perspektive einnehmen. In diesen Tagen – am 23. April – jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg zum 80. Mal. Da kommen Überlebende nach Flossenbürg, da kommen mehrere Hundert Angehörige aus der ganzen Welt nach Flossenbürg. Im Lagerkomplex Flossenbürg waren ca. 100.000 Menschen gefangen und es ist entscheidend, dass auch diese anderen Geschichten erzählt werden und vor allem auch an die erinnert wird, die wir nicht namentlich kennen und von denen wir nur ganz wenig wissen.
Kürzlich wurde etwa die Wechselausstellung Die Verleugneten – Opfer des Nationalsozialismus 1933 – 1945 – heute eröffnet. Da geht es um Menschen, die als sogenannte „Asoziale“ oder als „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden und erst 2020 als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden. Bei diesen Themen geht es dann zwingend auch darum, was ist eigentlich nach 1945 passiert, welche Kontinuitäten gab es und welche Geschichten wurden nicht erzählt oder sogar ignoriert.
LPB: Damit weisen Sie auf eine sehr wichtige Ausstellung hin, die zur Wissensbildung und Aufklärung beiträgt. Diesen Faden noch einmal aufnehmend: Worin bestehen die aktuellen Herausforderungen in der Bildungsarbeit für einen derartigen besonderen Ort des Gedenkens?
BRETTING: Ein wichtiger Punkt ist dabei sicherlich, dass junge Menschen heute in ganz unterschiedlichen Beziehungen zur Geschichte des Nationalsozialismus stehen und es jetzt erstmal nicht total selbsterklärend ist, warum man mit der Schule an einen solchen Ort fährt. Im Sinne einer guten Bildungsarbeit bedeutet dies neue Zugänge zur Geschichte des Ortes zu entwickeln. Wir arbeiten dabei z.B. mit kreativen und theaterpädagogischen Ansätzen, da dies neben dem klassischen Format des Rundgangs eine wichtige Ergänzung darstellt. Offenere Formate bieten da gute Möglichkeiten, dass Jugendlichen sich trauen ihre Fragen an diese Geschichte zu stellen und selbst herauszufinden, warum diese Geschichte heute noch von Bedeutung ist.
LPB: Das klingt nach einem vielversprechenden Ansatz, auch dass man Geschichte weniger lernt, als sich fragend und nach seinen eigenen persönlichen Zugängen erschließt. Angesicht des Gedenktages nun aber doch noch einmal zurück zu Dietrich Bonhoeffer – Dieser Name steht für Zivilcourage, gelebtes Christentum, politischen Widerstand. Freies Assoziationsspiel. Welche Stichworte halten Sie hier für ergänzungswürdig?
BRETTING: Ich denke, dass seine Weltgewandtheit und Weltoffenheit noch ganz wesentliche Punkte sind. Er hat sich in die Probleme seiner Zeit hineinbegeben, ausgesetzt und unermüdlich als Mensch und als Theologe damit gerungen.
LPB: In seiner ersten Zeit im Gefängnis in Tegel (1943) notiert Dietrich Bonhoeffer einmal, lyrisch komprimiert, auf einen Zettel:
Unzufriedenheit – Gespanntheit
Ungeduld
Sehnsucht
Langeweile
Nacht – tief einsam
Mit dem Widerspruch und der Spannung zwischen Depressionen und innerer Stärke hat sich Dietrich Bonhoeffer in dieser Zeit immer wieder auseinandersetzen müssen. Auch sein Gedicht „Wer bin ich?“ ist ein Zeugnis dafür. Was können Sie uns über den Menschen Bonhoeffer erzählen, seine Zweifel und Krisen, was viele vielleicht gar nicht wissen?
BRETTING: Seine Frage „Wer bin ich?“ deutet da denke ich schon in eine wichtige Richtung. Bonhoeffer wird heute häufig als Antwort auf vieles verstanden. Das dahinter jedoch eine sehr fragende und suchende Person stand ist wichtig zu beachten. Bonhoeffer wendete sich schon 1933 öffentlich gegen die Nationalsozialisten, jedoch war das sicher nicht der gleiche Bonhoeffer, der auch noch zehn Jahre später Widerstand leistete. Seine Strategien des Widerstands, sein Widerspruch veränderte sich über die Zeit und suchte immer wieder neue Wege.
LPB: Abschließend: Was würden Sie Menschen für ihren ersten Besuch am Gedenkort Flossenbürg vorab gerne sagen oder als Ratschlag/Tipp mit an die Hand geben?
BRETTING: Bringen Sie Zeit mit. Einerseits um unsere tollen Ausstellungen anzuschauen, aber auch um Zeit für Kaffee und Kuchen in unserem wunderbaren Museumscafé zu haben.
LPB: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch! Und wie es sich für ein Literaturportal gehört, möchten für anlässlich dieses wichtigen Gedenktags auch auf ein sehr lesenswertes Werk zu Dietrich Bonhoeffer hinweisen, das soeben erschienen ist:
Acht Tage im April heißt das aktuelle Buch von John McCabe (Penguin Verlag, München 2025) über die letzten Tage von Bonhoeffer in Flossenbürg. McCabe beleuchtet in diesem Buch besonders die so heterogene Gruppe von Persönlichkeiten, mit denen Bonhoeffer die letzten Tage seines Lebens unterwegs war und erhellt somit die hochkomplexe radikale Zeit der letzten Kriegswochen, über die es, dies wird man bei der Lektüre feststellen, im Detail immer noch sehr viel Neues zu lernen und zu erfahren gibt. Auf jeden Fall denkt man nach dem Lesen noch einmal verstärkt über die hier von Bonhoeffer ausgelöste Frage nach, was Zivilcourage auch heute jedem Einzelnen sagen kann. Denn der Mensch ist letztlich so viel mehr und in besonderen Krisenlagen teilweise etwas ganz anderes als nur die Summe seiner Eigenschaften.