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11.11.2014, 14:32 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [505]: Ein schöner Rücken kann entzücken

Wir hatten das schon mal, „Jean Paul“ – und/oder Jean Paul, was mir wahrscheinlicher ist, denn a gentleman is also a man, wie es bei einer der großen alten englischen Schriftstellerinnen der späteren Jean-Paul-Zeit so schön heißt – scheint davon besessen gewesen zu sein: von den Rückenansichten laufender Frauen. Dass ein schöner Rücken auch entzücken kann: der Erzähler teilt es uns genussvoll mit. Nämlich so:

Nach der Kirche trifft sich die kleine Gesellschaft in der Sakristei, dann wandelt man durch die kultivierte Landschaft: Gustav und Beata Arm in Arm.

Es war ein ruhiges Wandeln unter der festlichen Sonne und unter den Blüten der Gebüsche hinweg.

 

Ich labte mich unter dem ganzen Wege am meisten daran, dass ich der Hintergrund und der Rückenwind war, der hintennach ging; denn wär' ich vorausgezogen, so hätt' ich den schönsten Gang nicht gesehen, in dem sich noch die schönste weibliche Seele durch ihren Körper zeichnete – Beatens ihren.

Beata erblickt nun im Grase ein Vergissmeinnicht, doch es ist nur aus Seide – was Gustav eine galante wie empfindsame Bemerkung eingibt: Nur ein gestorbnes, aber ein dauerhaftes. Was wiederum dem Erzähler  die Gelegenheit beschert, einen Aphorismus zu erfinden:

Unter Personen von einer gewissen Feinheit wird leicht alles zur Anspielung! Wohlwollen ist ihnen daher unentbehrlich, damit sie an keine andern Anspielungen als an gutmütige glauben.

Heißt das nun, dass man Mitleid mit „feinen“ Personen haben muss, weil sie so „gut“ sind, dass sie an nichts anderes glauben als an das „Gutmütige“? Bedeutet das, dass der Idealismus wieder einmal dafür sorgt, dass die Wirklichkeit zugunsten von „feinen“ Sentenzen verkannt wird? Zielt es nicht auf Gustavs Unfähigkeit, die Welt anders als durch seine wie auch immer (rosa und/oder schwarz) gefärbte Brille zu betrachten und zu (v)erkennen?

Und ist es nicht schöner, mit dem sicher nicht allzu „feinen“, aufmerksamen Erzähler durch eine Landschaft zu laufen, in der die schönste weibliche Seele sich in einem ebenso schönen Körper verbirgt, den man(n) zunächst einmal, nun ja, mit Wohlwollen betrachten muss?

 

Nichts ist charakteristischer als der weibliche Gang, zumal wenn er beschleunigt werden soll.

 

Fotos: Frank Piontek (Wavegothic-Treffen Leipzig, Juni 2011)