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25.07.2014, 11:46 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [447]: Die Kirche als Laufsteg?

Jean Paul kombiniert – in einem eigenen, eingeschobenen Text – anlässlich von Frau Bouses Putz- und Aufputzfimmel die Mode- mit der Adelskritik: ein Teil noch jener frühen satirischen Tätigkeit, wie er sie in den frühen, ökonomisch erfolglosen Satiresammlungen geübt hatte. Der Dichter macht das nicht unelegant, aber man hat doch zunächst den Eindruck, dass diese Kritik nur dann besonders witzig wirkt, wenn man sie laut liest – aber wenn man weiß, dass Königin Maria I. von Portugal, die faktisch allein regiert hatte, 1792 wg. Wahnsinn entmündigt wurde, klingt der Text wesentlich schärfer.

Bei solchen Umständen – da ein Holz dem andern in die Hände arbeitet, aber uneigennütziger als ganze Kollegien, da ferner jährlich neue wie die Prokonsule gewählet werden – wunder' ich mich nicht, dass es mit dem Regimentwesen an den Toiletten gut bestellet ist, und dass das ganze weibliche gemeine Wesen, das Männer nicht beherrschen können, von den in Bassgeigenfutteralen geschickten Wahlregentinnen, die in dieser Aristokratie von Petersburg bis nach Lissabon stehen und lenken, vortrefflich in Ordnung und unter Gesetzen erhalten wird.

Was der revolutionär gesinnte Satiriker in Wahrheit will: er sagt es deutlich: Was Sokrates an der Philosophie tat, möcht' ich an den besten Puppen tun und sie vom Himmel der Großen auf die Erde des Pöbels ziehen. Der Rest und Schluss aus all der politischen Modekritik ist schließlich wunderbar zynisch:

Ich meine, dass, wenn man die Marienbilder oder auch selber Apostel und Heilige, die man in katholischen Kirchen bisher ohne den geringsten Nutzen und Geschmack aus- und anzog, vernünftiger und zweckmäßiger ankleidete, nämlich so wie die französischen Puppen – wenn die Kirche sich allemal jedes Monat des Modejournals kommen ließe und nach dessen farbigen Vorbildern die Marien (als Damen) und die Apostel (als Herrn) umkleidete und um die Altäre stellte: so würden diese Leute mit mehr Lust nachgeahmet und verehret werden, und man wüsste doch, weswegen man in die Kirche ginge und was sie gerade in Paris oder Versailles anhaben; – man würde die Moden zu rechter Zeit erfahren, und selbst der Pöbel würde etwas Vernünftigeres umlegen, die Apostel würden die Flügelmänner des Anzugs und die Marie die wahre Himmel-Königin der Weiber werden.

Zwei ausgesprochen modische Apostel und die drei eleganten Marien: die Familie Villers im Jahre 1790.

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