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09.02.2014, 12:12 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [343]: Gustavs Nachsterbwillen und ein paar Zeilen über Hermann Ebers

Hermann Ebers[1] stattete 1923 eine Ausgabe der Flegeljahre, die im Münchner Drei Masken Verlag erschien, mit einigen kolorierten Zeichnungen aus. Dies ist eine der relativ wenigen, aufwendig illustrierten Ausgaben eines Romans von Jean Paul, die im 20. Jahrhundert erschienen. Wir haben im Bayreuther Jean-Paul-Museum sieben Textausschnitte dieses Romans mit den dazugehörigen Bildbeigaben in der Audiostation platziert – eine gute Möglichkeit, um den Dichter zugleich zu hören und durchs Bild zu begreifen. Die visionäre, von Walt erzählte Traumszene beendet fast den fragmentarischen Roman – und auch sie hat, notwendigerweise, mit dem Tod zu tun, in dem man einzig die vollkommene, von keinem irdischen Leben getrübte Schönheit von Amor und Psyche, von Liebe und Seele zu schauen vermag –

Die Chöre der Morgenröten schlugen jetzt wie Donner einander entgegen, und jeder Schlag zündete einen gewaltigern an. Zwei Sonnen sollten aufsteigen, unter dem Klingen des Morgens. Siehe, als sie kommen wollten, wurde es leiser und dann überall still. Amor flog in Osten, Psyche flog in Westen auf, und sie fanden sich oben mitten im Himmel, und die beiden Sonnen gingen auf – es waren nur zwei leise Töne, zwei an einander sterbende und erwachende; sie tönten vielleicht: ›du und ich‹; zwei heilige, aber furchtbare, fast aus der tiefsten Brust und Ewigkeit gezogne Laute, als sage sich Gott[2] das erste Wort und antworte sich das erste. Der Sterbliche durfte sie nicht hören, ohne zu sterben. Ich schlief in den Schlaf hinunter, doch schlaf- und todestrunken, war mir, als verhülle und vergifte mich der Blumenduft eines vorbeifliegenden Paradieses.

 – bevor Vult, in einem schlechthin zauberhaften Schluss, zuletzt flötend entschwindet.

Ich weiß nicht, was Elias Canetti, der jahrzehntelang so sinnlos wie beeindruckend stolz gegen den Tod kämpfte, der schließlich dem Tod erlag, und von dem demnächst in einem bedeutenden deutschen Verlag das Buch Gegen den Tod erscheinen wird – ich weiß nicht, was er über Amandus´ Sterben und über die Art und Weise geschrieben hätte, wie Jean Paul über sein Sterben und über Gustavs Trauer geschrieben hätte. Hätte er es lächerlich gefunden: dieses Nachsinnen über sein, Gustavs, Schicksal?

Denn Gustav möchte nichts Anderes als dem Freund im nicht vorhandenen Licht der Mondfinsternis nachsterben: „O Eitelkeit, o Dunst, o Schatten, wo ich noch bin.“[3] Er aber, der Tote, würde jetzt die Sonnen sehen. Die Musik gibt die rechte Begleitung dazu, eine Flötenuhr schlägt die erste Stunde an, ein „Morgenlied des ewigen Mondes“ verkündend. Der Schmerz wird, der Klang macht´s, so gestillt, dass Gustav plötzlich in einen milderen Zustand gerät – und Jean Paul schreibt wieder eine seiner Visionen auf, die man gern als Erinnerung an eine Astralreise bezeichnen darf, ohne vergessen zu machen, dass sich hierin vielleicht weniger Erfahrungen als tiefe, archaische Sehnsüchte offenbaren, die mit physischen Wirklichkeiten nicht zu tun haben müssen:

Es war ihm, als läge sein Körper auch ausgeleert neben dem kalten und seine Seele flöge auf der breiten, durch alle Sonnen gehenden Lichtstraße der vorausgeeilten nach... er sah sie vorausziehen... er sah durch den Dunst der paar Jahre, die zwischen ihr und ihm selber lagen, deutlich hindurch....

Das ist höchst fantasievoll und kündigt, indem es die Seelenbilder fliegender Engelsgestalten älterer Epochen aufnimmt, schon die großen Traumvisionen an. Man könnte vermutlich ein Stemma[4] dieser genuin jeanpaulschen „Textsorte“ erstellen: vom Kleinsten – den paar Zeilen in der Unsichtbaren Loge – zu den großen Kapiteln (zuletzt im Komet). Belassen wir es einstweilen dabei, in Gustavs Nachsterbwillen den Ausdruck einer tiefen, lebensuntauglichen, bedauerlichen Depression zu sehen.

Canetti hätte vermutlich höhnisch gelacht.

 

Ein paar Zeilen zu Hermann Ebers

Ebers wurde zwar, das war 1881, in Leipzig geboren, hatte aber eine Menge mit München zu tun, also auch direkt-indirekt mit dem Bayerischen Literaturportal. Er lebte nämlich als Kind in Tutzing (bekanntlich am Starnberger See) und ging hier seit seinem achten Lebensjahr aufs Gymnasium. 1903 bis 1907 studierte er dann in der Münchner Kunstakademie, wo er Schüler von Gabriel von Hackl, Heinrich von Zügel und von Ludwig von Herterich war. Er war damals befreundet mit Katja Pringsheim, die bekanntlich einen nicht ganz unbedeutenden Münchner Autor ehelichte: den Herrn Thomas Mann. Ebers stellte zu Beginn des Jahrhunderts mehrmals bei der Münchner Sezession aus, später im 1931 abgebrannten Glaspalast. Sein Nachlass blieb in Bayern, genauer: im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg

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[1] Siehe Anhang.

[2] Gerade erklingt Bachs Kantate Was Gott tut, das ist wohlgetan. Jean Pauls theologische Grundlage war, trotz allem hochbarockem Gepräge, doch der Pietismus.

[3] Ach sein Leben in seinem wurmstichigen Körper war ja eine wahre totale Mondfinsternis; sein Austritt aus dem Leben war der Austritt aus dem Erdschatten und sein Verweilen im Schatten nur kurz.

[4] Für Nichtgermanisten: einen Stammbaum.

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