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03.12.2013, 12:39 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [292]: Gab es da nicht den Rumford-Ofen?

Ich stelle mir vor: Gustav wird Offizier, nachdem er das Kadettendasein überwunden hat. Vielleicht könnte er so aussehen, wie ich ihn, den jungen Mann, im Ingolstädter Armeemuseum auf einem Gemälde von etwa 1790 betrachte. Zu Jean Pauls Zeiten ging es der Stadt übrigens nicht gut: 1800 hatte sie ihre Universität verloren, die später nach München wanderte (so wie die Bayreuther Alma mater im 18. Jahrhundert nach Erlangen ausgewandert wurde, weil die Bayreuther Studenten zu Raufhändeln neigten, was dem Markgrafen nicht passte: wie auch?). Karl Julius Weber reflektierte ein Jahr nach Jean Pauls irdischem Dahinscheiden diesen desolaten Zustand:

Ingolstadt, das nichts weniger als unfreundlich ist, und groß, mag wohl die menschenleerste Stadt Bayerns genannt werden, denn seine Bevölkerung ist auf 5000 Seelen herabgesunken. Die Universität ist nach Landshut verlegt, die Festungswerke sind abgetragen, und die Bewohner müssen sich durch Industrie helfen, die aber hier nicht zu Hause zu sein scheint.

Die Festungswerke existieren auch heute noch, zumindest teilweise; Leo von Klenze hat sich hier fortifikatorisch verewigt – und man hat ein Bayerisches Armeemuseum, dessen Räume im gewaltigen Alten Schloss selbst den Nichtmilitaristen begeistern. Hier also treffe ich auf Spuren der Logenzeit, genauer: auf die

Rumford-Uniform

Rumford? Gab es da nicht den Rumford-Ofen? Exakt – es handelt sich um eine Erfindung Sir Benjamin Thompsons, des Grafen Rumford, der in Mozarts Geburtsjahr in Massachusetts zur Welt kam, in den späten 80er Jahren nach München kam und hier zum großen Reformator avancierte. Ein interessanter Mann – lese ich seinen Namen, begreife ich urplötzlich, was es mit der „Rumfordküche“ auf sich hat, in der Jean Paul – in Bayreuth lebend – den Suppenlöffel schwang![1]

Das Gemälde zeigt ihn mit dem großen Gartengestalter Friedrich Ludwig Sckell und seinem Kurfürsten, Karl Theodor, im Englischen Garten, wo er sich gerade als Reformer betätigt. In München nämlich strukturierte Rumford die Armee derart neu, dass sich endlich eine Art Ordnung in der Truppe ergab. In Wiki lese ich:

Insbesondere die gewöhnlichen Soldaten waren schlecht bezahlt, schlecht ernährt und schlecht gekleidet. Thompson ließ in jeder Garnison von den Soldaten Gärten anlegen, um ihre Lebensmittelversorgung zu verbessern, so auch in München auf dem Gebiet des heutigen Englischen Gartens. Er machte seine wissenschaftlichen Interessen für seine Aufgabe nutzbar, indem er Untersuchungen zur wärmedämmenden Wirkung von Uniformstoffen anstellte und eine wärmespeichernde Unterwäsche erfand. Über die Armut und das Elend der einfachen Soldaten wurde Thompson zum Sozialreformer. Zur Bekämpfung des Bettlerunwesens ließ er Armenhäuser, Schulen für Soldatenkinder, Arbeitshäuser und Manufakturen errichten und nutzte auch hier seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse, um die Lebensumstände der Bevölkerung zu verbessern.

Nun kommt die Rumford-Uniform ins Spiel, in der ich mir den jungen Gustav von Falkenberg vorstellen kann: ein Mann in den besten Jahren, der darauf wartet, im nächsten Krieg abgeknallt zu werden, auf dass sich der wärmedämmende Stoff schön rot färbe. Das Jahr 1790 brachte eine grundlegende Reform des bayerischen Heeres: Alle Feldtruppen erhielten eine Uniform einheitlichen Schnittes und statt des Hutes einen Lederhelm mit Roßhaarschweif. Dieser wurde nach dem damaligen Kriegsminister und Urheber der Reform, dem Grafen Rumford, „Rumford-Kaskett“ genannt.

Unter König Max Joseph I. wird es noch schöne Möglichkeiten geben, sich in den Krieg zu begeben und totschiessen zu lassen[2]; Russland ist nicht weit; gerade 15 Jahre trennen den Kadetten Gustav von der Gründung des Königreichs Bayern.

Auch Jean Paul hat dem Grafen Rumford, dessen soziales und wissenschaftliches Wirken man nicht unterschätzen sollte, ein kleines Denkmal gesetzt. Im Museum, der Sammlung verschiedenster Schriften, brachte er unter der Großüberschrift Die Völker-Vergangenheit einen schönen  Sedez-Aufsatz unter, der, da Sedez, in Gänze zitiert werden kann:

Unterirdischer Schatz von Genies

Wenn man berechnet, wie viele talentvolle Kinder man in Dorf- und Stadtschulen antrifft, und wenn man bedenkt, daß das Volk schon als Mehrzahl der Köpfe die Mehrzahl der guten schenken muß: so sieht man sich zwanzig Jahre später im Staate erstaunt und vergeblich nach diesen genialen Dorfköpfen in Kollegien, Regimentstäben und auf anderen hohen Stellen um; – fast bloß die Minderzahl der höhern Stände versorgt mit Talenten den Staat notdürftig; und die Dorf-Genies verloren sich in die Scheunen, Kasernen und Handwerkstätten. So wird also kein Staat- und Schlag-Schatz als der, den der Himmel aus der Volkstiefe aufschickt, und keine Gottes-Domäne so verschwendet als die der Köpfe. Die Samenkörner ewiger Ernten wirft der Himmel umsonst in die Beete; aber wir begießen und impfen nichts. – Ein rohgelaßnes Dorfgenie gleicht dem Pfunde Eisen, das in Frankreich 1 Sou kostet; verarbeitet aber zu 700 000 Uhrfedern, ist es (nach Rumford) 16 Millionen und 800 000 Sous wert. Zu wie vielen Uhr-, Schwung- und Triebfedern wären nicht die Kräfte des Dorfs auszubilden!

Da hat Jean Paul, denke ich, sich selbst sehr gut charakterisiert: das talentierte Dorf-Kind, das es irgendwann zum Legationsrat bringt. Die bange Frage aber bleibt: Was wird aus Gustavs Kräften einmal werden?

Fotos: Frank Piontek, 27.11. 2013

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[1] Fatale Gedankenlosigkeit! Wie oft nimmt man nicht Begriffe in den Mund, die man nicht im Geringsten versteht.

[2] Zigtausende von Opfern allein in einer Schlacht – aber eine Nacht in Paris macht alles wett, wie Napoleon zynisch sagte.