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13.06.2013, 11:38 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [171]: Es lebe die Königin!

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Hinter diesen Mauern liegt sie: Jean Pauls preußische Königin.

Die Königin ist tot, es lebe die Königin. Nie hat es eine schönere gegeben: Königin Luise von Preußen war ein Mythos schon zu Lebzeiten. Jean Paul, der kaum eine der schönen, hohen Herrschaften auslassen wollte, sah und kannte auch sie. Die Zauberfrau aus Mecklenburg-Strelitz, deren Schönheit noch in die Gegenwart strahlt. Eine Marmorfrau, gut – aber eine wunderbare Marmorfrau. So fand sie, posthum, nach Schadow mit Christian Daniel Rauch den zweiten großen Bildhauer des Klassizismus, der sie ins Marmorbild setzte. 34 Jahre war sie alt, als sie starb; das ist und war kein Alter (auch wenn Mozart da sein Lebenswerk beinahe vollendet hatte).

Nun liegt sie im Mausoleum. Die Sonne fällt an diesem Sommertag hinein in den Bau im Schlosspark Charlottenburg. Hier liegt sie und schläft – der euphemistische Begriff, der den Todesengel bannen soll, trifft, denn Rauch hat sie 1813 so gemeißelt, als schliefe sie nur. Jean Paul hat das Denkmal nie gesehen, aber an ihrem Grabe hätte er sich sicher Gedanken gemacht über die Unsterblichkeit der Seele – und über die Seele, die im kalten Stein lebt. Rauch, wie Schadow ein Meister des lebenden Marmors (darin einem Bernini gleich), gelang hier eines seiner chef d'oeuvre.

Nachdem Luise am 19. Juli gestorben war, schrieb der Dichter, der ihr zehn Jahre zuvor die Hände geküsst hatte, Schmerzlich-tröstende Erinnerungen an den neunzehnten Julius 1810, die er an den Schluss des ersten Bändchens der Herbst-Blumine rückte. Ein Text des Schmerzes und der Zuversicht, ein Text über einen „hohen Menschen“, dem der Genius „vielerlei Kränze“ gegeben hatte: „den Blumenkranz der Schönheit, den Myrtenkranz der Ehe, die Krone eines Königs, den Lorbeer- und Eichenkranz deutscher Vaterlandsliebe, auch eine Dornenkrone“. Am Ende aber bleibt, so der gläubige Dichter, „ein Kranz zurück, der alle übrigen belohnt“: der Totenkranz.

Luise von Preußen: sie war für Jean Paul, wie sein Genius, den er 20 Jahre zuvor, im preußischen Fürstentum sitzend, erfunden hatte, einer jener „hohen Menschen“, die zuweilen seine Romane bevölkern. Der Genius und wohl auch Gustav gehören zu dieser Art – in der Unsichtbaren Loge hat Jean Paul sie, im 25. Sektor, genau beschrieben:

Unter einem hohen Menschen mein' ich nicht den geraden ehrlichen festen Mann, der wie ein Weltkörper seine Bahn ohne andere Abirrungen geht als scheinbare – noch mein' ich die feine Seele, die mit weissagendem Gefühl alles glättet, jeden schont, jeden vergnügt und sich aufopfert, aber nicht wegwirft – noch den Mann von Ehre, dessen Wort ein Fels ist und in dessen von der Zentralsonne der Ehre brennenden und bewegten Brust keine anderen Gedanken und Absichten sind als Taten außer ihr – und endlich weder den kalten von Grundsätzen gelenkten Tugendhaften, noch den Gefühlvollen, dessen Fühlfäden sich um alle Wesen wickeln und zucken in der fremden Wunde und der die Tugend und eine Schöne mit gleichem Feuer umfasset – auch den bloßen großen Menschen von Genie mein' ich nicht unter dem hohen, und schon die Metapher deutet dort waagrechte und hier steilrechte Ausdehnung an.

Sondern den mein' ich, der zum größern oder geringem Grade aller dieser Vorzüge noch etwas setzt, was die Erde so selten hat – die Erhebung über die Erde, das Gefühl der Geringfügigkeit alles irdischen Tuns und der Unförmlichkeit zwischen unserem Herzen und unserem Orte, das über das verwirrende Gebüsch und den ekelhaften Köder unsers Fußbodens aufgerichtete Angesicht, den Wunsch des Todes und den Blick über die Wolken.

Wem gleicht eine erhabne Königs-Gattin in ihrer Schönheit mitten unter ihren Kindern, welche mit ihr wetteifern im Blühen?

Dies sind die Hände, die auch der Dichter sah und küssen durfte.

Am Tage, wo der Totenkranz auf dem erhabnen Haupte stand, erschien der Genius wieder, und nur seine Tränen fragten.

Da antwortete eine Stimme: „Blick' auf!“ - Und der Gott der Christen erschien.

Den Wunsch des Todes und den Blick über die Wolken – mag sein, dass die Königin nicht so war, wie sich der Dichter „hohe Menschen“ vorstellte. Typisch die Episode in Sankt Petersburg: als das Königspaar im Winter 1808/09 an die Newa reiste, wo ihr Mann mit dem Zaren politisierte und sie kräftig an den höfischen Vergnügungen Teil hatte, war der Protest des Kanzlers von Stein angesichts der notwendigen staatlichen Sanierungs- und Sparmaßnahmen und dieser Verschwendungen vergeblich gewesen. Luise hat die Situation allerdings selbst reflektiert: „Es regnete Diamanten […] Die Pracht jeder Art übersteigt alle Begriffe. Was es hier an Silberzeug, Bronzen, Spiegeln, Kristallen, Gemälden und Marmorstatuen gibt, ist enorm.“ In der Tat: wer die Schatzkammer des Moskauer Kreml und die Eremitage besucht, begreift sofort, wieso es irgendwann einmal zu einer äußerst blutigen Revolution gegen den Adel kommen musste.

Das Fresko Carl Gottfried Pfannschmidts ist übrigens schon ein späteres Zeugnis der Luise-Verehrung, denn der Maler, der 1819 geboren wurde, hat das Kunstwerk in der 1841 gebauten Apsis erst 1849 gemalt. Jean Paul hätte, wäre er kurz nach dem Tode der Königin nach Berlin gereist, zunächst nur einen kleinen Bau besuchen können, in dem die Büste der Verstorbenen stand. Dann wurde der Schausarkophag (denn die sterblichen Überreste der hier Begrabenen liegen in der darunter liegenden Gruft) in diesem Bau aufgestellt, bevor Anfang der 1840er Jahre der hintere, größere Teil dazukam. Der ursprüngliche, drei Jahre nach dem irdischen Dahinscheiden des Dichtes aufgerichtete Portikus steht heute auf der Pfaueninsel – wenn ich wieder dort bin, werde ich mich daran erinnern, dass Jean Paul, hätte er die Mühen einer Reise nach Berlin auf sich genommen, durch dessen Säulenreihe hätte schreiten können. Was er 1813 schon hätte sehen können, wären die beiden wunderbaren Kandelaber mit den drei weiblichen Genien gewesen[1]; auch sie wurden, natürlich, vom überaus fleißigen Oberbaurat Schinkel entworfen, der zwar nicht das Mausoleum erfunden hatte, aber – auch dies war natürlich – den Entwurf von Heinrich Gentz „begutachtete“, auf Deutsch: der dafür sorgte, dass der Bau denn doch wie ein echter Schinkelbau aussieht.

Schinkel und Jean Paul – da lebten gleichzeitig zwei Charaktere, die nicht zusammengehören. Es waltet da gleichzeitig eine seltsame Uneinigkeit, die uns einiges über die Vielfalt der Epoche verrät, die mit einem Begriff unmöglich erfasst werden kann. Wolfram Schütte hat einmal geschrieben, dass Jean Pauls „gewaltige Sprachexplosionen künstlerisch eher symphonischen Musiken gleichen als im Vergleich dazu den allemal dahinter zurückbleibenden zeitgenössischen (romantischen) Bildwerken. Weder Caspar David Friedrich oder Karl Friedrich Schinkel noch Ludwig Richter oder Carl Spitzweg taugen als zeitgenössische bildnerische Entsprechungen für JP.“[2] Und trotzdem... trotzdem möchte man auf keinen der beiden Antipoden verzichten. Ebenso wenig wie auf das zweifellos klassizistische, doch nach wie vor schwer bewegende Grabdenkmal für die schöne Frau, das einen Klassizismus aufweist, den auch der Chaotiker Jean Paul geschätzt hätte.

„Wollte der Himmel, dass der König so viel für Richter täte, dass er hier oder wenigstens im Lande ruhig leben könnte oder vielmehr müsste. Denn eine Pension dürfte er nicht im Auslande verzehren“, hoffte Freund Emanuel am 3. Mai 1805 anlässlich des Bayreuth-Besuchs des preußischen Königspaares. Friedrich Wilhelm III. – bekannt als der große Langweiler auf dem preußischen Thron – blieb auch in dieser Hinsicht steif; erst Dalberg sollte dem Dichter die finanzielle Sicherheit gewährleisten. (Fotos: Frank Piontek, 11.6. 2013)

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[1] Erinnern sie nicht an die vier Schwestern, denen der Dichter den Titan gewidmet hatte?

[2] http://culturmag.de/litmag/wolfram-schutte-zum-250-geburtstag-von-jean-paul/68047