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07.06.2013, 10:33 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [168]: Es wird wieder juristisch

So stellte man sich ab 1774, dank Samuel Gottlob Kütner, den Komponisten der Bach-Kantaten „nach Trinitatis“ vor – und so sah 1783 der Tyburn-Galgen aus, an dem John Austin sein Ende fand: ein Galgen, der den Maußenbacher Gerichthalter Kolb sicher erfreut hätte, denn an ihm konnten gleichzeitig mehrere von einem Inkulpanten verklagte Malefizpatienten gehenkt werden.

Es wird wieder juristisch. Es beginnt der 22. oder der 19. Trinitatissektor – da stutz ich schon. Der vorige Sektor hieß Michaelissektor. Der Michaelistag bezeichnet den 29. September, der 19. Sonntag nach Trinitatis den 19. Sonntag nach dem „Fest der Taufe des Herren“. So gesehen, befinden wir uns jetzt plötzlich und sehr unerwartet wie ungefähr in der Mitte des Jahres, aber es bleibt unklar, wieso Jean Paul plötzlich mit einer Trinitatiszählung beginnt – schließlich befinden wir uns ja nicht in einem Bachschen Kantatenjahrgang[1]. Vielleicht wird man es bald sehen, vielleicht auch nicht.

Es wird also wieder juristisch, Inkulpanten, Malefizräte, hohe Frais und peinliche Akten haben ihre Auftritte, Fakultisten treffen auf Spitzbuben, Räuber auf Schergen. Der casus ist folgender: Fakt ist, dass das Rittergut Maußenbach die Obergerichtsbarkeit besitzt. Der Gerichtshalter ist Kolb, der genauso schlimm ist wie die, die er verfolgt. Röper – der „unvollkommene Charakter“, wie ihn Dr. Fenk nannte[2] –, ärgert sich über diese Gerichtsbarkeit, „denn sein Malefizrat zog ihm alle Monate einen kostensplitterigen Fraisfall zu“. Kolb möchte eine „Galgenrekrutenaushebung“ im Maußenbacher Wald vornehmen, woraufhin Röper diesen Kriminalfall (denn Frais scheint mir ein Analogon zu Kriminal zu sein) unterbindet, indem er Kolb „soviele Grobheiten antut, als dazu vonnöten waren, dass der Amtmann nichts tun konnte als abdanken“. Kolb unternimmt also „Dieb-Preßgänge“, die dem Neider Röper unangenehm sind, weil der die Hingerichteten beerben kann.

Ich weiß nicht, ob diese Interpretation stimmt, hoffe aber, vor einem peinlichen Literaturgericht damit Recht zu behalten. Zumindest ist diese Welt meilenweit von irgendwelchen Sonntagen nach Trinitatis entfernt, mögen sie auch durch den alten Bach verbürgt sein oder nicht.

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[1] O seelige Erinnerung! Schon als Jugendlicher hörte ich im Radio die sonntäglichen Bach-Kantaten im SFB, bei denen die Zählung der Sonntage nach Trinitatis angegeben wurden. Ich habe mich allerdings nie gefragt, was dies genau bedeutet – die Musik wirkte auch so.

[2] Wieder so ein Zufall: just gestern las ich Fenks Abschweifung, die er in seine Zeitung einrückte, in der Zehn-Minutenlesung des Jean-Paul-Marathonleseprojekts der Markgrafen-Buchhandlung Bayreuth. Eine schöne Erinnerung an einen Text, den ich vor so langer Zeit unter den Händen hatte, und der mir jetzt hilft, den geizigen, missgünstigen, haderigen Röper zu begreifen.

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