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17.03.2013, 11:47 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [106]: In Berlin kann man Jean Paul nicht nicht entdecken

Die preußische, auch von Jean Paul verehrte und gekannte Königin und der schließlich gefallene Goliath, der 1812/13 auch in Bayreuth war, äußerlich zu bewundern am und im Deutschen Historischen Museum.

Die Königin schaut auf den Kaiser. Man kennt ja die historische Begegnung, die den Imperator nicht daran hinderte, weiter zu schreiten: in den Untergang. Er war in Berlin – und er war in Jean Pauls Bayreuth, wo er in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 1812 Quartier im Neuen Schloss nahm (langsam auf dem Weg nach Osten) und am 3. August 1813 rasch durchritt (sehr schnell nach Westen). Einmal Russland hin und zurück, sozusagen; ich denke an Karamsin und den Zaren in der Eremitage, ich denke an Jean Pauls Bemerkungen über den Kaiser, ich denke daran, dass in Bayreuth immer noch nicht an den Kaiser erinnert wird, der so viel Licht – und so viel Schatten verbreitete: hier der Code Napoleon, dort das wiederhergestellte, selbstherrliche Kaisertum. Hier eine ordentliche Zivilverwaltung, dort der Superimperialismus. Ja, man sollte an ihn erinnern auch in jener Stadt, die er, zwangsläufig, beehrte.

„Von Napoleons kurzen Aufenthalten“, lese ich in Philipp Haussers erstklassigem Buch Jean Paul in Bayreuth, das demnächst glücklicherweise wieder aufgelegt wird, „hat Jean Paul offenbar keine Notiz genommen. Es war etwas anderes, für die Persönlichkeit des Kaisers Achtung zu empfinden, als den Usurpator in nächster Nähe zu wissen.“ Freilich hatte Jean Paul Mitleid mit den Franzosen, die Napoleon nach Russland schleppt, ein Heer, unter dem sich bekanntlich auch viele Deutsche, zumal Bayern befanden. „Die armen Franzosen!“, schrieb er an den Bayreuther Freund Christian Otto. „Aber die Harmonisten“ - die Mitglieder der Gesellschaft am Schlossberglein – „jubilieren und hoffen auf die Besetzung der Bundesstaaten durch die sanften Russen.“ Für ihn war der geschlagene Napoleon, den er sich als Neuordner des deutschen Staatenwustes ersehnt hatte, ein „fallender Goliath“. Ganz so pazifistisch, wie man sich's vorstellen will, war der politisierende Dichter übrigens nicht; gelegentlich lobte er den Krieg als „stärkende Eisenkur der Menschheit“. Da lag der Krieg von 1812/13 allerdings noch in weiterer Ferne vor ihm und dem Städtchen, das von den Franzosen besetzt wurde.

Unter dem herrlichen Bücherwust Berlins: Jean Paul, alt und neu

Man kann im Moment nicht durch Berlin gehen und Jean Paul nicht entdecken; man kann ihn also nicht nicht entdecken; sei's auf dem Büchermarkt vor der Humboldtuniversität, sei's in der Auslage der Bücherhalle in der Hauptstraße. Natürlich gibt es auch hier kein Einzelausgabe der Unsichtbaren Loge – aber in der Schöneberger Grunewaldstraße reißt es mich doch: da komme ich plötzlich an der Änderungsschneiderei Beata vorbei.

Beata, ein seltener Name. Wird Zeit, wieder auf den Roman selbst zu kommen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Jean Paul in der Baude 38 in der Nassauischen Straße ein Kindl Pils oder ein Schultheiss trank (er mochte nur gute Biere), aber als Platzhalter für eine Berliner Gastwirtschaft, in der der Berlin-Bewohner von 1800 einkehrte, mag die Bierbaude hinreichen, in der wir uns freilich eine jeanpaulsche Beata nicht vorstellen können (höchstens eine Berliner Änderungsschneiderin). (Fotos: Frank Piontek, 4.-7.3. 2013)

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