Fünf Gedichte von Halyna Petrosanyak

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Foto: Lubomir Winnyk

„Deine Heimat ist dort, woher Deine Traumata stammen“ – so lautete eine Veranstaltung der Villa Concordia in Zusammenarbeit mit dem Literaturportal Bayern, die am 20. September 2022 im Internationalen Künstlerhaus in Bamberg stattfand. Vier in der Ukraine geborene, später im deutschsprachigen Raum angekommene Schriftsteller*innen – Jan Himmelfarb, Dmitrij Kapitelman, Tanja Maljartschuk und Halyna Petrosanyak – zeigten einen Abend lang in Lesung und Gespräch, wie fest das Band der Herkunft schnürt, insbesondere wenn ihr Land sich verteidigen muss. Die Moderation hielt Verena Nolte. Die Veranstaltung wurde mit finanziellen Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert.

Die folgenden Gedichte, die unter dem Eindruck des erweiterten Krieges in der Ukraine geschrieben wurden, las Halyna Petrosanyak und wir veröffentlichen sie mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

*

Grünes Feld, weshalb du schwarz geworden?
T. Schewtschenko, 1848

 

Ein Storch mit einem angebrannten Flügel
mit einer Spur von Blut auf weißem Köpfchen
erstarrt und regungslos, wie eingewachsen
steht in der Mitte des verbrannten Feldes
wo gestern noch im Wind die Ähren wogten
des ukrainischen, des heiligen Getreides.

Du schaust ihn an. Ist er real? Ein Traum?
Du tastest an die angebrannten Ähren.
Durch Ruß erscheint lebhaftes Korn.
das weckt dich auf: Das Saatgut auf der Hand,
es lebt und seine Wärme
nicht vom bösen Feuerteufel stammt.

Der Storch lässt los die angebrannten Federn
und breitet die verletzten Flügel aus…
Doch zieht er nicht im Herbst fort in den Süden
von seinem durch den Brand zerstörten Felde,
aus dem vom Feind kontaminierten Nest. 

 

 

**

Neutralität                             

 

Er taucht
geheim auf,
meistens in der Nacht

Er verbreitet einen Gestank 
von Schweiß und Eiter
der fremden Wunden

Auf seiner Kleidung
und auf den Händen
gibt es seltsame rote
Flecken zu sehen

Aus seiner Tasche
holt er
einen Diamantring
und wischt ihn am Hemd ab

Etwas Unheimliches
flimmert in seinem Lächeln,
wenn er dir den Ring überreicht

Du willst etwas fragen
die Worte aber bleiben dir in der Kehle stecken

Schweigend
nimmst du den Ring
und steckst ihn an deinen Finger

Was geht es dich an, wo er ihn herhat?
Was gehen dich die Blutflecken an?

Er ist nicht dein Ehemann
Und wenn man genauer hinschaut,
sogar kein Freund

Du bist ja
neutral…

 

 

***

Heute
gab es einen Ostergottesdienst

unsere Ostern
in der Kirche von einem fremden Land

hinter meinem Rücken 
sagte plötzlich eine Frau
zu einer anderen

ich komme aus Butscha

Christus ist auferstanden
den Tod durch den Tod besiegt

Zehn Tage saßen wir
in einem Keller
Unsere Freunde wurden
am ersten Tag
aus einem Panzer erschossen
Die Nachbarin wurde vergewaltigt
vor den Augen ihres minderjährigen
Sohnes

Christus ist auferstanden
den Tod durch den Tod besiegt

Irgendwann am Abend
als die Schießerei aufhörte
ist es uns gelungen
zu fliehen

unterwegs sahen wir
von Kugeln durchgeschossene Autos
und getötete Menschen darin

Christus ist auferstanden
ich komme aus Butscha
den Tod durch den Tod besiegt

 

 

Halyna Petrosanyak, Lesung am 20. September 2022 in Bamberg. Foto: Joseph Beck

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Vom Sand bedeckte
tödliche Minen
auf Kinderspielplätzen
in ukrainischen Städten

Das internationale
humanitäre Recht
hat sich wahrscheinlich
verlaufen
irgendwo
zwischen Genf und Moskau

Die Getreidekörner
haben ausgetrieben
zwischen Raketenbruchstücken

Ein rostiger russischer Panzer
in einem ukrainischen Obstgarten
inmitten der reichen Kohlernte

Tonnen CO2 und Ruß
werden in die Luft
ausgestoßen
durch Raketen,
die auf die Ukraine fallen

Wo bist du,
Greta?

Es ist die höchste Zeit
für eine internationale Klima-
und Umweltschutzkonferenz
in Moskau
(Russland ist doch Europa,
oder?)

 

*****

Explosion,
eine höllische Dissonanz
zum Atem

die Schwärze
auf dem Schwarzen,
nur Wunden
rot
wie Blitze

Wasserzeichen des Geistes
am verstümmelten Körper
der Heimat

Möge
die Klage
meines Volkes
wie ein Fels
auf das Grab
des Feindes
fallen

 

Alle Gedichte © Halyna Petrosanyak

 

Halyna Petrosanyak, geboren 1969 in Tscheremoschna, ukrainische Karpaten, seit 2016 in der Schweiz lebend, ist Autorin von fünf Lyrikbänden auf Ukrainisch und übersetzt Prosa aus dem Deutschen ins Ukrainische. In den 1990er-Jahren prägte sie zusammen mit Juri Andruchowytsch und anderen eine unabhängige Künstlergruppe, die u.a. die multiethnische Vergangenheit ihrer gemeinsamen Stadt Iwano-Frankiwsk thematisierte. 1996 erschien ihre erste Gedichtsammlung Park am Hang, ein Gedicht daraus erhielt einen Preis „Für das beste Gedicht des Jahres“. 2007 gewann sie den Hubert-Burda-Preis für osteuropäische Autoren in Deutschland und war 2011 Stipendiatin der Villa Waldberta in Feldafing. Mit Exophonien. Im Rhythmus der Landschaft, so der Titel ihrer jüngsten Sammlung auf Ukrainisch, erscheinen ihre gesammelten Gedichte 2022 auf Deutsch.