Vergabe der Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren 2025 an Désirée Opela und Sina Scherzant
Die diesjährigen Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren werden an Désirée Opela und Sina Scherzant vergeben. Über die Vergabe beschloss der Feriensenat auf Empfehlung der Jury. Mit den 2015 von der Landeshauptstadt München eingerichteten Arbeitsstipendien werden jährlich Münchner Autorinnen und Autoren gefördert, die sich mit ihrem Werk bereits literarisch ausgewiesen haben und im Literaturbetrieb in Erscheinung getreten sind. Die Arbeitsstipendien sind mit jeweils 8.000 Euro dotiert und werden für literarische Projekte vergeben; die Autorinnen und Autoren müssen sich mit ihren Texten selbst bewerben.
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Die Projekte
Désirée Opela: Güstmann
Dass „die Zukunft früher auch besser“ war, wusste schon Karl Valentin, im gegenwärtigen Kunstbetrieb scheint die Utopie vollends zum Auslaufmodell geworden. An ihre Stelle ist, wenn Künftiges verhandelt wird, nahezu flächendeckend mit der Dystopie ihre dunkle Schwester getreten, wofür es leider Gründe gibt. Désirée Opela klassifiziert ihr Romanprojekt im Exposé als eine „intime Science-Fiction“, was mit Blick auf die Datierung seines ‚Spielraumsʽ überrascht. Während heutige Politik markante Eckdaten wie die geplante Klimaneutralität ins Übermorgen der 40er Jahre verlegt, siedelt Désirée Opela Güstmann bereits im Jahr 2031 an, von heute an gerechnet also im Morgen einer durchaus überschaubaren zeitlichen Distanz. Und doch scheint der aus der Perspektive der jeweiligen Figuren erzählte Text, sein Personal und dessen Erfahrungen, Gedankengebäude und Bewusstseinslagen aus einer fernen, ja fremden Welt zu kommen. Zwar gibt es Signale, die auf unsere unmittelbare Gegenwart verweisen, so die „antieuropäische Stimmung“ gegenüber einer (noch existierenden) „EU“, den Berg durch „Steuergelder“ finanzierter „Schulden“, einen in die Defensive geratenen „Rechtsstaat“ und nicht zuletzt nach wie vor auch „Wikipedia“.
Im Kontrast dazu durchzieht den Text zugleich ein Geflecht des Ominösen, Mysteriösen und Rätselhaften: Was hat es mit den „Frauen, die verschwinden“ auf sich, was mit dem „tableau“ oder dem „Sozialsektor“? Welche „Substanzen“ werden mit welchen Absichten und Wirkungen im „Labor“ destilliert – all dies, wo doch für den Protagonisten Güstmann „gar nichts mehr einen Sinn gibt“, Moral und Ethik Sache der „Glücklosen“ sind und sich dennoch „alle Systeme in absehbarer Zeit zugunsten einer neuen Weltordnung auflösen werden“. Die Welt von Güstmanns Vater, der „gedanklich immer noch im Sozialismus feststeckt“, scheint von solchen Entwürfen und Projektionen bereits Lichtjahre entfernt.
Viele Themen – Ökologie und Esoterik, Feminismus, Botanik und Pharmazeutik, Coaching und Lebensberatung bis hin zu ‚Systemʽ-Fragen der globalen Biosphäre – sind in die Arbeitsprobe gepackt, gelegentlich vielleicht zu viel(e) auf diesem engen Raum. Nicht nur zu hoffen, sondern zu erwarten bleibt jedoch, dass die Öffnung des Volumens auf die avisierten 250 Seiten erzählerisch ausreichend Gelegenheit bieten wird, diese in gebotener Präzision und Plastizität zu entfalten und so nachvollziehbar zu machen, von welchen mentalen, intellektuellen wie emotionalen Leveln aus hier im Jahr 2031 gedacht, gesprochen und gehandelt wird. Ein Text, dessen Lektüre auf lohnende Weise irritiert, zuweilen verstört, auch ratlos, gerade deshalb aber vor allem gespannt und neugierig darauf macht, wie und wohin er sich zuletzt entwickeln wird.
Besseres lässt sich über ein im Entstehen befindliches Romanprojekt kaum sagen!
Sina Scherzant: Ätna
Ein Vulkanausbruch entsteht, wenn der Druck im Inneren des Vulkans durch Magma und Gase zu hoch wird. Wenn es ungesehen in den Tiefen kocht und brodelt, bis es schließlich zur Explosion kommt.
Auch im Leben und speziell im Unterleib von Lucia, der Protagonistin von Sina Scherzants neuem Roman, ist ein Kraftwerk zugange, das es nicht gut mit ihr meint. Es wird langsam, aber stetig gefüttert mit Schmerzen, denen die Ärzte außer Hormonen, die wiederum Depressionen verursachen, nichts entgegenzusetzen haben. Es wird angetrieben von der Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit ob der undurchschaubaren Systeme und Machthaber*innen, die ungebremst die Welt zerstören und dafür noch mehrheitlich bejubelt werden. Von täglichen Nachrichten über Gewalt an Frauen und Hetze gegen alles, was nicht in die häusliche Biedermeierschublade passt. Einzig die unkonventionelle Beziehung mit Partner Nico, an die im Laufe des Romans in Rückblenden erinnert wird, schien einmal ein Hafen der Sicherheit zu sein. Doch auch diese ist in die Brüche gegangen. Man spürt: Hier steuert alles auf einen Ausbruch hin, der der Zerstörung Pompejis in nichts nachstehen wird. Aber kann man es Lucia verdenken?
Sina Scherzant schreibt keine Kuschelbücher, so viel steht fest. Schon die beiden Vorgängerromane Taumeln und Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne beschäftigten sich mit ungemein wichtigen und doch so oft vernachlässigten Themen unserer Gesellschaft wie Einsamkeit, häuslicher Gewalt und innerer Emigration. Hand in Hand gehen bei Sina Scherzant immer Form und Inhalt, so auch in Ätna. Die Wut und den Zynismus, den Lucia entwickelt, finden wir in einer soghaften, schnellen Sprache mit atemlos langen Satzgefügen ausgedrückt, in Metaphern so spitz und präzise wie Wespenstiche. Erinnert sich Lucia dagegen wehmütig an Nico, wird auch der Ton leiser und sanft. Die Erzählstimme schmiegt sich virtuos an das Außen- und Innenleben der Figuren und bedient furchtlos die gesamte Klaviatur der deutschen Sprache. So kann man nicht anders, als den angekündigten Vulkanausbruch mit angehaltenem Atem zu erwarten.
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Die Jury
Der Jury gehörten unter der Leitung von Kulturreferent Marek Wiechers an: Agnes Brunner (C.H. Beck Verlag), Jutta Czeguhn (Süddeutsche Zeitung), Dr. Klaus Hübner (Literatur in Bayern, Münchner Feuilleton), Dr. Johannes John (Bayerische Akademie der Wissenschaften), Franz Xaver Karl (Bayerischer Rundfunk), Pamela Scholz (Glockenbachbuchhandlung) sowie aus dem Stadtrat: Mo Lovis Lüttig (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste-Volt), Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste-Volt), Andreas Babor (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Beatrix Burkhardt (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Marian Offman (Fraktion SPD).
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Die diesjährigen Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren werden an Désirée Opela und Sina Scherzant vergeben. Über die Vergabe beschloss der Feriensenat auf Empfehlung der Jury. Mit den 2015 von der Landeshauptstadt München eingerichteten Arbeitsstipendien werden jährlich Münchner Autorinnen und Autoren gefördert, die sich mit ihrem Werk bereits literarisch ausgewiesen haben und im Literaturbetrieb in Erscheinung getreten sind. Die Arbeitsstipendien sind mit jeweils 8.000 Euro dotiert und werden für literarische Projekte vergeben; die Autorinnen und Autoren müssen sich mit ihren Texten selbst bewerben.
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Die Projekte
Désirée Opela: Güstmann
Dass „die Zukunft früher auch besser“ war, wusste schon Karl Valentin, im gegenwärtigen Kunstbetrieb scheint die Utopie vollends zum Auslaufmodell geworden. An ihre Stelle ist, wenn Künftiges verhandelt wird, nahezu flächendeckend mit der Dystopie ihre dunkle Schwester getreten, wofür es leider Gründe gibt. Désirée Opela klassifiziert ihr Romanprojekt im Exposé als eine „intime Science-Fiction“, was mit Blick auf die Datierung seines ‚Spielraumsʽ überrascht. Während heutige Politik markante Eckdaten wie die geplante Klimaneutralität ins Übermorgen der 40er Jahre verlegt, siedelt Désirée Opela Güstmann bereits im Jahr 2031 an, von heute an gerechnet also im Morgen einer durchaus überschaubaren zeitlichen Distanz. Und doch scheint der aus der Perspektive der jeweiligen Figuren erzählte Text, sein Personal und dessen Erfahrungen, Gedankengebäude und Bewusstseinslagen aus einer fernen, ja fremden Welt zu kommen. Zwar gibt es Signale, die auf unsere unmittelbare Gegenwart verweisen, so die „antieuropäische Stimmung“ gegenüber einer (noch existierenden) „EU“, den Berg durch „Steuergelder“ finanzierter „Schulden“, einen in die Defensive geratenen „Rechtsstaat“ und nicht zuletzt nach wie vor auch „Wikipedia“.
Im Kontrast dazu durchzieht den Text zugleich ein Geflecht des Ominösen, Mysteriösen und Rätselhaften: Was hat es mit den „Frauen, die verschwinden“ auf sich, was mit dem „tableau“ oder dem „Sozialsektor“? Welche „Substanzen“ werden mit welchen Absichten und Wirkungen im „Labor“ destilliert – all dies, wo doch für den Protagonisten Güstmann „gar nichts mehr einen Sinn gibt“, Moral und Ethik Sache der „Glücklosen“ sind und sich dennoch „alle Systeme in absehbarer Zeit zugunsten einer neuen Weltordnung auflösen werden“. Die Welt von Güstmanns Vater, der „gedanklich immer noch im Sozialismus feststeckt“, scheint von solchen Entwürfen und Projektionen bereits Lichtjahre entfernt.
Viele Themen – Ökologie und Esoterik, Feminismus, Botanik und Pharmazeutik, Coaching und Lebensberatung bis hin zu ‚Systemʽ-Fragen der globalen Biosphäre – sind in die Arbeitsprobe gepackt, gelegentlich vielleicht zu viel(e) auf diesem engen Raum. Nicht nur zu hoffen, sondern zu erwarten bleibt jedoch, dass die Öffnung des Volumens auf die avisierten 250 Seiten erzählerisch ausreichend Gelegenheit bieten wird, diese in gebotener Präzision und Plastizität zu entfalten und so nachvollziehbar zu machen, von welchen mentalen, intellektuellen wie emotionalen Leveln aus hier im Jahr 2031 gedacht, gesprochen und gehandelt wird. Ein Text, dessen Lektüre auf lohnende Weise irritiert, zuweilen verstört, auch ratlos, gerade deshalb aber vor allem gespannt und neugierig darauf macht, wie und wohin er sich zuletzt entwickeln wird.
Besseres lässt sich über ein im Entstehen befindliches Romanprojekt kaum sagen!
Sina Scherzant: Ätna
Ein Vulkanausbruch entsteht, wenn der Druck im Inneren des Vulkans durch Magma und Gase zu hoch wird. Wenn es ungesehen in den Tiefen kocht und brodelt, bis es schließlich zur Explosion kommt.
Auch im Leben und speziell im Unterleib von Lucia, der Protagonistin von Sina Scherzants neuem Roman, ist ein Kraftwerk zugange, das es nicht gut mit ihr meint. Es wird langsam, aber stetig gefüttert mit Schmerzen, denen die Ärzte außer Hormonen, die wiederum Depressionen verursachen, nichts entgegenzusetzen haben. Es wird angetrieben von der Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit ob der undurchschaubaren Systeme und Machthaber*innen, die ungebremst die Welt zerstören und dafür noch mehrheitlich bejubelt werden. Von täglichen Nachrichten über Gewalt an Frauen und Hetze gegen alles, was nicht in die häusliche Biedermeierschublade passt. Einzig die unkonventionelle Beziehung mit Partner Nico, an die im Laufe des Romans in Rückblenden erinnert wird, schien einmal ein Hafen der Sicherheit zu sein. Doch auch diese ist in die Brüche gegangen. Man spürt: Hier steuert alles auf einen Ausbruch hin, der der Zerstörung Pompejis in nichts nachstehen wird. Aber kann man es Lucia verdenken?
Sina Scherzant schreibt keine Kuschelbücher, so viel steht fest. Schon die beiden Vorgängerromane Taumeln und Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne beschäftigten sich mit ungemein wichtigen und doch so oft vernachlässigten Themen unserer Gesellschaft wie Einsamkeit, häuslicher Gewalt und innerer Emigration. Hand in Hand gehen bei Sina Scherzant immer Form und Inhalt, so auch in Ätna. Die Wut und den Zynismus, den Lucia entwickelt, finden wir in einer soghaften, schnellen Sprache mit atemlos langen Satzgefügen ausgedrückt, in Metaphern so spitz und präzise wie Wespenstiche. Erinnert sich Lucia dagegen wehmütig an Nico, wird auch der Ton leiser und sanft. Die Erzählstimme schmiegt sich virtuos an das Außen- und Innenleben der Figuren und bedient furchtlos die gesamte Klaviatur der deutschen Sprache. So kann man nicht anders, als den angekündigten Vulkanausbruch mit angehaltenem Atem zu erwarten.
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Die Jury
Der Jury gehörten unter der Leitung von Kulturreferent Marek Wiechers an: Agnes Brunner (C.H. Beck Verlag), Jutta Czeguhn (Süddeutsche Zeitung), Dr. Klaus Hübner (Literatur in Bayern, Münchner Feuilleton), Dr. Johannes John (Bayerische Akademie der Wissenschaften), Franz Xaver Karl (Bayerischer Rundfunk), Pamela Scholz (Glockenbachbuchhandlung) sowie aus dem Stadtrat: Mo Lovis Lüttig (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste-Volt), Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste-Volt), Andreas Babor (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Beatrix Burkhardt (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Marian Offman (Fraktion SPD).