Info
Geb.: 6. 3.1894 in Dresden
Gest.: 24.9.1975 in München
Namensvarianten: geb. Elisabeth Anna Helena Borchardt

Elisabeth Castonier

Elisabeth Castonier wird 1894 als Einzelkind des Künstlermalers Felix Borchardt und dessen Frau Elisabeth de Bosse in Dresden geboren. Die Kleinfamilie besitzt einen internationalen Hintergrund: Während eine der beiden Großmütter aus Frankreich und die andere aus England stammt, ist einer der Großväter väterlicherseits deutscher Jude, der andere, der u.a. als Hofarchitekt des russischen Zaren wirkt, russischer Abstammung.

Castonier wächst in wohlhabenden Verhältnissen auf, darf an gehobenen Tee- und Abendgesellschaften teilnehmen und wird zum Großteil von Kinderfrauen erzogen. Dieser Wohlstand erlaubt es der Familie nicht zuletzt auch, mehrmals den Wohnsitz zu wechseln: 1899 ziehen die Borchardts nach Paris, dreizehn Jahre später, im Jahr 1912, nach Berlin.

Nachdem die Ehe der Eltern zerbricht und die Mutter nach München zieht, bleibt Castonier zunächst unter der Obhut ihres Vaters. Als dieser jedoch eine neue Lebensgefährtin kennenlernt, siedelt Castonier 1914 ebenfalls nach München über. In einer Schwabinger Pension wohnend, schließt die junge Frau Kontakt zu Künstlern der Schwabinger Bohème und sichert sich so Zugang zum Münchner Künstlerleben. Ihr Geld verdient sie sich mit Verlagsarbeit: Sie lektoriert, übersetzt französische Klassiker und schreibt eigene Gedichte sowie Kurzgeschichten.

1923 lernt Castonier auf einem künstlerischen Atelierfest Paul Castonier, einen dänischen Opernsänger, kennen. Beide verlieben sich und heiraten kurze Zeit später. Als die Ehe schließlich ihr Ende findet, zieht Castonier zurück nach Berlin und widmet sich ihrer schriftstellerischen Karriere – mit merklichem Erfolg. Ihre Artikel, Buchrezensionen und Berichte für diverse Berliner Zeitungen werden von Kritikern und der Leserschaft positiv aufgenommen; ihre politischen Kommentare und kritischen Einwürfe zeichnen sich durch satirische Raffinesse aus. Ebenso pointiert formuliert wie ihre Zeitungsberichte sind auch ihre Karikaturen. Als Beispiel sei Die fromme Hilde aus Hitlershofen angeführt, die Anfang der 1930er-Jahre in der satirischen Wochenschrift Die Ente veröffentlicht wird. Wie dem Namen bereits zu entnehmen ist, gilt die Persiflage dem Nationalsozialismus sowie seinen fanatischen Anhängern.

1932 erscheint Castoniers Debütroman Frau, Knecht, Magd, zunächst vom Berliner Tageblatt stückweise publiziert. Im selben Jahr erzielt die junge Schriftstellerin einen weiteren Erfolg: Ihr Roman Angèle Dufour wird mit dem Literaturpreis der Vereinigung der deutschen Staatsbürgerinnen ausgezeichnet und später zum Schauspiel Die Sardinenfischer umgeschrieben.

Doch während ihr politisch-kritischer Duktus von ihrem Publikum gelobt wird und auch Castoniers Person charakterisiert, gefährdet dieser nach 1933 erheblich ihre Karriere: Ihr Stück Die Sardinenfischer wird drei Wochen nach der am 21. Februar 1933 stattfindenden Uraufführung abgesetzt und an der Freien Volksbühne Berlin für verboten erklärt. Auch ihr zuvor ausgezeichneter Roman Angèle Dufour gehört bald zu den Werken deutscher Schriftsteller*innen, die im Rahmen der Bücherverbrennung im Jahr 1933 von den Nationalsozialisten auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. In ihrer Autobiografie beschreibt Castonier, die der Verbrennung beiwohnt, den Vorgang wie folgt:

Ich ging mit Ines zum Opernplatz, denn dergleichen sieht man nur einmal im Leben – und außerdem war es gut, Zeuge gewesen zu sein. Menschenmassen strömten die Linden entlang, Musikkapellen spielten, es herrschte Feiertagsstimmung. Fackelzüge marschierten auf, Studenten umstanden den Scheiterhaufen, warfen ihre Fackeln in die Flammen, hochbeladene Lastwagen brachten das Brennmaterial, die deutsche Literatur. Zuerst kamen die Prominenten, später alles, was aus Verlagen und Buchhandlungen an verbotenen Schriftstellern abgeholt worden war. [...] Gegen Mitternacht hielt der Ober-Derwisch Goebbels mit überschnappender Stimme eine Ansprache, die neue Beifallsstürme und Heilrufe provozierte. Dann kamen die Werke der Nichtprominenten an die Reihe, wurden ballenweise in die Flammen geworfen, und immer wieder riefen Stimmen: „Wir brauchen mehr, sonst geht das Feuer aus!“

Da Castonier durch Paul Castonier die dänische Staatsbürgerschaft erlangt hat, kann sie trotz der immer stärker werdenden Schikanen des Nationalsozialismus noch einige Zeit in Deutschland leben. Als eine Emigration 1934 jedoch unausweichlich scheint, flieht Castonier nach Wien. Hier verdient sie sich als Zeitungsverkäuferin ihr Geld und verfasst nebenbei Berichte für das Wiener Tageblatt sowie das Theater- und Kulturmagazin Die Bühne. Des Weiteren ist sie in dieser Zeit als Korrespondentin für ausländische Zeitschriften wie die Pariser Tageszeitung und den New Statesman tätig. Nach der Annexion Österreichs an Deutschland 1938 flüchtet Castonier schließlich in die italienische Gemeinde Positano und im September desselben Jahres nach London. Da sich ihre finanzielle Situation verschlechtert, erhält sie, nicht zuletzt durch die Unterstützung Thomas Manns, einen Fond für verfolgte Schriftsteller*innen und arbeitet zusätzlich für die BBC. Sie schreibt für Exilzeitungen und veröffentlicht 1942 ihr Buch The Eternal Front – ein Werk über den religiösen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Neben ihrem politischen Engagement verfasst Castonier auch englischsprachige Kinderbücher. Ihr erster englischsprachiger Roman Tony, the Donkey, mit Illustrationen von Walter Tier, erscheint 1941 im Collins Verlag. Es folgen weitere Veröffentlichungen, z.B. Shippy the Tortoise im Jahr 1942.

1944 kehrt Castonier London den Rücken und zieht sich auf die Farm von Jane Naupier, einer Freundin in Hampshire, zurück. Hier arbeitet sie als Landarbeiterin, bis sie sich 1955 zwangsweise, aufgrund stark auftretender Arthrose und Rückenproblemen, wieder der literarischen Arbeit widmet. In einem Cottage in Wiltshire entsteht 1959 Mill Farm. Menschen und Tiere unter einem Dach, ein Roman über das Leben auf dem Bauernhof und das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren.

In dieser Zeit korrespondiert Castonier zudem mit Mary Tucholsky, der Witwe Kurt Tucholskys. Ihr vertraut sie ihre Sorgen und gesundheitlichen Probleme an, berichtet von ihrem jahrelangen Exil, den Geldsorgen und ihrer Autobiografie Stürmisch bis heiter: Memoiren einer Außenseiterin. Diese erscheint 1964 und erzielt auch Jahre später noch hohe Auflagen. Es folgen weitere, hauptsächlich autobiografische Veröffentlichungen, wie Seltsames Muster (1971) oder Unwahrscheinliche Wahrheiten (1975). 1975 zieht Castonier nach München zurück. Ihren letzten Brief an Mary Tucholsky verfasst sie am 5. September 1975 mit den Worten: „Bleiben Sie gesund. Ich werde es wohl nicht werden.“

Elisabeth Castonier stirbt am 24. September 1975 im Josephinum in München und wird auf dem Friedhof Nymphenburg begraben. 

2012 initiiert der Künstler Wolfram Kastner die vorübergehende Umbenennung des Königsplatzes zum Elisabeth-Castonier-Platz. Auf sechs Straßenschildern können Passanten Informationen zu Castoniers entnehmen und so mehr über ihr Leben und ihre Leistungen erfahren. Wenige Jahre später erhält Castonier auch einen permanenten, nach ihr benannten Platz: Im Stadtteil Messestadt Ost des 15. Stadtbezirks Trudering-Riem existiert seit September 2017 offiziell der Elisabeth-Castonier-Platz. 2022 soll hier ferner die Stadtbibliothek Riem eröffnet werden.

Im Rahmen der Blog-Aktion „Frauen und Erinnerungskultur #femaleheritage“ lädt die Münchner Stadtbibliothek 2020 ihre Leserschaft dazu ein, das Bewusstsein für fast vergessene Frauen von Kunst, Kultur und Wissenschaft zu stärken und ihre Leistungen für die Gesellschaft in Erinnerung zu rufen. Unter den zahlreichen weiblichen Persönlichkeiten wird auch Elisabeth Castonier mit einem Porträt zu ihrem ereignisreichen Leben gewürdigt.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Corinne Theis

Sekundärliteratur:

http://www.lesekost.de/Biograf/HHLB08.htm, (12.10.2021).

http://biografia.sabiado.at/castonier-elisabeth/, (12.10.2021).

https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/der-koenigsplatz-heisst-jetzt-mal-anders-art-165105, (12.10.2021).

Benner, Julia (2015): Federkrieg. Kinder- und Jugendliteratur gegen den Nationalsozialismus 1933-1945. Göttingen.

Dove, Richard (2012). [Rezension von Exil im Nebelland: Elisabeth Castoniers Briefe an Mary Tucholsky. Eine Chronik, by Deborah Vietor-Engländer]. The Modern Language Review, 107 (1), S. 318f. URL: https://doi.org/10.5699/modelangrevi.107.1.0318, (12.10.2021).

Vietor-Engländer, Deborah (2004): Elisabeth Castonier. In: Wall, Renate (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945. Gießen, S. 69-71.

Quelle:

Elisabeth Castonier: Stürmisch bis heiter. Memoiren einer Aussenseiterin. München 1985, S. 208f.


Externe Links:

Literatur von Elisabeth Castonier im BVB

Literatur über Elisabeth Castonier im BVB

Elisabeth Castonier bei FemBio

Elisabeth Castonier – Schriftstellerin, Landarbeiterin, Kosmopolitin | #femaleheritage

Elisabeth Castonier in der Wikipedia