Tabor Süden

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Bahnhofshalle. Foto: Rüdiger Rohrbach

Vermisste, nicht Mordopfer, stehen im Mittelpunkt von Friedrich Anis Krimireihe um Kommissar Tabor Süden. Dieser arbeitet zunächst in der Münchener Vermisstenstelle des Dezernats 11, später in einer Detektei und hat bisher fast 20 Fälle gelöst, darunter German Angst, Süden und der Straßenbahntrinker, Süden und die Frau mit dem harten Kleid, Süden und der Luftgitarrist, Süden und das grüne Haar des Todes, Süden und die Schlüsselkinder, Süden und das heimliche Leben und M.

In der Folge Süden und der Luftgitarrist geht Tabor Südens Kollege Martin Heuer als zweitbester Teilnehmer aus der Vorrunde der Stadtmeisterschaft im Luftgitarrespielen hervor. Plötzlich verschwindet sein schärfster Konkurrent spurlos. Süden, Heuer und das Team vom Dezernat 11 nehmen die Suche nach ihm auf.

Gegen fünf Uhr morgens parkte ich den anthrazitfarbenen Opel im Hof des Dezernats, und wir machten uns auf den Weg zum Hauptbahnhof, um zu frühstücken. Keiner von uns hatte Hunger, wir hatten nur, jeder für sich und ohne dass wir darüber gesprochen hätten, das Bedürfnis, ein paar Minuten unter Leuten zu sein, die es wirklich gab, in einer Halle, in der Lichter brannten und es nach frischem Brot und Kaffee roch, unter einem Stimmenhimmel aus Stahl, in einer großen Anwesenheit. So standen wir an einem der runden Stehtische nahe der Glaswand, die den gastronomischen Bereich von der Bahnhofshalle trennte, tranken heißen schwarzen Kaffee, aßen Croissants und schwiegen.

(Friedrich Ani: Süden und der Luftgitarrist. Knaur Verlag, München 2003, S. 153)

Die zentrale Idee der Tabor Süden-Reihe Friedrich Anis ist die des Verschwindens. „Manche Menschen werden erst durch ihr Verschwinden sichtbar“, erklärt der Autor, der den Leser an Plätze führt, die man normalerweise nicht mit München verbindet, so auch die Münchner Tafel an der Schwabinger Karl-Theodor-Straße.

Am Eingangsbereich des Pfarramts St. Sebastian an der Karl-Theodor-Straße bereiteten fünf Frauen ein Frühstück vor, das aussah, als wäre es zugleich ein Mittag- und Abendessen. Auf zwei langen Bänken reihten sich Obstkisten mit Tomaten, Gurken, Bananen, Äpfeln, Brot und Käse aneinander, dazwischen Thermoskannen, Tassen und Teller, Löffel, Messer und Gabeln aus Plastik, Servietten, Stofftaschentücher, ein paar Handschuhe und Mützen aus Wolle, und unter den Bänken Waschkörbe mit eingeschweißten Würsten, Joghurtbechern und anderen Lebensmitteln. Es roch nach starkem Kaffee.

Eine Frau reicht Tabor Süden und seinem Kollegen Honigbrote. Sie kennt den Mann, nach dem die beiden Kriminalbeamten suchen. Er ist Stammgast bei der Münchner Tafel und nun schon eine Weile nicht mehr dort gewesen. Es sind nicht nur die Arbeitslosen, die zu ihnen kommen. Die Frau erklärt: „Wir haben auch Rechtsanwälte, Doktoren, Studierte, viele Frauen, die was gelernt haben, das sind hier nicht nur die klassischen Obdachlosen, das ist ja das Schlimme, dass in einer Stadt wie München so viel Armut ist, und keiner siehts.“

(S. 158ff.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt