Bestien

Was sind die größten Bedrohungen einer Idylle? Nicht nur neuzeitliche Modernisierungen, sondern auch archaische Mythen. Dazu gehört die Vorstellung einer wilden Bestie, die im Wald ihr Unwesen treibt. In einer kleinen Oberpfälzer Gemeinde, deren Name nicht genannt wird, taucht plötzlich das Gerücht auf, dass ein riesiger Wolf in der Gegend herumstreife. Wie es dazu gekommen ist, lässt sich nicht rekonstruieren, doch innerhalb kürzester Zeit bricht ein regelrechtes „Wolfsfieber“ aus. Davon erzählt Raimund A. Mader in seiner gleichnamigen Kriminalgeschichte.

Etwas Dunkles war in das behütete Leben der Menschen getreten, war Teil davon geworden, und selbst die, die sich bislang in lächerlicher Überheblichkeit als aufgeklärte und furchtlos Denkende verstanden hatten, mussten mithin zugeben, dass ihnen die Vorstellung eines mörderischen Tieres, das jederzeit ihren Weg kreuzen konnte, ungeahnte Schauer über den Rücken jagte.

(Tatort Oberpfalz. 10 Kriminalgeschichten. ars vivendi verlag, Cadolzburg 2013, S. 92)

Es dauert nicht lange, bis sich die Presse des Falles annimmt und ausführlich über die „Bestie“ annimmt. Fernsehteams rücken an und die Kommunalpolitiker nutzen die Chance der Selbstdarstellung. Sie fordern „mit wichtiger Miene“ Hilfe aus Regensburg, wenn möglich sogar aus München an.  

Mit dem Verschwinden der 13-jährigen Tochter des Bürgermeisters, Laura, wird die diffuse Angst konkret. Bereits zwei Tage nach ihrem Verschwinden werden Polizisten aus allen Teilen der Oberpfalz in die kleine Gemeinde zur Suche eingesetzt.

Aus Regensburg, Weiden, Amberg und vielen anderen Städten, sogar aus München, wurden sie zusammengezogen und zum Ort des Verwindens gebracht. Dort durchstöberten sie die Gegend Millimeter für Millimeter, doch vergeblich. Das Mädchen blieb verschwunden.

(Ebda., S. 96)

Erst einige Monate später wird die Leiche des Mädchens in einem nur schwer zugänglichen Waldstück von einem Pilzsammler entdeckt.

Die Bewohner des kleinen Ortes kannten sich alle gegenseitig, und man war sich sicher, dass keiner aus ihrer Mitte etwas mit dem Tod der Laura zu tun haben konnte. Darauf schwor man Stein und Bein. Trotz aller Feindschaft, die hie und da herrschte, trotz Neid und Verleumdung, wie sie unter Menschen nun mal vorkommen, niemand traute dem Anderen zu, ein derartiges Verbrechen begangen zu haben. Und wenn es doch einen Hauch von Zweifel gab, so sprach niemand darüber.

(Ebda., S. 98)

Als die Männer ausrücken, um die Bestie unschädlich zu machen, bewaffnen sie sich mit Taschenlampen, Schrotflinten. Knüppeln, Mistgabeln und Messern – „Mordwerkzeuge, die zu benutzen sie bereit waren“. Doch ihre Suche führt zu einem unerwarteten und folgenschweren Ergebnis: „Von einem Wolf, der in ihr Paradies eingebrochen war, wurde in dem kleinen Oberpfälzer Städtchen seit jenem grauen Morgen jedoch nie mehr gesprochen.“ (Ebda., S. 103)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt

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