Ibsen und Peter Zadek

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Szene aus Zadeks "Baumeister Solness"-Inszenierung mit Barbara Sukowa und Hans-Michael Rehberg

Der Schriftsteller und Literaturkritiker Reinhart Baumgart (1929-2003) zeigt sich in seiner Besprechung erstaunt über die leisen Töne, die Peter Zadek in seiner Inszenierung von Ibsens Baumeister Solness im Frühjahr 1983 am Münchner Residenztheater anschlägt. Der Regisseur und Intendant Peter Zadek (1926-2009) schrieb mit seinen unkonventionellen Inszenierungen Theatergeschichte. Die Werke Ibsens gehörten zu seinen bevorzugten Stücken.

Mit Anfang Sechzig hat Ibsen einen Traum entworfen, den Goethe schon mit Ende Fünfzig seinem Sekretär diktierte: die Vision von einem Herrn „im besten Mannesalter“, dem ein sehr junges Mädchen erscheint - natürlich, um ihm zu bedeuten, dass ihn statt Resignation, Alter und Tod nun die Wiedergeburt in ein neues Leben, eine zweite Jugend erwartet.

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Jede grelle Sensation blieb aus. Zadek will Ibsen zwar dem 19. Jahrhundert entreißen, also enthistorisieren, aber nicht etwa schlicht auf heute umdatieren. Irgendwo und irgendwann zwischen damals und jetzt, zwischen Gustav Mahler und Ludwig Thoma, Jugendstil und Karstadt spielt auch dieser Baumeister Solness.

Der lebensverkündende, todbringende blonde Irrwisch Hilde Wangel stürmt ins Atelier auf Wanderschuhen aus dem letzten Sommerschlussverkauf, trägt auf dem Kopf eine alte skandinavische Studentenmütze, am Gürtel ein Fahrtenmesser, das Blechfeldfläschchen der Wandervögel: Das Mädel ist ausgestattet mit dem nostalgischen Mischmasch unserer Flohmärkte. Wie eine Lockung von Munch, wie Alraune oder Melusine oder ein Postkarten-Todesengel sieht diese kesse Figur nicht aus. Und Barbara Sukowa palavert auch los, als wäre sie von Berlin Alexanderplatz rübergewandert.

Der Baumeister Solness des Hans Michael Rehberg sieht sie trotzdem an wie eine Erscheinung, mit dem traurigen Angstblick eines Süchtigen vor dem unwiderstehlichen Gift.

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Zadeks Enthistorisierung setzt die Figuren frei von allem geschichtlichen, gesellschaftlichen Druck. Dagegen hilft auch nichts, wenn im dritten Akt ein riesiges Gletschermassiv leuchtet, in dem sich eine weitere Variation zu C. D. Friedrichs Eisschollenbild Die gescheiterte Hoffnung erkennen lässt, einem Lieblingsmotiv progressiver deutscher Bühnenbildkunst der siebziger Jahre.

In diesem Baumeister Solness scheitert keine emanzipatorische Hoffnung, sondern nur ein Mensch. Aber dieses nur hätte der alte Ibsen nicht unterschrieben, und der noch gar nicht so alte Zadek schließt sich dieser Weigerung werkgetreu an.

(Reinhart Baumgart: In der Mittlebensklemme. Über Peter Zadeks Baumeister Solness-Inszenierung. In: Der Spiegel, 2. Mai 1983)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt