Flucht nach Übersee

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Freiheitsstatue, Liberty Island, New York.

Als klar wird, dass die deutsche Wehrmacht Europa überrennen wird, wollen viele Exilanten weiterfliehen ins sichere Nordamerika. Doch als traditionelles Einwanderungsland haben die USA ein strenges Einwanderungssystem, das nach Quoten funktioniert, die auch angesichts der Bedrohung durch Hitlerdeutschland nicht erhöht werden. Zudem müssen Flüchtlinge nachweisen können, dass sie dem amerikanischen Staat nicht zur Last fallen. Man muss also entweder selbst über genügend finanzielle Mittel verfügen, einen amerikanischen Arbeitsvertrag vorweisen können oder ein Affidavit, sprich die Bürgschaft eines amerikanischen Staatsbürgers in der Tasche haben, um einreisen zu können. Von 1940 an müssen sich Einreisewillige zudem einer Art Sicherheitsprüfung unterziehen.

Trotz der weltpolitischen Lage sind Umfragen zufolge 83 Prozent der Amerikaner dagegen, die Einwanderungsgesetze für verfolgte Europäer zu ändern. Die Zusammenarbeit des New Yorker Emergency Rescue Committee mit einem von Präsident F. D. Roosevelt ins Leben gerufenen amerikanischen Flüchtlingskomitee führen dazu, dass für bestimmte Prominente die Quoten umgangen werden können, falls sie ansonsten alle Anforderungen erfüllen. Auf diese Weise können unter anderem Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger einreisen. Thomas und Katia Mann fahren bereits Mitte April 1937 von Le Havre aus in Richtung USA. Ludwig Marcuse und seine Frau Erna Reich folgen im März 1939.

Ich beschloss, weiterzufliehen. Es wäre eine arge Untertreibung, sagte ich: wir wanderten ungern nach Amerika aus. Nichts wollte ich weniger als das. Ich wäre überallhin lieber emigriert nur nicht in die Neue Welt, die mir weniger neu als unheimlich schien. Ich wollte nur so weit wie möglich fort von Europa; nach den Tagen von München war ich überzeugt: das deutsche tausendjährige Europa ist nicht eine Ruhmredigkeit sondern (für die Zeit unseres Lebens wenigstens) eine sehr präzise Aussage. [...] So war ich seit den Tagen von München täglich auf dem amerikanischen Konsulat in Paris; alle meine Wünsche waren nichts vor einem einzigen: dem Visum. Mephisto hätte damals meine unsterbliche Seele für diesen Preis haben können.

(Ludwig Marcuse: Mein zwanzigstes Jahrhundert. Paul List Verlag, München 1963, S. 248f.)

Nach mehreren Jahren in New York ziehen die Marcuses, die 1944 amerikanischen Staatsbürger werden, 1945 nach Los Angeles. Hier übernimmt Ludwig Marcuse eine Professur für deutsche Literatur und Philosophie an der University of Southern California. Von 1949 an reisen sie regelmäßig nach Deutschland, wohin sie Anfang der 1960er-Jahre zurückkehren. Sie lassen sich in Bad Wiessee nieder, wo Marcuse am 2. August 1971 stirbt.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl