Der Kunst-Salon J. Littauer am Odeonsplatz

Der Ruf des Kunst-Salons J. Littauer, insofern er als Vorbild für das Schönheitsgeschäft von M. Blüthenzweig zu erkennen ist, ist kein besonders guter. Sein Wirken wird im Allgemeinen als Vertrieb von „bloßen“ Reproduktionen nach den Werken von den Alten und Modernen Meistern eingestuft, ihm ist nie eine besondere Tätigkeit als Vermittler von moderner Kunst attestiert worden. Die bekannteste Anekdote, die sich in unvorteilhaftester Art auf den Kunst-Salon bezieht, stammt vom bayerischen Schriftsteller Oskar Maria Graf und erzählt, ganz gewiss nicht in korrekter Überlieferung, von Jakob Littauers angeblicher, auch noch besonders grober Ablehnung um 1911 von großen Bildern von Franz Marc und Wassily Kandinsky: Die Dienstmänner, die die Bilder angeblich unangemeldet aus der Werkstätte der Künstler in der Türkenstraße vorbeigebracht hatten, habe Littauer mit den Worten abgefertigt: „Marsch, fort mit Ihnen und dem Sudelzeug“ – eine für Littauer ganz und gar uncharakteristisch klingende, wohl literarisch erhöhte Ablehnung im Interesse einer guten Geschichte – 55 Jahre später erzählt und folglich mit Vorsicht zu genießen – denn Littauer war als blendender Geschäftsmann nachweislich für alle Richtungen der Kunst offen, besonders für die Avantgarde in Gestalt eines Hermann Obrist und den werdenden, progressiven Jugendstil überhaupt. Die Bilder von Marc und Kandinsky haben laut Graf sehr bald zum wachsenden Renommée der Galerie Hans Goltz in der Briennerstraße beigetragen, die sie gern übernommen haben soll [33].

Der jüdische Kunsthändler Jakob Littauer scheint aber keinesfalls von der Art zu sein, die die moderne Kunst der Abstraktion instinktiv abgelehnt hätte. Am 22. April 1854 in Liegnitz, Schlesien, damals Preußen, geboren, übersiedelte er 1883, aus Cottbus kommend, nach München, wo er am 26. Oktober die Kunsthandlung J. Littauer in der Theatinerstr. 17 anmeldete [34]. Er wurde 1885 Mitglied des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins München [35]. In der Theatinerstraße blieb er bis 1893, als er zum Odeonsplatz 2 wechselte. Littauer hat von Anfang an auch Originalwerke zeitgenössischer Künstler neben den Druckarbeiten nach Werken der Alten Meister usw., ausgestellt, aber erst Anfang der 1890er Jahre scheint er diesem Zweig des Kunsthandels mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. 1891 merkt die Münchner Neueste Nachrichten an, dass der Kunst-Salon Littauer Zeichnungen aus dem Skizzenbuch des Malers H. Lang ausstellt [36]; 1893 findet Anfang April die Ausstellung der Gesellschaft deutscher Aquarellisten in der Kunsthandlung von J. Littauer statt, unter Beteiligung von Hans von Bartels, Max Fritz, Franz Skarbina, Ludwig Dettmann, Arthur Kampf, Hans Herrmann, Fritz Stahl und C. R. Bantzer: Die Zeitschrift Die Kunst für Alle reagierte sehr positiv und beschrieb die Ausstellung als „von der besten Seite“ der modernen Kunstrichtungen [37]. Im selben Jahr berichtet dieselbe Zeitschrift in einem Ton, der die nun vollkommene Akzeptanz von Littauer in der Münchener Kunstszene erahnen lässt: „Der sehr rührige Münchener Kunsthändler Jakob Littauer veranstaltet in seinem Kunstsalon eine Ausstellung von Werken des Meisters Wilhelm Leibl. Die Ausstellung wird Ölgemälde und Zeichnungen umfassen“ [38].

In den nachfolgenden Jahren gab es zahlreiche Ausstellungen zur Moderne im Kunst-Salon J. Littauer. Eine sehr wichtige fand im Dezember 1895 statt und dokumentiert gleichzeitig die Verbindung von Littauer zu seinem Kollegen Siegfried Bing in Paris: „Im Kunstsalon Littauer am Odeonsplatz hier, der durch die Rührigkeit seines Besitzers zu einer Stätte mancherlei Anregung für die hiesigen Kunstkreise geworden ist, war unlängst anläßlich der Eröffnung der dem bisherigen Lokal hinzugefügten, neuen Räume eine Ausstellung alter japanischen Farbendrucke veranstaltet. In den ausgestellten Blättern, die der Sammlung Bing in Paris entstammten, waren die gefeiertesten Namen aus der Blütezeit des japanischen Kunstlebens Ende des vorigen und anfangs dieses Jahrhunderts vertreten“. Es war das erste Mal, dass eine Ausstellung in München auf die Kunst des japanischen Farbholzschnitts aufmerksam gemacht hat, die nebenbei noch so entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Jugendstils nehmen sollte [39]. Gefolgt wurde diese Ausstellung im Frühjahr 1896 von einer Ausstellung mit 38 Stickereien von Hermann Obrist (1862-1927), ausgeführt von Berthe Ruchet (1855-1932): Diese Ausstellung zeigte eine vollkommen neue Auffassung der Natur in ihrer Linearität und Spannung und stellt die allererste Ausstellung dar, die dem werdenden, aber noch nicht so genannten Jugendstil gewidmet war [40].

 

[33] Oskar Maria Graf. Gelächter von Außen – aus meinem Leben 1918-1933, Hg. Wilfried F. Schoeller, List Verlag, München 1994, S. 42-53; Martin Arz u. Ulrich Schall. Die Maxvorstadt – Die unbekannte Schöne, Hirschkäfer-Verlag, München 2008, S. 78.

[34] Stadtarchiv München, PMB No. 109272. Haupt-Liste für die In-Reichs-Ausländer. Angelegt am 27.10.1883; verso Gewebe-Bezeichnung No. 472, Kunsthandlung Fa. J. Littauer, Anmeldung 26. 10. 1883.

[35] Adress-Buch des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins in München. Für das Jahr 1886, S. 41: Littauer, J., Kunsthändler; S. 73 e) Buch- und Kunsthändler sowie Verleger, Littauer, J., Kunsthandlung Theatinerstraße 17.

[36] MNN, 8. September 1891, S. 4.

[37] KfA, München, Jg. 1893, S. 186 u. S. 262. Die Ausstellung wurde tatsächlich erst Anfang Mai eröffnet: Allgemeine Zeitung, München, 29. April 1893, S. 4-6.

[38] Ebda., S. 285.

[39] Ebda., Bd. XI, 1896, Heft 6, 15. 12. 1895, S. 94.

[40] Freiheit der Linie. Von Obrist und dem Jugendstil zu Marc, Klee und Kirchner. Ausstellungskatalog Westfälisches Landesmuseum, Münster. Hg. Erich Franz, Verlag Kettler, Bönen 2007; Ingvild RichardsenLeidenschaftliche Herzen, feurige Seelen. Wie Frauen die Welt veränderten, S. Fischer, Frankfurt a. M., 2019, S. 142-147.

Verfasst von: Graham Dry