Genie und Wahnsinn

Der am 24. Januar 1776 in Königsberg geborene E.T.A. Hoffmann lebte von 1808 bis 1814 in Bamberg. Der vielseitig Begabte wandte sich für einige Zeit von der Juristerei ab und der Musik zu: Er nahm eine Stelle als Kapellmeister am Bamberger Theater an. Parallel zur Musik konzentrierte er sich mehr und mehr auf die Literatur. Darüber hinaus verschaffte er sich Einblicke in die Psychiatrie und den Magnetismus – Grundlagen seiner späteren Traum-, Spuk- und Wahnsinnsdarstellungen. Der befreundete Weinhändler Carl Friedrich Kunz öffnete ihm seine umfangreiche Bibliothek mit Werken von Goethe, Schlegel, Novalis, Schelling, Tieck, Kleist, Arnim, Calderon u.a. und vermittelte die persönliche Bekanntschaft mit Friedrich Gottlob Wetzel und Jean Paul. 1809 begann er, Erzählungen in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung zu publizieren, darunter Ritter Gluck. 1814 veröffentlichte er die ersten drei Bände der Fantasiestücke in Callot's Manier.  In Bamberg begann er auch mit der Arbeit an seiner Oper Undine, die als erste romantische Oper gilt. Als Das Fräulein von Scuderi in dem Zyklus Die Serapionsbrüder (1819/21) erschien, war er bereits wieder in den Staatsdienst zurückgekehrt. 1814 trat er ins Berliner Kammergericht ein und wurde zwei Jahre später Kammergerichtsrat, bis man ihn 1819 in die Kommission „zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und gefährlicher Umtriebe“ berief.

Die Lebensbeichte seines Protagonisten Cardillac gehört bis heute zu den bizarrsten Mordgeständnissen und hat den Komponisten Paul Hindemith zu einer Oper inspiriert: Cardillac wurde am 9. November 1926 in der Dresdner Semperoper uraufgeführt.

„Um nur mit Gold und edlen Steinen hantieren zu können, wandte ich mich zur Goldschmiedsprofession. Ich arbeitete mit Leidenschaft und wurde bald der erste Meister dieser Art. Nun begann eine Periode, in der der angeborne Trieb, so lange niedergedrückt, mit Gewalt empordrang und mit Macht wuchs, alles um sich her wegzehrend. Sowie ich ein Geschmeide gefertigt und abgeliefert, fiel ich in eine Unruhe, in eine Trostlosigkeit, die mir Schlaf, Gesundheit – Lebensmut raubte. – Wie ein Gespenst stand Tag und Nacht die Person, für die ich gearbeitet, mir vor Augen, geschmückt mit meinem Geschmeide, und eine Stimme raunte mir in die Ohren: 'Es ist ja dein – es ist ja dein – nimm es doch – was sollen die Diamanten dem Toten!' – Da legt' ich mich endlich auf Diebeskünste. Ich hatte Zutritt in den Häusern der Großen, ich nützte schnell jede Gelegenheit, kein Schloss widerstand meinem Geschick, und bald war der Schmuck, den ich gearbeitet, wieder in meinen Händen. – Aber nun vertrieb selbst das nicht meine Unruhe. Jene unheimliche Stimme ließ sich dennoch vernehmen und höhnte mich und rief: 'Ho ho, dein Geschmeide trägt ein Toter!' – Selbst wusste ich nicht, wie es kam, dass ich einen unaussprechlichen Hass auf die warf, denen ich Schmuck gefertigt. Ja! im tiefsten Innern regte sich eine Mordlust gegen sie, vor der ich selbst erbebte.“

(E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi, S. 56)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt

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Kupferstich (Bayerische Staatsbibliothek München/Porträtsammlung)
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