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19.07.2013, 18:20 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [205]: Je kultivierter der Hund, desto mehr bellt er

Oefel verlässt das Kadettenhaus, der Engel muss mit. Oefel hat Interessen, Gustav poetische Gefühle – dies wäre der Gegensatz, der Oefel an Gustav interessiert. Oefels Interesse? Er hat ein belletristisches an Gustav und ein amouröses an der Ministerin, also der Frau des Ministers, aber auch dieses Interesse ist kein ehrlich Unverstelltes, sondern ein Vermitteltes, um nicht zu sagen: ein entfremdetes, denn seine vorgespiegelte Neigung zur Hoffrau will verdecken, dass sein eigentliches Interesse Beata gilt – und auch hier verrät die Sprache, mit welcher Neigung er die junge Frau buchstäblich zu erobern gedenkt: „die er in ihrem Schlosse aus dem seinigen zu beschießen, wenigstens zu blockieren vorhatte“.

In diesem Sinne ist Oefel der pure Höfling, der, anders als die beiden jungen Leute, dort unmenschlich agiert, wo er, „wie Hofleute und Weiber, nur Einzelwesen, nicht den Menschen studiert“. Nun wäre allerdings die Frage, ob dieses Verhalten ein gesellschaftlich anerzogenes oder ein individualpsychologisches ist, das unabhängig vom sozialen Stand, in dem Oefel aufwuchs, sich ausbildete. Wie wurde er sozialisiert? Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen musste er mitbringen, um derart inhuman durchs Leben zu gehen? Und wie frei muss einer sein, um wie Gustav – zumindest in seiner Jugend – und Beata „poetische Idyllen-Jahre“ zu erleben, obwohl er bei einem Vater wie Falkenberg oder Roeper aufwuchs: im Grunde sinistren Herzen, bei denen die Ausnahme die Regel darstellt? Sind die feinen Unterschiede [1] zwischen Gustav und Oefel auf die Erziehung durch den „Genius“ erklärbar – oder waren sie von vornherein im Charakter des Jungen angelegt?

Der Höfling betreibt das Spiel um des Spiels willen; er ist, streng genommen, ein Hasardeur des Lebens, dem der Ernst fehlt, um in jenes Leiden an der Welt und in jene melancholischen Tiefen zu fallen, die unsere beiden jungen Leute geradezu auszeichnet. In der Liebe, sagt „Jean Paul“, ziehe er die Kriegszüge der Beute vor: allein dies muss irritieren.

Auch ein Zeitgenosse Jean Pauls, Oefels, Gustavs und Beatas, der 1788 von Johann Berka in ein starkes Altersbildnis gebannt wurde: Giacomo Casanova[2]. Just in den Jahren, in denen Jean Paul Die unsichtbare Loge schrieb, arbeitete er an seinem Monumentalwerk, den Mémoires – einem Meisterwerk der Erinnerungsliteratur, das einen durchaus sympathischen Charakter offenbart.

Mit Casanova verbindet den Dichter eher Indirektes: der Italiener rühmte die in Bayreuth aufgewachsene Tochter der Markgräfin Wilhelmine als „schönste Prinzessin Deutschlands“, die nach der Trennung von ihrem Mann in der Fantasie bei Bayreuth residierte, wo Jean Paul eine wichtige Szene des Siebenkäs spielen ließ, und wo er in seiner Bayreuther Zeit öfters zu Gast war. Außerdem kannte Jean Paul Henriette Schuckmann, die 1795 nach Bayreuth zog und seit 1796 mit Casanova im Briefverkehr (so muss man das wohl nennen) stand.

Im gegenteiligen Sinn war Casanova ein absoluter Ehrenmann der amour passion – Casanova, der von sich bekannte, dass er niemals eine Frau mit Drogen (den plumpen Geheimwaffen der erotischen Kriegsführung) vollpumpen musste, dass er, im Gegenteil, immer sie selbst und ihre autonome Persönlichkeit, ja, erobern wollte: Madame X. oder Mademoiselle Y., die individuellen Wesen, denen er augenblicklich verfallen war. Oefel kennt so etwas nicht; alles ist ihm Mittel zu einem Zweck, der seinen Sinn in der trockenen Exekution der Mittel sucht, nicht eines Zweckes um des umkämpften Gegenstandes willen: „Er hätte als Gesandter aus Krieg Frieden und aus Frieden Krieg gemacht, um nur zu unterhandeln.“ Und also will er Gustav überreden, an den Hof zu kommen, wo einzig die Lebenskunst, das savoir vivre herrsche. Jean Paul findet für diese „verfeinerte“ Kunst ein witziges wie treffendes Bild: die Hunde, bellen umso mehr, je kultivierter sie sind – „der Schoßhund mehr als der Hirtenhund, der wilde gar nicht“.

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[1] Ohne Pierre Bourdieus Theorie hier weiter zu diskutieren, muss der Blogger doch bemerken, dass die Thesen des französischen Soziologen hilfreich sind, um sich durch das Gestrüpp der Gesellschaft zu schlagen – ungeachtet der Tatsache, dass der, der ein System hat, nicht mehr frei denkt.Es mag reizvoll sein, eine moderne, konsistente Theorie auf den Roman zu legen – angemessen ist es schon deshalb nicht, weil Jean Paul seinen eben nicht in Sicht auf eine vorgefertigte Theorie konzipierte. Dies zur Warnung für alle, die mit der linken Hand Foucault, Derrida, Bourdieu, Lacan (die französischen Meisterdenker) lesen – und mit der rechten im Roman wühlen.

[2] Der Blogger fühlt sich diesem Mann aus verschiedenen Gründen verbunden: weniger aus erotischen als aus literarischen, denn das 1998 im Markgräflichen Opernhaus uraufgeführte, zusammen mit Marieluise Müller geschriebene Stück Casanova kam zu spät blieb eine schöne Erinnerung. Von Venedig ganz abgesehen – aber dies gehört schon zum Bereich „Banalität“.

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