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27.09.2012, 17:28 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [2]: Was ist der Mensch und warum nur?

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So stellte sich das späte 18. Jahrhundert die Geschichte des Philosophen Abelard und seiner Schülerin Heloise vor. Angelica Kauffmann, die auch Jean Pauls Freundin Julie von Krüdener konterfeite, hat uns diese empfindungsreiche, gewiss auch von Lektüren genährte Version der Geschichte überliefert.

Der zweite Eintrag – und schon muss eine Korrektur erfolgen. Erstens heißt der Jugendroman, den Jean Paul nach der Lektüre des „Werther“ unziemlich übersättigt herausspuckte, Abelard und Heloise - und zweitens wurde er nicht vernichtet, sondern veröffentlicht, wenn auch erst im 20. Jahrhundert: charakteristischerweise unter den Jugendschriften, im II. Teil der zehnbändigen Werkausgabe. Warum finden wir ihn nicht unter den „normalen“ Werken? Weil Jean Paul hier offensichtlich noch nicht zu jener Reife gelangt war, die es erlaubt hätte, das pubertäre Geschüttel des 18jährigen in die Abteilung der „eigentlichen“ Werke einzupassen.

Mir fällt gerade auf, dass dieser Einschub schon ein wenig jeanpaulisch ist – wenn man unter „jeanpaulisch“ jene typische Mischung aus Einschüben und Abschweifungen versteht. Die Vorrede kann ich hier nicht nachliefern – oder vielleicht doch:

Zu Jean Paul gelangt man selten auf gerade Pfaden. Es braucht eine Engelsgeduld, um hineinzukommen in diesen Kosmos an Worten, Ideen und Bildern. Es braucht ein granitenes Lesegebiss, um sich durchzubeißen bis zu jenem Punkt, an dem dem einsamen Leser nicht alles, aber doch so viel egal ist, dass er das, was er als wesentlich empfindet, vom Wust des unmittelbar wie unmissverständlich Unverständlichen zu sondern weiß. Anders als bei Musil – um nur ein nahe liegendes Beispiel zu nennen – kommt es bei der Lektüre nicht so sehr auf jede Sentenz, jede Assoziation, jede Metapher an. Genug, dass man im Fluss der Sprache mitschwimmt, dass man das sogenannte Wesentliche begreift – oder, was bei Jean Paul ja nicht weniger ist, zu begreifen scheint. Wer noch vor dem Abitur zu einem Werkchen wie etwa dem (grandios komischen) Feldprediger Schmelzle greift und nach zwei bis maximal drei Seiten den Vogel „in die Ecke schmeißt“, wie es unnachahmlich klar in Die neuen Leiden des jungen W. heißt – der muss noch nicht verloren haben.

Er darf sich auch Jahre später noch darüber wundern, dass der Roman nicht „Roman“ heißt, sondern „Eine Lebensbeschreibung“ – und dass dem ersten Kapitel ein knapper Zwischentitel vorgelagert ist: „Mumien“. „Mumien“, das klingt schön. Das klingt wie ein Vor-Schein jener Schauerromantik, der wir – in Ansätzen, in Ansätzen – später bei Jean Paul begegnen werden, und sei's, dass sich ein monströser Doktor auf der Suche nach monströsen Knochen auf einem nächtlichen Gottesacker wiederfindet, auf dem einstmals Liebende sich gestehen müssen, dass ihre Liebe gestorben ist wie jene Toten, deren Schatten über die Wände der Kirche zu gleiten scheinen.

Aber ich möchte nicht jeanpaulisch argumentieren, der Dichter kann das viel besser. Bleiben wir zunächst beim Motto: „Der Mensch“, zitiert der Dichter sich selbst, nämlich aus der „Auswahl aus des Teufels Papieren“, „der Mensch ist der große Gedankenstrich im Buche der Natur“. Zeigt er nun den Gedankenreichtum oder das totale Nichts an? Markiert er jene Gegenstelle zur Natur, der er sich entfremdet hat – oder will er beweisen, dass selbst der denkende Mensch ein natürliches Wesen sei? Ist er das Zeichen der Verzweiflung oder der tiefgründelnden „Weltweisheit“? Ist er Sinn oder Unsinn? Und wird der Roman die Fragen beantworten, die der Mensch als Gedankenstrich stellt, den der Dichter in übermütiger Konzentrationslust an den Beginn einer Geschichte gesetzt hat, in der es vielleicht um vertrocknete Überreste einstigen wahren Menschentums geht?

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