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24.01.2013, 06:30 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [17]: „Das Liebeskonzil“ auf der Anklagebank

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Alexander VI., der Borgia-Papst (Gemälde im Corridoio Vasariano Museum, Florenz). Ist er der eigentliche Schuldige?

Oskar Panizza hat für seinen Prozess eine 27-seitige Verteidigungsschrift geschrieben. Er kann sie vor Gericht nur teilweise halten, lässt sie aber (wieder in Zürich im Verlag von Jakob Schabelitz) noch im selben Jahr zusammen mit dem Gutachten von Michael Georg Conrad und dem Urteilstext drucken. Panizza hebt in seiner Schrift einerseits darauf ab, dass es sich um ein historisches Drama handle, vor dem Hintergrund der Zustände am Hofe von Papst Alexander VI. Dort habe es die „tollsten Orgien in geradezu unglaublicher Weise“ (S. 6) gegeben. So etwas würde geradezu zur Satire herausfordern. Allerdings gibt Panizza zu, dass „die Farben stark aufgetragen sind“. (S. 10) Seine zweite Argumentationslinie hebt also darauf ab, dass es sich hier um eine Satire handle, somit also um ein Kunstwerk, das man nicht verurteilen könne. Die Kirche müsse dies dulden, „besonders dann, wenn von kirchlicher Seite die übertriebensten Ansprüche an die Herzen und Geldbeutel der Menschen gestellt“ würden. Dann rege sich „in den Reihen der Gebildeten der Widerspruch und die Satire“. (S. 12) Gegen Ende, und immer wieder im Text, spricht er die Geschworenen direkt an: „Sie sehen, meine Herren, Humor und Satire sind zwei Dinge in der menschlichen Natur, die nicht ausgerottet werden können, und sie haben auch auf religiösem Gebiet ebenso ihre Berechtigung wie Erhebung und Begeisterung.“ (S. 25) Am Ende weist er noch darauf hin, dass das Stück im Ausland gedruckt worden sei, wo ganz andere Gesetze gelten. Er schließt mit den Worten: „Ich appelliere, meine Herren, [...] an das natürliche, Ihnen innenwohnende Gerechtigkeitsgefühl und bitte um Freisprechung.“ (S. 27) Sein Verteidiger ist nicht ganz so wagemutig, er plädiert für eine Gefängnisstrafe von einem Monat.

Doch die Geschworenen bleiben streng. Sie lassen sich auch nicht von dem vom Gericht angeforderten „Sachverständigen-Gutachten“ überzeugen. Panizzas alter Weggefährte und Freund Conrad hat es geschrieben. Er betont noch einmal ausdrücklich die unglaublichen Zustände am päpstlichen Hof jener Zeit. In der Logik eines Kunstwerks hätte der himmlische Hof so abschätzig geschildert werden müssen, wie es Panizza getan habe. „Ein Scheusal, wie der Gottesvertreter Borgia, verträgt keinen reinen, majestätischen Himmel, und umgekehrt.“ Und Conrad fährt fort: „Aber ist das die Schuld des Dichters? Ist der Dichter straffällig, wenn er psychologisch und historisch logisch und ehrlich ist?“ Das ist ja eine der Hauptanschuldigungen: Panizza habe Gottvater und seinen Sohn abschätzig dargestellt. Auf  Christus bezogen argumentiert Conrad: „Die Bibelausleger beziehen eine Stelle im alten Testament auf Christus, da heißt es: ‚Er hatte weder Gestalt noch Schönheit.‘ Also ist es bibelgemäß, sich Christus hässlich vorzustellen.“ (S. 31) Abschließend betont Conrad noch einmal: „Panizzas Liebeskonzil ist ein Kunstwerk, und es wäre Herabwürdigung, in ihm eine tendenziöse Lästerschrift erblicken zu wollen.“ (S. 34) Mehr noch, so Conrad ganz am Ende seines Gutachtens, es handle sich um „ein echtes, deutsches, modernes Kunstwerk“. (S. 34) Aber weder die Geschworenen noch das Gericht lassen dies gelten. Der Wortlaut des Urteils ist nur folgerichtig: „Dr. Oskar Panizza wird wegen eines Vergehens wider die Religion, verübt durch die Presse [gemeint ist: durch ein gedrucktes Buch] in eine Gefängnisstrafe von einem Jahre sowie zur Tragung der Kosten des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung verurteilt.“ (S. 36) Alle Exemplare des Buches sowie die Druckplatten müssen vernichtet werden. Das kann aber in der Schweiz nicht durchgesetzt werden. Und so ist es Panizza möglich, dort noch zwei weitere Auflagen des Buches (vermutlich auf eigene Kosten) drucken zu lassen (1896 und 1897).

Zitate aus der erwähnten Schrift, als Faksimile abgedruckt in der von Peter D. G. Brown herausgegebenen Ausgabe des Dramas (München: Belleville Verlag 2005, S. 185ff.)

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