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Plakat zur Ausstellung "Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung 1894-1933" (2018)

München, Kunstgewerbehaus, Pacellistraße

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Kunstgewerbehaus, DE-1992-FS-STR-3299 (c) Stadtarchiv München

Das Haus des Bayerischen Kunstgewerbevereins ist der Ort, den die Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau, der spätere Verein für Fraueninteressen (1899) in den ersten Jahren seines Bestehens wählt, um seine internen „Generalversammlungen“ abzuhalten und seine öffentlichen „Gesellschaftsabende“ zu veranstalten. Das Haus befand sich an derselben Stelle wie der heutige Neubau in der Pacellistraße 7 neben der Dreifaltigkeitskirche.

In einem aus dem Jahr 1896 überlieferten Bericht der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau erfährt man, wer zu dieser Zeit in leitender Funktion im Verein tätig ist. Präsidentin des Vereins ist seit 1894 Anita Augspurg, Vorsitzende des Vereins ist Ika Freudenberg. An vorderster Stelle im Vorstand des Vereins tätig sind auch die beiden miteinander befreundeten Schriftstellerinnen Emma Merk und Gabriele Reuter. Als Gabriele Reuter 1890 von Weimar nach München kommt, ist es Emma Merk, die sich ihrer annimmt und sie in die Kreise der politisch engagierten, künstlerisch hochkreativen Frauen Münchens einführt.

Über die zweite Generalversammlung im Münchner Kunstgewerbehaus und die Tätigkeit des 1894 neugegründeten Vereins und die Anzahl seiner Mitglieder erfährt man 1896 Folgendes:

Die diesjährige Generalversammlung fand am 7. Februar, abends 8 Uhr im kleinen Saale des Kunstgewerbemuseums statt. Anwesend waren 47 Mitglieder. Der Tagesordnung gemäß erstattete die Vorsitzende zunächst Bericht über die Thätigkeit des Vereins im abgelaufenen Jahre. Daß diese Thätigkeit eine erfolgreiche gewesen ist, beweist am sichersten die stetig wachsende Zahl der Mitglieder. Am Tage der Versammlung hatte die Vereinsliste 146 Namen aufzuweisen.

Unter der Mitgliederliste des Vereins aus dem Jahr 1896 finden sich auch 6 Männer, darunter der Jugendstilkünstler und Bildhauer Herman Obrist, der an vorderster Stelle im Verein engagiert ist und auch Vorträge hält.

Ab 1895 beginnt die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau im Münchner Kunstgewerbehaus auch mit der öffentlichen Propaganda für die Frauenbewegung in München. Im großen Saal des Münchner Kunstgewerbehauses veranstaltet man sogenannte „Gesellschaftsabende“:

Die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau erblickt nach wie vor ihre Hauptaufgabe darin, die Ideen der modernen Frauenbewegung in möglichst weite Kreise zu tragen, und veranstaltet zu diesem Zweck sogenannte „Gesellschaftsabende“ mit Vorträgen und Diskussion vor geladenem größerem Publikum. Seit der vorigjährigen (ersten) Generalversammlung fanden fünf solcher Abende im großen Saale des Kunstgewerbehauses statt und hatten sich eines lebhaften Zuspruches zu erfreuen. Getreu seinem Prinzipe, recht eigentlich die Wünsche und Bestrebungen der Frauen zum unmittelbaren Ausdrucke zu bringen, war der Verein darauf bedacht, auch in erster Linie Frauen für sich selbst sprechen zu lassen. An den erwähnten Gesellschaftsabenden traten nacheinander als Rednerinnen auf: Frau Stritt – Dresden (Thema: Verschiedene Wege zum gleichen Ziel); Frl. Freudenberg (Thema: Die Frauenbewegung in verschiedenen Ländern); Gräfin Bülow von Dennewitz – Dresden (Thema: Das ewig Weibliche); Frau Schulrat Cauer- Berlin (Thema: Worte und Taten); Frl. Augspurg (Thema: Die Stellung der Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuche).

Als der Verein 1896 seine zweite Generalversammlung im kleinen Saal des Kunstgewerbemuseums abhält, teilt die Vorsitzende Ika Freudenberg mit, dass die bisherige Präsidentin und Mitbegründerin des Vereins aus dem Vorstand ausscheidet und ihr Amt niederlegt, um den Verein nicht in Bedrängnis mit dem Gesetz zu bringen:

Die Vorsitzende [Ika Freudenberg] teilt endlich noch mit, daß die seitherige Präsidentin des Vereins, Frl. Anita Augspurg, ihr Amt niedergelegt habe und aus dem Vorstande ausgeschieden sei. Frl. Augspurg wünscht nicht, durch ihre sozialpolitische Thätigkeit den Vereins in Konflikt mit den Gesetzen zu bringen, welche es bekanntlich den Frauenvereinen streng verbieten, sich mit politischen Dingen zu befassen. Die Versammlung beauftragte die Vorsitzende, Frl. Augspurg zu erwidern, daß der Verein mit großem Bedauern und nur unter dem Zwange der Verhältnissein in ihre Amtsniederlegung einwillige.

Aus persönlichen Gründen, aber auch aufgrund einer anderen politischen Überzeugung verlässt Anita Augspurg 1899 den Verein für Fraueninteressen und schließt sich dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung an. Von der Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht im Jahr 1902 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs gilt ihr Engagement nun hauptsächlich dem Frauenwahlrecht. Mit seiner Einführung 1918 wird die weibliche Bevölkerung Deutschlands erstmals staatsbürgerliche Gleichberechtigung erlangen.

1899 benennt sich die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau um. Auf der Generalversammlung stellt Sophia Goudstikker den Antrag zur Namensänderung, „da die Bezeichnung ‚geistige Interessen‘ doch je länger desto weniger geeignet erscheine, die Thätigkeit unseres Vereins richtig zu charakterisieren“. Sie schlägt den Namen vor, den der Verein noch heute führt: Verein für Fraueninteressen. Für die vielfältigen Arbeitsgebiete werden spezielle Kommissionen und Abteilungen ins Leben gerufen: eine „Centralstelle für Wohlsfahrtseinrichtungen“, eine „Auskunftsstelle für Frauenberufe“, eine „Abteilung für soziale Arbeit“ und eine „Jugendgruppe“.

Später hat der Verein auch andere Orte als das Kunstgewerbemuseum für seine öffentlichen Veranstaltungen gewählt: den Bayerischen Hof, das Hotel Vier Jahreszeiten. Am häufigsten aber das Café Luitpold in der Brienner Straße.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau Bericht über die zweite Generalversammlung (1896). Archiv des Vereins für Fraueninteressen.

Verein für Fraueninteressen (Hg.) (1994): Renate Lindemann: 100 Jahre Verein für München, S. 89.