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Emma Haushofer-Merk beim Schreiben auf der Fraueninsel. Exlibris Emma Haushofer-Merk von Marie Haushofer. Privatarchiv Haushofer. Foto: Ingvild Richardsen.

Inselwirt: Vor dem Bild Marie Haushofers II

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Emma Merk und Max Haushofer, Privatarchiv Haushofer. Foto: Ingvild Richardsen.

Wir wenden uns nun wieder dem Gemälde Marie Haushofers zu, und damit zugleich auch der Schriftstellerin Emma Merk. Das Bild zeigt eine im Grünen sitzende Dame, die von der Krautinsel aus, auf die Fraueninsel und das sich ihr darbietende Panorama blickt. Gehüllt in ein langes weißes Kleid, sitzt sie auf einem grünen Klappstuhl, ein langer weißer Schleierschal hängt lässig über der Stuhllehne. Frauen, die in dieser Manier dargestellt sind, auf einem Stuhl sitzen, einen Gegenstand anblicken oder in den Anblick einer Landschaft versunken sind, findet man in vielen Bildern des 19. Jahrhunderts als Motiv und Sujet. Ob Marie Haushofer bei der Konzeption des Bildes eine tiefere Symbolik im Sinn hatte, ist unbekannt. Einen Fingerzeig gibt eine Nachlassliste, der zu entnehmen ist, dass das Gemälde die Schriftstellerin Emma Merk zeigt. So liegt es nahe, dass Marie Haushofer dieses Bild anlässlich der Veröffentlichung von Emma Merks Chiemseenovellen im Jahr 1897 gemalt hat. In vier auf der Fraueninsel spielenden Erzählungen präsentierte sie hier Inselkultur des 19. Jahrhunderts: die Künstlerkolonie, das alte Fischereiwesen und die Kloster- und Schulkultur. Möglich, dass Marie Haushofers Gemälde für Emma Merks Blick auf die Fraueninsel stehen sollte. Von Marie Haushofer, die sich oft zusammen mit Emma Merk im Tuchmacherhaus aufhielt, ist auch eine Skizze und ein für Emma Merk geschaffenes Exlibris überliefert. Beide zeigen Emma Merk beim Schreiben auf der Fraueninsel. Neben die Skizze hat Marie Haushofer geschrieben:

Seht – sie sitzt mit schwanger Seele
Brütend über der Novelle
Schlecht geht's ihnen fürchterlich
Doch zum Schlusse – krieg'n sie sich 
Und es kommen allesamt
Gott sei Dank, auf's Standesamt!

Ob zuerst mit ihrem Vater, dann mit ihrem Freund und späteren Mann Max Haushofer, allein oder mit Freundinnen – Emma Merk hielt sich von der Kindheit bis zu ihrem Lebensende immer wieder auf Frauenchiemsee auf. Wenn es um die Fraueninsel und ihre Künstlerkolonie ging, genoss sie den Ruf einer großen Geschichtenerzählerin.

Anlässlich des 70. Geburtstages von Emma Haushofer-Merk berichtete die Schriftstellerin Eva Gräfin von Baudissin 1924 in den Münchner Neuesten Nachrichten:

Der glückliche heitere Kreis, in dem Emma Haushofer aufwuchs und mit vielen Künstlern und bedeutenden Menschen in Berührung kam, umschloß in den Sommermonaten auch die Gäste der damaligen zwei großen Münchner Künstlerkolonien: auf der Fraueninsel und in Brannenburg. Wieviel hübsche und rührende Einzelheiten weiß Frau Haushofer aus jenen bescheidenen und geistig sich so lebendigen Zeiten zu erzählen! – all die berühmten Verfasser der Zeichnungen und Gedichte der schönen Chronik von Frauenwörth ziehen leibhaftig an dem Zuhörer vorüber.

Emma Merk beim Schreiben von Novellen. Skizze von Marie Haushofer. Daneben: Chiemsee-Novellen, Titelbild, A. Schumann's Verlag 1897. Privatarchiv Haushofer. Foto: Ingvild Richardsen.

Immer wieder hat die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Emma Merk ihre Eindrücke und Erlebnisse auf der Fraueninsel literarisiert, ihnen eine Form gegeben, allen voran 1897 in ihrem Buch Chiemseenovellen. Die hier versammelten vier Novellen spielen alle auf der Fraueninsel, in der Zeit, als die Maler- und Künstlerkolonie in voller Blüte stand. Noch heute liefern sie dem Leser anschauliche Bilder vom Flair und der Atmosphäre der Fraueninsel im 19. Jahrhundert, lassen ihre Schul- und Klosterkultur aufleben, die alte Fischerei, Schifferei und die Künstlerkolonie.

Immer wieder ist von einem Inselzauber die Rede, wird die energetische Wirkung thematisiert, die die Fraueninsel – in ihrer nahezu utopischen Erscheinung und als landschaftliches Wunderwerk – auf ihre Besucher ausübt. In Treulos wird vorgeführt, wie zwischen einem Münchner Maler und einer jungen, reichen Frau eine Liebesbeziehung auf der Fraueninsel im „Malerwinkel“ beginnt, die Ehe dann in München zerrüttet, bis das Paar auf der Fraueninsel wieder zusammenfindet. Das Klosterkind erzählt von einer betuchten jungen Münchnerin, die im Besitz einer Villa auf der Fraueninsel ist und der herkömmlichen bürgerlichen Weiblichkeit abgeschworen und sich „Selbstbestimmung“ auf die Fahne geschrieben hat. Durch die Erlebnisse mit einer kleinen Schülerin im Pensionat des Klosters Frauenchiemsee findet sie Zugang zu ihrer Gefühlswelt. Vor dem Hintergrund des Treibens in der Künstlerkolonie beschreibt Inseltag, wie eine junge Münchnerin versucht Malerin zu werden und welchen Vorurteilen und Klischees sie dabei begegnet. Auffällig ist, dass alle Protagonistinnen als eigenwillig präsentiert werden. Das „Recht der Frau“ und die anstehende „Emanzipation“, die um 1900 in Bayern ein großes Thema waren, spiegeln sich – wenn auch gemäßigt – auch in den Erzählungen der damals auch als Frauenrechtlerin bekannten Emma Merk wieder.

Die Chiemseenovellen erschienen 1897 im bekannten A. Schumann Verlag in Leipzig. Der erfolgreiche Verleger Adolph Schumann (1860-1926) war Inhaber mehrerer Verlage und einer Reisebuchhandlung. Sein erfolgreichstes Unternehmen war die Bibliographische Anstalt, in der auch Jules Vernes Reiseromane erschienen. Schon das Cover von Chiemseenovellen verlockte den interessierten Käufer zum Kauf des Buches, denn auf dem Buchdeckel prangte eine Darstellung der Fraueninsel, die Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrer berühmten Künstlerkolonie ein beliebtes Reiseziel war. Solcherart wurde dazu animiert, mit Emmas Merks Buch in der Tasche auf die Insel zu reisen und dem von ihr Erzählten direkt an Ort und Stelle nachzuspüren: Die Handlung der Novelle Sturmnacht, in der sie eine Liebesgeschichte erzählte und zugleich ein lebendiges Bild des Fischerei- und Schifffahrtwesens auf der Fraueninsel und am Chiemsee entwirft, lässt sie im früheren Fischerdorf an der Nordwestseite Frauenchiemsees beginnen. Unter den vielen weiteren Schauplätzen waren auch der Glockenturm, die Klosterkirche, das Messnerhaus und der alte Krämerladen:

Wie ein Gürtel ziehen sich die niederen Häuschen um die kleine, langgestreckte Insel mitten in dem weiten See. Vor einigen der Hütten ist wohl ein Gärtchen abgegrenzt, oder ein Wiesengrund mit ein paar Obstbäumen, aber an der Seite schmiegen sie sich enge und nahe aneinander, so daß die Inselbewohner auf dem engen Raum zusammengedrängt sind wie eine große Familie – eine arme Familie von Fischern und Handwerkern. Da gibt es keine Geheimnisse für den Nachbarn und Jeder weiß über das Leben des Anderen Bescheid.

Vor ungefähr dreißig Jahren wohnte in einem der größten Häuser an der Nordwestseite der Huber-Martl mit seiner Tochter und deren Knaben. Die Creszenz war nach einer glücklichen Ehe mit einem Forstwart aus dem nahen gräflichen Gebiet Wittwe geworden und mußte für ihren und ihres Kindes Unterhalt sorgen, indem sie verschiedene Dienste versah, bald im Gasthaus, bald beim alten Meßner oder im Kramladen aushalf und im Sommer auch Feldarbeit verrichtete, die für die Inselbewohner um so mühevoller ist, als jedes Fuder Heu stundenweit von den Ufern herübergerudert werden muß...

(Emma Merk: Chiemseenovellen. Darin: Sturmnacht, 1897)


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Richardsen, Ingvild (2017): Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 16-232; 306-321.

Quelle:

Eva von Baudissin: Emma Haushofer-Merk und Carry Brachvogel. In: Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 160, 1924, S. 27.