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Gemälde von Marie Haushofer im Inselwirt 1897. Foto: Ingvild Richardsen.

Inselwirt: Vor dem Bild Marie Haushofers

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Foto: Ludwig Kotz.

An die Malerin und Dichterin Marie Haushofer und die Schriftstellerin Emma Merk erinnert im Inselwirt heute noch ein Gemälde, das in der alten Gaststube hängt. Am Tisch davor kann der Gast sogar speisen. Gemalt hat es Marie Haushofer im Jahr 1897. Zu diesem Zeitpunkt war sie 26 Jahre alt, lebte und arbeitete als Malerin in München und engagierte sich bereits in der modernen bürgerlichen Frauenbewegung Bayerns, die seit 1894 in München Fuß gefasst hatte.

Es lebe die Freiheit, es lebt wer gewann. Im Kampfe den Sieg, im Siege den Mann! Und ist er besiegt, so ist er uns Knecht, wir schaffen uns selber unser Recht!

Diese Zeilen stammen von Marie Haushofer. 1899 hatte es die erste Welle der modernen bürgerlichen Frauenbewegung in München endlich auf die große gesellschaftliche Bühne geschafft. Als Amazonen verkleidete Damen der besseren Gesellschaft ziehen anlässlich des ersten bayerischen Frauentages in den Münchner Rathaussaal ein und kämpfen für ihre Rechte als Frauen. Marie Haushofers Festspiel Zwölf Culturbilder der Frau, aus dem die obigen Zeilen stammen, bildete den krönenden Abschluss des Bayerischen Frauentages, der erstmals 1899 in München vom 18. bis 21. Oktober stattfand und zu einem wichtigen Anstoß für die Gleichberechtigungsbewegung in Bayern wurde. Um 1900 sind deutsche und englische Festspiele als ein politisches Instrument genutzt worden, um die traditionelle Rolle der Frau mit theatralen Strategien zu hinterfragen. Marie Haushofers Festspiel bot für die aufkeimende Frauenbewegung in Deutschland eine erste Möglichkeit, ihre Forderungen zu formulieren. Als Zeugnis der Emanzipationsbewegung und der Anfänge der bürgerlichen Frauenbewegung ist Marie Haushofers Festspiel von großer kultur- und literaturhistorischer Relevanz. Zu dem Theaterstück sind auch vierzehn Szenenfotos überliefert, die aus dem berühmten Münchner Fotoatelier Elvira stammen.

Ihr Festspiel führte das Wirken der Frau durch die Jahrhunderte vor, zeigte, wie sie sich zu Arbeit und Freiheit emporringt. Die Zeit um 1900 erschien im Schlussbild: Berufstätige Frauen, sogenannte „Frauen von heute“, übernehmen die Bühne: Arbeiterinnen, Telefonistinnen, Buchhalterinnen, Gelehrte, Malerinnen und andere. Bemerkenswert war, dass weder Mutterschaft noch Ehe als Bestimmungen der Frau propagiert wurden, sondern Arbeit, aktives Mitwirken an der Gesellschaft und der Zusammenschluss der Frauen:

Ihr alle, deren Herzen flammen
Begeistert für ein Ziel, steht treu zusammen!
Laßt Euch in treuer Menschenliebe einen,
Und gebt im Großen und im Kleinen
Stets Euer Bestes! Jede, wer sie sei
Trag' heut nach ihrer Kraft und Weise bei,
Daß künftighin des Menschenvolks Geschichte,
Von Frauenmut und Frauengeist berichte,
Daß Güte, Geist und Herzen sich erheben,
Daß auch die Frauen stolz der Menschheit leben!
Daß, bis zum nächsten kommenden Jahrtausend
Der rasche Schritt der Zeit nicht sausend
An Euch vorbei geht! Daß in hundert Jahren
Die Welt das Beste von der Frau erfahren,
Das fördert nun mit mir, ihr Frau'n von heut'!

Marie Haushofer vor der Torhalle Frauenchiemsees, Privatarchiv Haushofer. Foto: Ingvild Richardsen. Rechts: Marie Haushofer. Allerseelen 1902, Text und Bild, Künstlerchroniken 1902. Foto: Thomas Gross.

Das Tuchmacherhaus war Marie Haushofers zweite Heimat. Auf vielen alten Fotografien ist sie auf der Fraueninsel zu sehen, am Künstlertisch vor dem Gasthof Zur Linde, in den Künstlerchroniken blätternd oder unterwegs bei einem Spaziergang. Viele ihrer Aquarelle zeigen Örtlichkeiten der Fraueninsel, auch das Tuchmacherhaus. Auch in den Künstlerchroniken hat sie sich mit ihrem Pinselstrich und Versen immer wieder verewigt. Ein Eintrag zu Allerheiligen 1902, im Gedenken an ihre im Sommer 1902 verstorbene Großmutter Anna Dumbser, stellt eindringlich die Bedeutung der Erinnerung vor.

                        Allerseelen 1902

Nie wirst Du wieder durch dies Fenster blicken,
Nie mehr des Abendgoldes Schönheit schauen,
Nie wirst Du mehr, zuletzt gestützt auf Krücken
Hinwandeln langsam durch den Gang der Frauen.

Nie mehr – ein ehern Wort ! – Nie widerrufen
Wird jener Spruch, den die Natur gefällt.
Es führen keine schattendunklen Stufen
Aus dieser lichten in die andre Welt.

Und doch – hier ist kein Grauen; ohne Worte
Löst hier der Tod des Lebens Dissonanz;
Erinnerung schreitet durch die düstre Pforte
Und flicht den Toten immergrün den Kranz!

Auf dem ersten Blick scheinen keine Stufen aus der Welt der Toten ins Reich der Lebenden zu führen. Eine Brücke jedoch gibt es: die Erinnerung, so die Aussage des Gedichts. Die beigegebene Zeichnung zeigt, wie eine Frauengestalt mit einem Kranz in der Hand aus der Klosterkirche durch das Portal auf den Inselfriedhof schreitet. Begreift man das Kirchenportal als Tor in eine vergangene Zeit, so kommt man der Intention des Gedichts wohl recht nah. Marie lässt ihre Frauengestalt nicht umsonst einen immergrünen Kranz tragen, mit dem sie aus dem Dunkel des Raumes ins Freie, ins Licht schreitet und damit wieder präsent wird.


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen