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Thomas Mann, 30.4.1900 (ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Atelier Elvira / TMA_0016)

Herzogstraße 3/I (Zwischenstation)

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Herzogstraße 3, Rückseite mit den alten Balkonen. Foto: Dirk Heißerer

Thomas Manns Mutter Julia wohnte von Juli 1898 bis September 1901 im heute noch bestehenden Haus Herzogstraße 3/I.[31] Das Gebäude ist heute als „Prinz-Joseph-Clemens-Haus“ ein Wohnheim der Ballett-Akademie der Heinz-Bosl-Stiftung. Julia Mann erlebte ihrerzeit dort nicht nur die Schwabinger Schreibzeiten des Romans mit, sondern sorgte auch dafür, dass ihr Sohn Thomas durch die Musik zu Entspannung und neuen Erkenntnissen kam. Carl Ehrenberg erinnert sich:

Unser freundschaftliches Verhältnis datiert von der Zeit, da ich Korrepetitor an der Münchner Hofoper und Dirigent des Orchestervereins war, 1900-04. Durch gemeinsame Freunde bei Frau Senator eingeführt, verkehrte mein Bruder Paul, der 1949 verstorbene Kunstmaler, schon seit 1898 im Hause Mann auf der Herzogstraße, durch ihn fand auch ich daselbst freundlichste Aufnahme, zumal ich damals noch ganz anständig Cello spielte. Denn hier wurde mit großer Begeisterung Musik getrieben. Die ‚Senatorin‘, eine ausgezeichnete Pianistin, hatte mit meinem Bruder, der ein guter Geiger war, alle erreichbaren Violin-Sonaten von Corelli bis Brahms schon gespielt, nun waren auch Klaviertrios ausführbar. So wurde oft bis tief in die Nacht hinein musiziert, dazwischen las uns wohl ‚Thomy‘ aus einem neuen im Entstehen begriffenen Werke und meist mußte ich zum Abschluß auf seinen Wunsch noch irgend etwas von R. Wagner spielen, für dessen Musik er besonders empfänglich war. (Zur Erinnerung hieran widmete er mir später seine Novelle Tristan). / Im allgemeinen verhielt sich Th. M. der Musik gegenüber vorwiegend genießend und erlebend, obwohl er selbst ganz gut Geige und auch etwas Klavier spielte. Um ihn zur aktiven Teilnahme an unserm Musizieren anzuregen, schrieb ich damals ein paar kleine Stücke für zwei Geigen und Violoncell, welche mitzuspielen ihm auch eine zeitlang Vergnügen bereitete. Doch seine Liebe zur Musik trieb ihn weniger zu deren Ausübung als zu ihrer Aufnahme, und seine außerordentliche Sensibilität ließ jedes stark empfundene und überzeugend gestaltete musikalische Kunstwerk zu einem Erlebnis werden. In seiner, durch keinerlei musiktheoretische Doctrinen getrübten Musikempfänglichkeit erschien mir Th. M. als der Inbegriff des Zuhörers, wie wir Komponisten ihn nur wünschen können. / Während seiner Arbeit an den Buddenbrooks kam er auch manchmal abends zu mir, um mir daraus vorzulesen und sich auszusprechen. Dabei äußerte er einmal unvermutet: „Wer in aller Welt soll sich denn für meine Familiengeschichte interessieren?“ Und doch gründete sich auf dieses Buch sein Weltruf! [...][32]

 


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[31] Vgl. Heißerer, Dirk; Jung, Joachim (1998): Ortsbeschreibung. Tafeln und Texte in Schwabing. Ein Erinnerungsprojekt. München, S. 64.

[32] In: Klaus W. Jonas: Mein Weg zu Thomas Mann: Aus den Erinnerungen eines Sammlers und Bibliographen. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe, Nr. 77 vom 26. September 1975. Beilage: Aus dem Antiquariat 9, S. A 285-A 295. Darin: Anhang: Aus dem Briefwechsel eines Thomas Mann-Sammlers und Bibliographen, ebda., S. A 292-A 295, hier S. A 294f.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer