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Ödön von Horváth (c) Monacensia - Stadtbibliothek und Literaturarchiv

Murnau, Bahnhofstraße 19: Horváth-Villa

Im August 1921 kauft „Baron Dr. von Horváth“ – so die Bauunterlagen – vom Baumeister Josef Reiser Grundstücke für 50.000 Mark in bar. Kurz darauf gibt Edmund von Horváth einen Bauplan beim Münchner Architekturbüro Josef Adler in Auftrag, den er allerdings wieder verwirft. Der zweite Bauplan wird vom ortsansässigen Bauunternehmer Gabriel Reiser realisiert. Baubeginn ist der 7. März 1924. Das Landhaus mit sieben Zimmern, Küche, Bad und Mädchenzimmer ist im Herbst  1924  bezugsfertig. Über dem Rundportikus befindet sich das Familíenwappen der Familie Horváth.

Die Villa ist bis 1933 vor allem im Sommer der Lebensmittelpunkt für die Söhne Ödön und Lajos, die Mutter Maria Hermine und die Großmutter mütterlicherseits Maria Prehnal. Der Vater kommt häufig zu Besuch. Die Münchner Wohnungen in der Martiusstraße 4 (bis 1926), dann  Bayerstraße 31 (bis 1929), dann Maximilianstraße 15 (bis 1935) werden jeweils beibehalten. Als das politische Klima in Murnau für die Familie Horváth unerträglich wird, verkauft der Vater im Dezember 1933 das Landhaus an Kommerzienrat Rechberg.

Die Villa der Horváths (© Schloßmuseum Murnau) und deren Diele (© Marktarchiv Murnau)

Am 20. März 1936 wechselt das Haus erneut den Besitzer. Die Familie von Scheven erwirbt das ehemalige Grundstück der Horváths und lebt dort, bis sie 1973 das Grundstück an eine Immobilienfirma verkauft, die das äußerlich intakte Landhaus abreißen lässt. Wenn Horváth beruflich in Berlin weilte, wünscht er sich in die ländliche Idylle zurück, wie etwa im Februar 1927:

Berlin W 30 / am 10.2.27 / Meine liebe Karen, liebe Doria, / vor allem: ich danke Euch herzlich für Euere lieben Zeilen. Ich denke viel an Murnau – an Euch, an den Schnee, an das Land. Hier ists grau, wie es mir in allen Städten erscheint. (Zitiert nach Klaus Kastberger (Hg.): Horváth Himmelwärts, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001, Anmerkungen, S. 201)

Horváth ist Zeit seines Lebens ein begeisterter Bergsteiger und Tourengeher, er nutzt Murnau als Ausgangspunkt zahlreicher Berg- und Klettertouren. Zudem bietet die Villa der Eltern kostenlose Logis. Zudem begegnen ihm in Murnau auf der Suche nach Motiven und Stoffen genau die Menschen, die ihn, der eben sein Studium abgebrochen hat und nun Schriftsteller werden will, für seine Kleinbürgerstudien interessieren. In Kleidung und Auftreten passt er sich schon bald an die Murnauer an: Er läuft in Lederhosen und Bauernleinen herum und präsentiert sich seinen Berliner Freunden als Bayer. In Murnau entstehen mehr oder weniger im Verborgenen u.a. seine berühmten Volksstücke Italienische Nacht (1930), Geschichten aus dem Wiener Wald (1931), Kasimir und Karoline (1932), Glaube Liebe Hoffnung (1933) und sein Roman Der ewige Spießer. Sein Schriftsteller-Freund Carl Zuckmayer erinnert sich später:

Höchst merkwürdig war es, daß Horváth, in dessen Stammbaum die ganze k.u.k. Monarchie, besonders deren östliche Völker lebten, sich völlig aufs Bayerische stilisiert hatte, auch in seiner Sprache und Ausdrucksweise (...) Er empfand sich selbst als einen Bayer aus Murnau, dort lebte seit einiger Zeit seine Familie, dort lebten seine Modelle – auch die Dialektanklänge in seinen Stücken sind durchweg mehr bayerisch als österreichisch gefärbt. (Carl Zuckmayer: Aufruf zum Leben. Porträits und Zeugnisse aus bewegten Zeiten. Frankfurt a.M. 1976)

 


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Verfasst von: Dr. Elisabeth Tworek