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München, Brienner Straße 11: Wedekind im Café Luitpold

Innenansicht Café Luitpold, kolorierte Postkarte um 1938 (Bayerische Staatsbibliothek/Porträtsammlung). Café Luitpold und Weinrestaurant Français in München um 1900 (Postkarte).

Das Kaffée Luitpold ist mir jetzt in der That | ein zweites Heim geworden [...]. Zwar werden Einem die Knöpfe von den Hosen gestohlen und wer einen neuen Paletot mitbringt, thut gut, sich gleich von Anfang an drauf zu setzen. Er möchte später keine Gelegenheit mehr dazu finden. Die illustrirten Zeitungen verschwinden meistens schon den ersten Tag aus ihren Mappen [...]. Dagegen weist das Local so mancherlei Vorzüge auf, daß man über vieles hinwegsieht. Was mir besonder<s> gefällt<,> ist die Beleuchtung, bei Tag ein Mildes Oberlicht, das jeden Winkel erreicht ohne zu blenden und Nachts die Beleuchtung der helldecorirten Kuppeln durch unsichtbare Lichtquellen, wodurch die Säulengänge und seitlichen Collonnaden etwas anmuthig feenhaftes erhalten. Sodann kommt für mich Einsiedler die Menge Publicum sehr in Betracht, die unablässig die Sääle durchströmt. Hin und wieder findet man einen Bekannten darunter, oder glaubt ihn wenigstens zu finden. (Münchner Tagebuch, 9. September 1889)

Im Sommer und Herbst 1889 ist Wedekind viel unterwegs in München. In den Museen, mehr noch in den Kaffeehäusern ist er oft anzutreffen, wobei er immer sein Notizbuch dabei hat, während er nachts vor allem an seinen beiden Dramen Kinder und Narren und Frühlings Erwachen arbeitet. Im Café Luitpold hält er sich besonders gern auf, es wird sein „zweites Heim“. Skizzenhaft notiert er über die Anstellung der weiblichen Bedienungen: „Im Café Luitpold haben die Kellnerinnen 3 Mk monatlich Gehalt. Im übrigen sind sie auf Trinkgelder angewiesen, müssen aber von ihrem Einkommen noch das Wassermädel bezahlen. Sie sind beschäftigt von Morgens 8 bis Morgens halbdrei Uhr.“ (Münchner Tagebuch, 9. Juli 1889)

Am 9. November 1889 nimmt er sich vor, eine anschauliche Schilderung seines Lebens, „wie es sich mehr und mehr auf um das Cafee Luitpold concentrirte“, zu entwerfen. Wedekind kommt dabei wieder auf die Kellnerinnen zu sprechen, die dem Einsamen Gesellschaft leisten und sexuelle Nähe geben:

Ich hatte damals noch weiter keine Gesellschaft als den Kletzengarten und den Germanisten und wußte nicht<,> welche mir mehr zuwider war. Ich führte ein Traumleben, das sich meist auf sexuellem Waldpfade verlor. Ich haßte meine Einsamkeit und nahm mir doch das Herz nicht ihr zu entfliehen. Im Café Luitpold fühlt ich mich am Wohlsten. Das Menschengewoge, das feenhafte Oberlicht, das Regiment Kellnerinnen, denen ich für mich meist eigene Namen gegeben, als da sind: Gespenst, Elefant, Astarte, Frosch ect. Insgesammt erschienen sie mir mit ihren Schwarzen Röcken und weißen Schürzen wie eine Schaar Elstern. Ich selbst wurde vom Elephanten bedient. (Münchner Tagebuch, 31. Januar 1890)

Wie im Fall seiner Zimmerwirtin Frau Mühlberger (siehe Station 6) geht Wedekind auch hier widerstandslos Kompromisse ein:

Dieser Elephant war hochgradig skrophulös und hatte einen etwas stupid sinnlichen Ausdruck<,> der mich für ihn einnahm. Es war übrigens Lina Höpfl<,> aus deren Tagebuch ich obige Gedichte Excerpirt. Lina Höpfel hatte damals zwei Schätze, einen Regensburger und einen Japaner namens Koizi Shibata, einen Mediziner, um dessentwillen sie, wie sie mir sagte, das medicinische Wochenblatt hielt, was übrigens nicht wahr war. Lina Höpfl war wie gesagt keine Augenweide und dabei noch ziemlich anspruchsvoll. Und dennoch blieb ich ihr treu<,> theils aus Bequemlichkeit, theils weil ich die übrigen umsobesser betrachten konnte<,> ohne Gefahr zu laufen, pussieren zu müssen oder dann hintenangesetzt zu werden.

Das Café ist aber mehr als nur ein Ort der Beobachtung. Wedekind trifft hier wichtige Schriftsteller seiner Zeit, darunter Heinrich Mann, Kurt Martens, Joachim Friedenthal oder Erich Mühsam. Letzterer schreibt in seinen Unpolitischen Erinnerungen über Wedekind:

Im Café Luitpold hatte sich ein Nachmittagskreis gebildet, der dort regelmäßig Frank Wedekind, Kurt Martens, Gustav Meyrink und häufig auch Heinrich Mann und mich zusammenführte. Hier wurden mit gedämpfter Stimme die Ereignisse besprochen und aus höheren Gesichtspunkten betrachtet als den an lauten Tischen beliebten. Meyrink gab dabei unseren realistischen Betrachtungen häufig etwas mystische Zutat bei.

Mehr als nur einmal steht Wedekind im Mittelpunkt der Gespräche. Freunde erinnern sich, wie er voller Stolz und Begeisterung im Café den Entwurf des Buchumschlags seines fertigen Werkes Frühlings Erwachen (1891) herumzeigt, den ihm der noch unbekannte Maler Franz Stuck geschenkt hat (siehe Bild in Station 8).

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

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