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München, Akademiestraße 21: Wedekinds Pension

Akademie der Bildenden Künste, Fotografie 1906 (Bayerische Staatsbibliothek München/Porträtsammlung). Außenansicht Akademiestraße 21 (c) Literaturportal Bayern.

Ich suche nach einer Wohnung, könnte in der Amalienstraße eine mit „sehr feiner“ Bedienung<,> wie sich der verschmitzte alte Schneidermeister ausdrückt<,> beziehen, miethe mich dann um ein Haar in der Georgienstraße ein und finde schließlich was passendes in der Akademi<e>straße über vier Stiegen ein langes darmartiges Zimmer mit Alkoven zu 15 Mk. Die Wirthin, die mich sehr an Frau Hilpert erinnert<,> scheint mir nicht recht zu trauen, da ich etwas legère mit einer Düte Kirschen daherkomme. (Münchner Tagebuch, 16. Juli 1889)

Zwei Wochen nach seiner Ankunft in München am 18. Juli 1889 zieht Frank Wedekind schließlich bei Frau Mühlberger in die Akademiestraße 21 ein. Frau Mühlberger ist eine Schneiderin und Tierfreundin, deren Katzen und Hunde „ihren sämmtlichen Lebensgewohnheiten in der Wohnung selber gerecht werden, woraus dann manchmal ein geradezu infernalischer Gestank resultirt.“ (Gesammelte Briefe. Bd. 1, S. 199) Doch Wedekind bleibt – seine Zimmerwirtin ist eine gute Seele – und wohnt bei ihr mehr als zwei Jahre lang. Noch später, als sie in die Türkenstraße 69 verzieht (Station 9), mietet er sich erneut ein.

Eingang in sein Werk findet die Zimmerwirtin in dem Prosaentwurf Bella. Eine Hundegeschichte (1920 veröffentlicht), der Anlass hierfür fällt mit dem Tagebucheintrag vom 6. September 1889 zusammen. Frau Mühlberger ist mit ihrer weißen Spitzhündin Bella unterwegs und schaut sich in der Ludwigskirche eine Trauung an. Der Priester steht am Altar, als die Trauung abgesagt wird:

Derweil hat sich aber ein kleiner Pintscher, ein ganz reizendes Thierchen<,> sterblich verliebt in die BeIla der Frau Mühlberger und läuft derselben bis in die Küche nach. Bella zeigt sich seinen Bewerbungen gegenüber nicht nur unempfindlich sondern pharisäisch gemein. Sie läßt den hübschen Cavalier, der in der größten Aufregung mit hülflos flehendem Blick um sie herumtrippelt<,> wiederholt nahe kommen und schnappt dann unversehens zu. Auf den Pintscher hat das aber nicht den geringsten Einfluß. Nur wird sein Blick noch etwas wehmüthiger. Frau Mühlberger, die ihn aufrichtig bemitleidet, sperrt ihre Bella schließlich in die anstoßende Kammer. Der Pintscher lagert sich auf der Schwelle. Bald aber springt er auf<,> eilt zu Frau Mühlberger<,> die im vorderen Zimmer beschäftigt ist<,> und wirft ihr flehende Blicke zu. [...] Schließlich hält es auch Frau Mühlberger nicht mehr aus und beschließt einen neuen Versöhnungsversuch zu wagen. Die gute Frau ist dem Weinen nah. Aber Bella zeigt sich um kein Haar weniger gehässig. Sie drängt sich an ihre Herrin, läßt den unglücklichen Schwerenöther nahekommen und schnappt auf ihn ein. [...] Offenbar ist Bella hier erst in den eigenen vier Wänden auf den Eindringlich eifersüchtig geworden, wie die niedliche Jeanette auf ihren Theophil, nachdem sie mit demselben von ihrer Herrin, der gefeierten Miß Oceana<,> entdeckt worden. Frau Mühlberger treibt die Menschlichkeit so weit, daß sie der Bella den Kopf festhält. Aber der Pintscher ist kein Gianettino Doria; die Kraft verläßt ihn es ist ihm nicht möglich, den Gegenstand seiner Liebe zu nothzüchtigen. Erläßt höchst bekümmert tief betrübt traurig die Ohren hängen. O diese Idealisten!

Nach Tisch wird Frau Mühlberger davon in Kenntnis gesetzt, dass der Pintscher in die Georgenstraße gehört, weshalb sie ihn dort hinbringt, aber keines Dankes gewürdigt wird. Für diese Grobheit hat Wedekinds Zimmerwirtin nicht viel übrig: Wenn „ihr wieder ein Hund ohne Halsband bis in die Stube nachlaufe, so werde sie ihn auf die Polizei tragen, dann müßte die Herrschaft 30 Mark Buße zahlen.“ (Münchner Tagebuch, 6. September 1889)

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

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