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Straßenflucht Schnorrstraße. Im roten Haus rechts hatte Oskar Maria Graf ein Dachatelier. (c) Literaturportal Bayern

Graf: Schnorrstraße 3

Im Hinterhaus der Schnorrstraße 3 beherbergt Oskar Maria Graf unter dem falschen Namen Friedrich Wunder (Grafs ehemaliger Mitinsasse in der Nervenheilanstalt Haar) im Jahr 1917 den aus Berlin geflüchteten Deserteur Paul Guttfeld. Graf hat dort ein Atelier im Dachgeschoss angemietet, um dem Deserteur eine Unterkunft zu besorgen, der bei seiner Ankunft in München auf fremde Empfehlung sich an Graf und dessen Freund Georg Schrimpf wendet. Zu dritt werden sie im Januar 1918 verhaftet, als sie versuchen, den Druck einer Abschrift der sogenannten Lichnowsky-Dokumente in Auftrag zu geben. Diese stammen von Karl Max Fürst von Lichnowsky, der von 1912 bis 1914 deutscher Botschafter in London ist und über seine Zeit als Diplomat Tagebuch führt. Politisch brisant sind seine Aufzeichnungen, weil sie die deutsche Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges dokumentieren.

Um die Wahrheit ans Licht und unters Volk zu bringen, machen sich Guttfeld und Graf daran, einen Kostenvoranschlag bei der Druckerei Mannzmann & Co., Theresienstraße 49, für den Druck einer Auflage von 5000 Stück anzufordern. Als sie die Kostenschätzung abholen wollen, treffen sie unterwegs auf Georg Schrimpf, der sie begleitet; zusammen werden sie von der Polizei vor Ort erwartet und in Gewahrsam genommen. Aus dem geheimen Polizeiprotokoll vom 8. Februar 1918 geht u.a. hervor, dass Graf Guttfeld „seinen Militärpass, eine Versicherungskarte und eine Quittungskarte, lautend auf den Namen Oskar Graf, überlassen und ihm in seiner Wohnung Unterschlupf gewährt“ hat. Gegen Graf und Schrimpf wird Anzeige wegen „Begünstigung durch Förderung einer Desertion“, gegen Graf außerdem wegen „Ueberlassung von Legitimationspapieren an einen anderen“ erstattet. Guttfeld wird an die Militärarrestanstalt in der Leonrodstraße übergeben, von dort gelangt er ins Militärgefängnis nach Berlin, wo er wenig später von Revolutionären befreit wird.

Graf nimmt an den Diskussionsabenden der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) regelmäßig teil. Auch bei der Friedenskundgebung auf der Theresienwiese am 7. November 1918 ist er anwesend. Im Roman Wir sind Gefangene (1927) schildert er die Revolution aus seinem persönlichen Erleben heraus.

Während der Räterepublik ist Graf kurzzeitig Mitglied im Zensurrat, ohne eine maßgebliche Rolle zu spielen. Seinen Zustand beschreibt er so: „Ich dichtete und lief in der Revolution herum.“ (aus: Oskar Maria Graf: Wir sind Gefangene. Ein Bekenntnis aus diesem Jahrzehnt. Werkausgabe in 16 Bänden. Hg. von Wilfried F. Schoeller. Bd. 1-13. List Verlag, München/Leipzig 1994, Bd. 1, S. 376)

Bei der blutigen Niederschlagung der Räterepublik am 1. Mai 1919 in München ist er Zeuge; danach wird er am 14. Mai 1919 wegen seiner zeitweisen Mitgliedschaft im Zensurrat am Münchner Hauptbahnhof festgenommen, kommt jedoch nach zwölf Tagen wieder frei. Die schnelle Freilassung verdankt er nicht zuletzt seinem Förderer Professor Roman Wörner und Rainer Maria Rilke, die sich beide über Grafs Rechtsanwalt für ihn einsetzen.

Ist Graf während der Revolution meist noch Beobachter, engagiert er sich nach dem Terror der Weißen Garden mit unbedingter Solidarität. So steht er u.a. dem Münchner Komitee für die Freilassung der unschuldig in Haft sitzenden Arbeiterführer Sacco und Vanzetti vor, ist Mitglied der von den Kommunisten beherrschten Roten Hilfe, einer Hilfsorganisation für politische Gefangene und deren Angehörige, unterzeichnet einen Aufruf für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den legendären Arbeiterführer Max Hoelz und gründet mit anderen Kollegen 1926 den Jung-Münchner Kulturbund, der sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt.

Auch Ödön von Horváth ist in dieser Zeit politisch äußerst aktiv. Er engagiert sich zusammen mit Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky in der „Liga für Menschenrechte“ und schreibt an der Denkschrift Acht Jahre politische Justiz (1927) mit.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

Externe Links:

Revolution, 1918/1919 im Historischen Lexikon Bayerns