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Foto: Ingvild Richardsen (TELITO)

Westerhof-Café im Stieler-Haus: Dora Stieler, Ottilie Malybrok-Stieler

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Joseph Karl Stieler. Fotografie von Franz Seraph Hanfstaengl, ca. 1857

Als König Ludwig I. im Sommer des Jahres 1829 mit seinem Hofmaler Joseph Stieler (1781-1858) einen Spaziergang am Tegernsee machte, sagte der König, wohl auch besonders beeindruckt von der schönen Kulisse und dem herrlichen Blick, der sich ihm an der Point in Tegernsee darbot: „Also Stieler, er baut sich hier ein Sommerhaus“. Der Hofmaler Joseph Stieler stand damals auf der Höhe seines europäischen Ruhms. Kurze Zeit zuvor hatte er das bekannte Beethovenporträt und das berühmte Goethebildnis gemalt. Er war es auch, der die Bilder für König Ludwigs I. Schönheitsgalerie im Nymphenburger Schloss schuf, alle im gleichen Format. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat Stieler den Porträtstil in München bestimmt.

Das biedermeierliche Sommerhaus mit Atelier wurde von Joseph Stieler nach Erwerb des Grundstücks 1829 als eines der ersten Stadthäuser am Tegernsee erbaut. Bald fungierte es als Vorbild für weitere Häuser und Ansiedelungen bedeutender Künstler im Gefolge des königlichen Hofes im Tegernseer Tal. Heute befindet sich in diesem nahezu unveränderten Haus das Westerhof-Café, in dem Lesungen, Konzerte, kulinarische Themen-Abende, Vorträge und Präsentationen stattfinden.

Dora Stieler (1875-1957)

Nicht nur Karl Stieler hat in diesem Haus viele seiner Dichtungen geschrieben. Auch Dora Stieler, eine seiner Töchter, die das poetische Talent des Vaters geerbt hatte, hat hier den Großteil ihrer literarischen Werke verfasst. 1857, mit 83 Jahren, ist sie im Stieler-Haus verstorben. Ihr Grab befindet sich neben dem Grab ihres Vaters auf dem Tegernseer Friedhof.

Die 1875 in München geborene Dora Stieler wuchs in Schwabing und Augsburg auf und lebte seit 1910 im Stieler-Haus. Mit 13 Jahren litt sie an einer Augenkrankheit, die dazu führte, dass sie nur mit einem Auge sehen konnte. Das hinderte sie nicht daran, Gedichtbände auf Hochdeutsch und in Mundart zu schreiben. Tatsächlich war Dora Stieler eine von nur fünf Schriftstellerinnen, die Ludwig Thoma und Georg Queri 1913 in ihr Bayernbuch. Hundert bayrische Autoren eines Jahrtausends aufnahmen. Sie lobten die „ernst schlichte hochdeutsche Lyrik“ Dora Stielers, die „ausdrucksvoller und wettbewerbsfähiger“ sei als die Werke ihres Vaters.

Folgendes Gedicht präsentierten sie dabei als repräsentatives Werk Dora Stielers:

Es ist ein Sieg
Es ist ein Sieg; ich trag die Stirne hoch.
Und kann sie hoch selbst vor mir tragen.
Um wieviel mehr vor allen andern noch.
Doch oftmals, wenn die Mitternacht geschlagen,
Dann findet sie mich mit gebeugten Knieten
Vor jener Kraft, die mir die Kraft verliehen,
Und wenn die Nacht im Morgengrau verdämmert,
Halt ich die Hand noch immer auf dem Herzen,
Das hämmert, hämmert
Um dieses Sieges Schmerzen.

Dora Stielers Nachlass befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek. Bis heute ist er nicht erforscht und literarisch erschlossen worden.

Ottilie Malybrok-Stieler (1836-1913)

Dora Stieler war nicht die einzige schreibende Frau aus der Familie Stieler. Fährt man in Tegernsee zum Parkplatz Point ein, steht links von der Einfahrt das Stieler-Haus. Daneben stand früher die Villa Kleinschrod, die später abgelöst wurde durch ein Haus der Seeverwaltung an der gleichen Stelle. Seit einigen Jahren steht hier ein höheres Wohnhaus.

In der früheren Villa Kleinschrod wohnte die 1836 geborene Ottilie Kleinschrod, eine Halbschwester von Karl Stieler, die das Pseudonym O. Malybrok-Stieler trug. Sie war die jüngste Tochter des königlich-bayerischen Hofmalers Josef Stieler und seiner ersten Frau Pauline Becker, die vier Wochen nach Ottilies Geburt verstarb. Zwei Jahre darauf heiratete ihr verwitweter Vater die Dichterin Josephine von Miller, die Ottilie und ihre vier älteren Geschwister erzog und nach mehrjähriger Ehe die Mutter dreier Söhne wurde. Der älteste war der spätere Dichter Karl Stieler und Ottilies Halbbruder.

Von klein auf beschäftigte Ottilie sich mit Musik, fühlte sich zu slawischen Sprachen und Volksliedern hingezogen. Erst nach ihrer Heirat mit dem königlich-bayerischen Beamten W. Kleinschrod fing auch sie mit dem Schreiben an. Im Auftrag deutscher und österreichischer Komponisten bearbeitete sie slawische Texte für ein- und mehrstimmigen Gesang. Ihre Musikwerke erschienen damals in Berlin, Prag, Düsseldorf, Hamburg, Leipzig und Dresden. 1887 trat sie dann auch selbst als Dichterin mit einem Band lyrischer Gedichte und Übersetzungen böhmischer Kunst- und Volkspoesie in Erscheinung. Das Buch widmete sie ihrem Bruder Karl Stieler. Auslöser war sein Tod, der sie zutiefst erschütterte. Als Ottilie 1890 Witwe wurde, zog sie sich ganz in die Villa Kleinschrod neben dem Stieler-Haus zum Schreiben zurück. 1891 erschien ihr zweiter Gedichtband Seerosen. Begeistert vom böhmischen Dichter Julius Zeyer verdeutschte sie auch mehrere seiner Epen u.d.T. Neueste Poesie aus Böhmen. Danach veröffentlichte sie noch das lyrische Werk Minne und einen Zyklus erotischer Lieder.

Von der Point nimmt man im Sommer entweder beim Überfahrer das Boot oder man läuft oder fährt mit dem Bus nach Rottach.

 


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Verfasst von: TELITO / Dr. Ingvild Richardsen

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