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Erich Mühsam, Festungshaftanstalt Ansbach, 1919

Sendlinger Straße 19: Gambrinus

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Sendlinger Straße 19, 1914, Münchner Stadtarchiv DE-1992-FS-NL-PETT1-3226

Im Frühjahr 1909 gründet Erich Mühsam in München die Gruppe „Tat“, die sich an der Idee von Landauers Sozialistischem Bund orientiert. Vornehmlich sucht er hier seinem anarchistischen Bohème-Konzept entsprechend das „Lumpenproletariat“, „die Ausgestoßenen der Gesellschaft“, zu erreichen und zu politisch Handelnden zu bilden. Die erste offizielle Versammlung findet am 19. Mai 1909 im Gambrinus statt. Mühsam berichtet an Landauer: „Es waren im ganzen 10 Personen da, lauter gebildete Leute, denen es um positives Tun, um wirkliche sozialistische Arbeit zu tun ist.“ (Mühsam an Landauer, 20. Mai 1919)

Unterstützt wird Mühsam von Karl Schulze (Morax), der in der Münchner Künstlerboheme als Pianist in verschiedenen Kneipen aufritt, sowie von Johannes Nohl und Margarethe Faas-Hardegger, die beide in der Schweiz leben und nur zeitweilig in München sind. Die Polizei geht vehement gegen die Gruppe vor, bespitzelt die Treffen und veranlasst Hausdurchsuchungen bei den Mitgliedern. Neben Künstlern und Angehörigen des 5. Standes kommen auch Arbeiter zu den Versammlungen. Die Treffen der Gruppe finden zeitweise wöchentlich, meist jedoch unregelmäßig, in verschiedenen Münchner Lokalen statt, häufig im Gambrinus. Oskar Maria Graf beschreibt in Wir sind Gefangene, wie er von seinem Zimmernachbarn, einem Buchbinder, zum ersten Mal dorthin mitgenommen wird:

Wir traten in der Sendlinger Straße in ein Wirtshaus, das „Gambrinus“ hieß, tappten durch einen dunklen Durchgang an eine Türe. [...] Wir befanden uns in einem rauchigen, schmutzigen Saal, der kahl und ungemütlich aussah. Zirka fünfundzwanzig Leute saßen um die Tische, tranken Bier, sprachen allerhand und rauchten. [...] Man diskutierte über die Sozialdemokratie, über die Polizeispitzel, erzählte Verhaftungsgeschichten, und dann redete Mühsam kurz über die Ziele des „Sozialistischen Bundes“.

Graf wird daraufhin regelmäßig zu den Treffen gehen, hier trifft er auch den Maler Georg Schrimpf und Franz Jung.

Die  Räumlichkeiten in der Sendlinger Straße beherbergen von 1881 bis 1887 die „Gambrinus Brauerei“, Nachfolge der „Löwenhauser Brauerei“. Nach der Umbenennung in „Unionsbräu“ bleibt der Gaststätte nur der Name „Gambrinus“. Im Münchner Stadtanzeiger von 1909 wird „Vorzügliches Alt-Münchener u. helles Bier“ und „Billige u gute Küche“ beworben. In den Fremdenzimmern steigen häufig Zimmerer ab, das Lokal wird auch als „Verkehrslokal der Zimmerer Münchens“ geführt und zählt so zu den Treffpunkten der in syndikalistischen Kreisen organisierten Arbeiter. Auch als der Wirt der Gruppe „Tat“ im August 1912 die Räumlichkeiten verweigert, sieht Mühsam eine Intrige der Syndikalisten dahinter. Eine Zusammenarbeit mit diesen und dem Arbeiteranarchismus um Josef Sontheimer gelingt ihm nicht. Nachdem die eigenen Gruppensitzungen weiterhin schlecht besucht sind, stellt Mühsam im Mai 1912 resigniert fest: „München ist kein Boden für eine revolutionäre Bewegung.“

Die Gaststätte ist am 27. März 1915 noch einmal in der Münchner Stadtchronik erwähnt, sie ist jetzt Ort eines wöchentlichen Gebrauchtschuhmarktes.

 

Anzeige aus dem „Münchner Stadtanzeiger und Münchener Ratschkathl“, 2. Januar 1909, Bayerische Staatsbibliothek

 


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Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Laura Mokrohs