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15.12.2014, 09:32 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [526]: Die Finger eines bezaubernd unschuldigen Mädchens

Jean Paul ist wirklich gut: Ich bitte die Kritik um Verzeihung, wenn ich diese Nacht zu viele Metaphern und zu viel Feuer und Lärm gemacht. Schließlich musste der Erzähler ja auch, sehr zeitnah, gleichsam betrunken und berauscht von den Freuden und Freunden, einen Freuden-Sektor schreiben, in dem eine Überfracht von Zitronensäure, Teeblüte, Zuckerrohr und Arrak den Stift führte.

Aber schon haben wir wieder einen Aphorismus aus der Erzählung herauszubrechen. Er wird folgendermaßen vorbereitet: Eine durchwachte und durchfreuete Nacht lässet einen Morgen zurück, wo man in einer süßen Abspannung weniger empfindet als phantasieret, wo die nächtlichen Töne und Tänze unsere innern Ohren immerfort anklingen, wo die Personen, mit denen wir sie verbrachten, in einem schönen Dämmerlichte, das unsre Herzen zieht, vor unsern innern Augen schweben. – Nein, das war noch nicht die eigentliche Spruchweisheit. Sie folgt erst:

Man liebt nie eine Frau mehr als nach einer solchen Nacht, morgens eh' man gefrühstückt.

Ja, „Liebe ist ein Geheimnis“, wie der Dichter und der kleine Mensch der Welt (Goethe) ganz richtig feststellen.

Beatas Liebe aber ist kein Geheimnis. Ach, Beata... wunderschön ist's, was der Dichter heute Morgen von Dir gesehen hat – und wie er es sieht und für uns, noch nach 222 Jahren, im Bilde festgehalten hat. Jean Paul ist wirklich gut – und Humor hatte er, man glaubt es ja erst wieder, wenn man es nach den spätbarocken Üppigkeiten eines Freunde-Sektors von Neuem liest:

Mein Auge konnte noch nichts von ihr habhaft werden als die fünf weißen Finger, womit sie einen Blumentopf an ihrem Fenster aus dem Schatten eines Zweiges wegdrehte.

Seien wir ehrlich, liebe Leserin: es sind vielleicht die kleinsten Szenen, die uns Jean Paul so liebenswert machen – und nicht seine kosmisch-titanischen Entwürfe himmlischer und irdischer Freudeninseln. Dies aber ist das Geheimnis seines Timings: wenn die Finger eines bezaubernd unschuldigen Mädchens zu schimmern beginnen, wirkt´s vielleicht nur deshalb so stark, weil wir zwischen Mond und Sonnenlicht uns an den „großen“ Szenen sattgetrunken haben.

Das Tolle neben dem Schönen, wie Ralf Vollmann sein Buch über den Dichter betitelte. Das ist es; das ist er.

Beata schreibt einen Brief an Gustav, zu dem der Erzähler, der alles weiß, bemerkt, dass sie von den Engeln und ihrer Anbetung mehr glaubte, als Nicolai und die Schmalkaldischen (Waren-)Artikel einer Lutheranerin verstatten können. Ausgesprochen katholische Engel entdeckt der Kirchenbesucher auch in einem Markus-Altar, der just im Geburtsjahr unseres Dichters von Francesco Tramulles geschaffen wurde. Man findet ihn in der Kathedrale zu Barcelona (Foto: Frank Piontek, September 2014).

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