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28.11.2012, 11:13 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [39]: Über Grenzen des Verständnisses und der Menschenliebe

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„Hat man nicht auch Gold beineben, kann man nicht ganz glücklich sein“, dichtete bald darauf der Librettist des Fidelio. Der Fürst von Oberscheerau hat es schon gewusst.

Was ist eigentlich ein „Ehetropfen“? Das Grimmsche Wörterbuch sagt: ein „misellus maritus“ – und gibt als einzigen Beleg den Satz von Jean Paul, über den ich stolpere. Ein „unglücklicher Ehemann“: das ist nicht der Rittmeister, sondern der Mann, der die abgedankte Mätresse des Fürsten der Residenz Oberscheerau einmal bekommen wird. Dieser Fürst hat einen natürlichen Sohn, den Kapitän von Ottomar, der auf dem Rittergut Ruhestatt lebt – ein Gut, zu dem ihm des Rittmeisters von Falkenberg Geld verhilft; dann schenkt er es besagtem Sohn.

Der Rittmeister also tut in Gelddingen herum. Dass er in die Stadt kommt, seinem Winterort – Jean Paul begründet sehr schön und scharf, worin der Unterschied zwischen Sommer- und Winterwohnung besteht –, hat  mit der klingenden Münze zu tun. Der Fürst soll ihm 13.000 Reichstaler bezahlen, und zwar „als ein Kapital von 7 Jahren“.

Ich gestehe, dass ich das nicht kapiere. Der Fürst leiht ihm, dem Rittmeister, ausdrücklich kein Geld, er bezahlt ihn, und er, der Fürst, kauft mit diesem Geld das Rittergut. Der Rittmeister würde über diesem Geschäft, sagt Jean Paul, gleichzeitig zum Gläubiger und Schuldner. Beim dritten Lesen ahne ich, was gemeint ist, aber ich verstehe es immer noch nicht: der Rittmeister, der bislang ausgesprochen freigiebig war und an seinen Gästen eine wahre Verschwendungspolitik betrieb, bittet den Fürsten, ihm das Geld zu geben: als Bezahlung. Aber für was? Für das, was er ihm einst als Gastgeber gab? „Als ein Kapital“: die Formel hätte nur Sinn, wenn es sich um eine verzinsbare Anlage handeln würde. Auf jeden Fall bekommt der eine – und der andere kauft sich dafür etwas.

Hier hilft vermutlich nur ein Finanzexperte weiter, der sich mit den Gepflogenheiten des 18. Jahrhunderts auskennt. Ich bitte um Aufklärung.

Wichtiger aber ist vielleicht der Umstand, dass der Papa nun für seinen Sohn einen Hofmann sucht. Jean Paul schreibt auch hier sehr schön, was ein Hofmann ist: er kennt diese elende Existenz zur Genüge. „Diese Infanten aus dem Alumneum, die nichts hebt als eine Kanzeltreppe“ – arme Schlucker, diese „Erzieh-Poussierer“, die an rauhen Junkern Gutes tun, indem sie Kopf und Rumpf „glätten“ (und selber krumm gehen müssen, um durchzukommen, ergänze ich in Gedanken).

Hübsche, böse Floskel am Ende: Der Rittmeister ist ein Mann, „der kein Gefühl für Musik und Gegenden hat“, offensichtlich auch keines „für fremde Not und Ehre“. Wenn wir wissen, wie Jean Paul zu „Musik und Gegenden“ etc. stand, dann ist es wahrer Hohn, wenn er bemerkt, dass es nichts als „jugendliche Unduldsamkeit“ wäre, diese Abwesenheit tieferer Gefühle zu verurteilen und zu vermuten, dass das Nichtvorhandensein sozialer Empathie mit der Nichtempfindsamkeit gegenüber Landschaften und Klängen einherginge. Im Grunde, muss der Leser denken, ist der Rittmeister ein typischer Vertreter des Ancien Régime, dem unmöglich unsere Sympathie gehören kann.

Soviel zur berühmten „Menschenliebe“ des Erzählers Jean Paul. Sie hat gewiss absolute Grenzen.

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