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25.09.2014, 11:38 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [485]: In die Natur fliehen. Genießen. Lesen.

Der 49. Sektor ist nicht nur so kurz, dass man ihn komplett zitieren könnte – er ist auch so schön, dass man es wollte, aber der Blogger verkneift sich dieses Vergnügen. Die Kunst des Dichters besteht auch in seiner Malkunst[1]: Wir würden sagen: Der Nebel hebt sich, die Sonne kommt hervor. Der wahre Dichter aber schreibt und schildert:

Der heutige Morgen hatte die ganze Auenthaler Gegend unter ein Nebel-Meer gesetzt. Der Wolkenhimmel ruhte auf unsern tiefen Blumen aus. Wir brachen auf und gingen in diesen fließenden Himmel hinein, in welchen uns sonst nur die Alpen lieben. An dieser Dunst-Kugel oben zeichnete sich die Sonne wie eine erblassende Nebensonne hinein; endlich verlief sich der weiße Ozean in lange Ströme – auf den Wäldern lagen hangende Berge, jede Tiefe deckten glimmende Wolken zu, über uns lief der blaue Himmelzirkel immer weiter auseinander, bis endlich die Erde dem Himmel seinen zitternden Schleier abnahm und ihm froh ins große ewige Angesicht schauete – das zusammengelegte Weißzeug des Himmels (wie meine Schwester sagte) flatterte noch an den Bäumen, und die Nebelflocken verhingen noch Blüten und wogten als Blonden um Blumen – endlich wurde die Landschaft mit den glimmenden Goldkörnern des Taues besprengt, und die Fluren waren wie mit vergrößerten Schmetterlingflügeln überlegt. Eine gereinigte hebende Maienluft kühlte mit Eis den Trank der Lunge, die Sonne sah fröhlich auf unsern funkelnden Frühling nieder und schaute und glänzte in alle Taukügelchen, wie Gott in alle Seelen....

Der Blogger möchte an diesem Tag, der theoretisch noch dem Spätsommer angehört, aber nach einigen grauen und grässlich verregneten Herbsttagen schon den schönen Eindruck eines prachtvollen goldenen Oktobertags macht, dem Wanderer und Schreiber nachreisen. Er möchte wie er den spielenden Maischmetterlingen folgen und nicht weiter tun als in die Natur fliehen, wo keine gesellschaftlichen und sozialen Hemmungen herrschen, und wo die Schicksale Gustavs und Beatas nicht weniger vergessen werden können als die eigenen.[2]

Dass Philippine die Nebelfetzen mit einem Hausfrauenwort als zusammengelegtes Weißzeug bezeichnet, ja: dass „Jean Paul“ hier eine Metapher unterbringt, die nach der Meinung des Erzählers und Autors vielleicht zu sehr Frauenwort war, als dass er sie sich selbst zugeschrieben hätte: es fällt erst am Ende auf – aber es ist gut. Wir müssen nicht auch noch in der stillen, trunkenen Lektüre genderspezifische Überlegungen unterbringen. Wir müssen nur – lesen und genießen.

Und Du, lieber Leser, der Du Dich an Jean Paul abarbeitest, weißt wieder, wieso Du Deinen Dichter liebst.

Fotos: Frank Piontek, Juni und 28.8. 2014

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[1] Die alten Niederländer hätten vielleicht geschrieben: Schilderkunst.

[2] Er bekommt plötzlich auch die Lust, in einem nächsten Blog Stifters Nachsommer zu lesen und zu interpretieren – aber er wird sich dieses Vergnügen versagen, um den Roman – frühmorgens, wenn sich die Nebel heben und die glühende Herbstsonne herauskommt – nur zu genießen.

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