Info
07.07.2014, 11:00 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
images/lpbblogs/logenlogo_164.jpg
Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [431]: Geprellte Rippen, moderne Einrichtung, tadellose Königin

Die Königin geruht zu empfangen – also auf nach Nymphenburg! In die Kutsche gestiegen und ein paar Meilen nach Westen gefahren, weit hinaus vor die Stadt. Das Wetter ist miserabel, obwohl´s Juni ist: da muss sich der Dichter einen glänzenden Sommer vorstellen. Als er endlich am Schloss ankommt, hat er zudem einen üblen Unfall hinter sich: auf der verfluchten Chaussee stieß seine Kutsche mit einer anderen Kutsche zusammen, Ergebnis: ein Rippenbruch, mindestens eine starke Rippenprellung. Er fühlt sich sehr lädiert – und liebebedürftig.

Endlich angekommen! Die Königin residiert im ersten Stock südlichen Pavillons, der König hat erst vor ein paar Jahren den Trakt neu gestalten lassen. Alles modern – aber ist es auch bequem?

Da ist die Königin! Nicht hässlich, nicht hübsch, nun gut. Kann man sich mit ihr unterhalten? Bedingt – denn seine Romane hat sie ja nicht gelesen, nur die schlechten Spruchsammlungen. Eigentlich müsste er sie rügen – aber man rügt keine Königin. Das weiß selbst er. Eine Königin tadelt man nicht. Man verzeiht ihr – und liebt sie – wenn man Glück hat. Seine Königin: wie das klingt...

Würde der König sie empfangen, sagt sie, dann würde man sich unten treffen. Sie zieht ihn ans Fenster: Dort unten, sehen Sie, residiert mein Mann, wenn er in Nymphenburg ist. Hübsch, nicht? Aber innen ist es doch eher bescheiden.

Ja, lieber Herr Richter – oder darf ich „Jean Paul“ sagen? –, so sah mein Mann aus, als uns die Bayreuther freundlichst Quartier gewährten, damals, in den wilden Tagen. Sah er nicht prachtvoll aus? Der Dichter findet, dass der König schon damals einem kostümierten Bierbrauer ähnelte – oder einem Selcher.

Ja, das ist nun unser schöner Münchner Klassizismus. Alles neu, lieber Herr Richter. Alles praktisch, aufgeräumt, gut – nicht so üppig und dunkel, wie sie's damals mochten. Unser Architekt, der Herr Gärtner, hat ganze Arbeit geleistet. Nein, ich zeige Ihnen nicht die Salons meiner Vorgängerin, der Kurfürstin Henriette, Sie fänden's auch nicht kommod.

Aber einen älteren Raum zeigt sie ihm dann doch, er hat darum gebeten. Das Schreibkabinett des Kurfürsten Carl Theodor ist doch etwas Besonderes. Da steht er: der Kurfürst, der nicht wusste, dass er, der „junge Dichter“ damals die Loge unter den Fingern hatte. Der Raum entstand, als der Roman gerade draußen war, er gefällt ihm nicht: er ist zu aufgeräumt – und wo sind die Bücher?

Ah, da sind sie ja – aber wie´s aussieht, versteckt sich auch hier keiner seiner Romane. Es wäre ein Witz, würde er hier die Loge finden – die ihn immer noch plagt.

Sind die Stühle schön? Er weiß es nicht – aber auch sie sind modern; der König ließ sie eigens für dieses Schloss anfertigen. Setzen Sie sich, Herr Richter. So gerät man wieder ins Plaudern, es ist fast zum Verzweifeln. Er wird später davon nichts erinnern, keinen Satz, der wert gewesen wäre, an die andere Karoline mitgeteilt zu werden.

Was zuletzt noch sein Herz erfreut – die Rippen schmerzen, aber was soll er machen? – ist der Garten. Ein paar Schritte nur, es regnet ja, aber er kann es sich vorstellen: wie das Schloss im Sommerglast leuchtet.

Nymphenburg leuchtete – immerhin in seiner Fantasie. Die Fantasie, er weiß das, ist nicht alles, aber wirklicher als Leute wie die Königin wissen, die nie einen seiner Romane gelesen haben – nicht einmal seine geniale, jugendlich ungestüme Loge.

Fotos: Frank Piontek, 3.7.2014

Verwandte Inhalte