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05.03.2014, 14:02 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [368]: Alle Krapfen vertilgt, eine Mitteltinte gewonnen

Heute ist Fastnacht – und Redoute – und die Larve und das Hungertuch[1] werden zusammen ausgehangen, und ich könnte mit Recht aufhören; inzwischen ist morgen Aschermittwoch...

Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf

 

Gestern war nun schon Fastnacht, und heute ist Aschermittwoch; gehen wir nach dem monströsen Krapfenvertilgungstag endlich wieder einmal in uns, statt in uns schmalzgebackene Teigteilchen hineinzustopfen. Lesen wir diesen Spruch des weisen Meister Johann:

Das Schönste an jedem Feiertag ist die Aussicht auf den zweiten; daher ist der letzte stets ein Aschermittwoch; daher durch die neue Abschaffung des dritten, der halb gehalten wird, eine Mitteltinte gewonnen ist.

Es ist bezeichnend, dass diese Sentenz aus den Gedanken – wie viele anderer seiner Gedanken – nur stets fragmentarisch, zudem auch falsch zitiert wird: als müsste man Jean Paul verbessern oder traute es den denkenden Lesern nicht zu, dass sie etwas mit der Aphorismuscoda anfangen könnten, die nach dem Semikolon folgt und erst den Sinn des Satzes macht,

Carl Spitzweg hat den traurigen Clown gemalt, der die Freuden der Faschingsdienstagnacht mit dem Leid des Aschermittwochtages büßen muss. Spitzweg verdanken wir übrigens auch das Porträt eines Vertreters jener Berufsgattung, die Jean Paul im Anhang zur Unsichtbaren Loge gewürdigt hat. 1839/40 hat er nämlich Das Schulmeisterlein auf dem Steg gemalt – und Willy Fleckhaus, der berühmte Suhrkamp- und Twen-Graphiker, hat das Motiv auf den Umschlag der Ausgabe der kleinen Erzählung gesetzt, die im Insel-Verlag erschien und immer noch lieferbar ist.[2]

In der Tat: Haben Spitzwegs und Jean Pauls Figuren nicht ungemein viel – gemein? Über diese Frage könnte man lange nachdenken. Ich weiß nicht, ob es heute noch jene Spitzweg-Interpreten gibt, die in seinen liebenswürdigen Gestalten ein bisschen mehr sehen als die freundlich karikaturistische Darstellung kleinbürgerlicher Behäbigkeit und charmant verschlafener Kleinstadt-Idyllik. Es dürften die 68er gewesen sein, die bei Spitzweg eine bitterböse, ja fast gehässige Kritik an der Deutschen Misere am Werk sahen – nicht die geheime Zuneigung, die der Maler in das milde Licht seiner humoristischen Genreszenen tauchte.

In diesem Sinne haben der Maler eines vorgeblichen „Biedermeier“ und der Porträtist problematischer Figuren innerhalb von problematischen gesellschaftlichen Zuständen viel gemein: vielleicht die Uneindeutigkeit ihrer Kritik, vielleicht das Changieren zwischen vorbehaltloser Liebe zum „Kleinen“ und mehr oder weniger scharfer Wendung gegen Figuren, die der Mensch Jean Paul insgeheim verachtete. Doch findet sich bei Spitzweg, wenn ich es richtig sehe, niemals die grelle Satire, die hellsichtig-böse Zeichnung mieser Figuren: der Fürst, der „Moralprofessor“ und der Rittmeister – sie erscheinen bei Spitzweg niemals in der annähernd kompromisslosen Radikalität des Dichters.

Anders sieht es aus mit den Figuren, denen die Liebe des Autors gehörte – eine Liebe, die gleichwohl nicht ohne das Stilmittel jener Ironie auskommt, die letzten Endes auf die Verzweiflung verweist, die der Wutz, der Quintus Fixlein und sogar der Schmelzle und all die anderen „kleinen“ Figuren permanent bekämpfen müssen, um nicht täglich im Kerker ihres innersten Aschermittwochs zu landen.

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[1] Ein mit biblischen Historien bemaltes Tuch, das die Papisten von Fastnacht bis zum Charfreitag aushingen.

[2] Übrigens versehen mit einem sehr, sehr guten, direkt zu Jean Paul hinführenden Nachwort des Schweizer Dichters und Denkers Peter Bichsel, der 1991 die unvergessliche Jean-Paul-Festrede in der Bayreuther Stadthalle hielt.

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