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02.03.2014, 14:41 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [365]: Dreiunddreißigster oder XXV. Trinitatis-Sektor

Große Aloe-Blüten der Liebe: oder das Grab

Es ist dies schon einer der wichtigsten Sätze des 33. Sektors:

In Gustav rückten die höchsten Lichter aus des Freundes Bild langsam in das der Geliebten über.

Mit ihm beginnt das Kapitel, mit ihm hebt die Übertragung von ihm – dem toten Freund, aber auch von Gustav – zu ihr – der Geliebten – an.

Jetzt trat erst ihr Gesicht, das am Totenbette ewige Strahlen in ihn geworfen hatte, aus dem Zypressen-Schatten vor.

Ich habe mich gefragt, was die Aloe, die lediglich – und kursiv – im Titel genannt wird, mit dem Kapitel selbst zu tun hat. Man kann ja nachschauen – und erhält folgende therapeutische Auskunft: „Das in der Aloe enthaltene Aloin wirkt stark abführend, weswegen standardisierte Aloe bzw. deren Zubereitungen zur kurzfristigen Behandlung gelegentlich auftretender Verstopfung verwendet werden kann.“ Gut – die Pflanze scheint also einen natürlichen Prozess zu befördern, in diesem Fall die aufkeimende Liebe Gustavs und Beatas, die durch die Anwesenheit Amandus' noch gebremst schien. Aber Vorsicht! „Bei längerer Einnahme von Aloe kann es zu Störungen im Wasser- und Elektrolythaushalt kommen, insbesondere zu Kaliumverlusten. Im Urin können Eiweiß und Blut auftreten. Bei Überdosierung kommt es zu Vergiftungserscheinungen, die sich in krampfartigen Schmerzen und schweren Durchfällen äußern, die zu lebensbedrohlichen Elektrolyt- und Wasserverlusten führen können. Auch Nierenentzündungen sind beschrieben.“

Dort, halb stehend und halb liegend (eine Position, die schon bezeichnend unklar ist), visioniert er sich an der Pyramide, also am Grab des geliebten Freundes, und in der unmittelbaren Nähe des Fensters, hinter dem Beata agiert, in einen Traum hinein, der sicher von der Liebe zur Geliebten, auch von der Erschöpfung der letzten Tage inspiriert ist. Es sind da viele Tränen geflossen, und wir wissen ja, wie labil der junge Mann ist. Jean Paul drückt das natürlich viel genauer aus: Müdigkeit und schlaflose Nächte hatten seine Tränen-Drüsen mit jenen drückenden und doch reizenden Tränen gefüllet, die oft ohne Anlaß und so bitter und so süß kurz vor Krankheiten oder nach Ermattungen ausströmen.

So gehen der Traum und das Leben, der Tod und die Liebe wieder einmal ineinander über: in einem Welt-Raum, der so groß ist wie Humboldts Kosmos, und in dem das Kleine – Beata nämlich – einen Platz einnimmt, der sie zum integralen, traumprovozierenden Teil eines halluzinatorischen Weltreichs macht. Gustav weiß schon, was er in eroticis an ihr hat: „Er sah nichts als bald das Licht, bald einen Kopf, der es verbauete; aber diesen Kopf schmückte er im seinigen schöner aus als irgendeine Frau den ihrigen.“

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