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11.02.2014, 17:35 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [346]: Verstörendes bei Jean Paul und anderswo

Bei genauerer Lektüre erweist sich das Hypertrophe von Jean Pauls Beerdigungsfantasien, die ins Nekrophile wie Masochistische hineinschillern. Gustav, heißt es da, „machte seine Brust jenem Schmerze auf, der nicht wohltätige blutende Wunden in sie schneidet, sondern ihr dumpfe Schläge gibt, jenem nämlich, der in dem Zwischenraum zwischen dem Todes- und dem Begräbnistage bei uns ist.“

Nun wird man einwenden, dass dumpfe Schläge weniger monströs anmuten als blutende Wunden, die ausdrücklich wohltätig sind – aber schon die Charakterisierung blutender, also schmerzender Wunden als gutartig reicht aus, um das Problematische, geradezu Unbürgerliche dieser Phantasien zu offenbaren. Der Blogger muss, dies lesend, plötzlich an einen unvergesslichen Film denken, den er vor bald 30 Jahren, vielleicht im guten alten Arsenal in der Fuggerstraße sah, als er gerade ins Kino kam: Der Rosenkönig von Werner Schroeter. Wenn es einen Film gibt, der „verstört“ (wie das verbrauchte Kritikerwort lautet), dann dieser. Zumindest war der jugendliche Zuschauer damals zutiefst verwirrt, ja fast angeekelt von jener Szene, die Dietrich Kuhlbrodt[1] so beschrieben hat:

Albert (Mostefa Djadjam), der Sohn der Rosenzüchterin Anna (Magdalena Montezuma), verfällt dem Veredlungs- und Liebeswahn. Dem schönen jungen Mann (Antonio Orlando) schlitzt er die Adern auf und pflanzt Zuchttriebe in den begehrten Leib. Eins wird ihm der nackte Körper mit dem wilden Rosenstock. Rot ist die Liebe, der Schmerz, die Rose und das Feuer, das die Zuchtfarm verzehrt. Und schwarz bemalt die Mutter ihr Gesicht.

Ich weiß nicht, wie ich heute auf diese Szene schauen würde: vermutlich distanzierter, vermutlich mit dem mehr oder weniger professionellen Sinn für jene décadence, die die Filme Werner Schroeters[2] ja auch auszeichnete.

Wie aber hätte Goethe Jean Pauls „wohltätige blutende Wunden“ beurteilt? Dass er das Romantische als „das Kranke“ bezeichnete, wird im Blick auf derartig dunkle, derartig lasziv schillernde Szenen nur allzu verständlich.

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[1] Bekannt für seine eigenständigen, sprachlich elegant wie gelegentlich polemisch formulierten Meinungen.

[2] Passend dazu eine Momentaufnahme: war es anlässlich der Filmfestspiele, auf denen im Februar 1980 Palermo oder Wolfsburg im Wettbewerb gezeigt wurde? Ich sehe Schroeter noch im Pelz und mit einer kleinen entourage in Höhe der Wohlthatschen Buchhandlung die Budapester Straße Richtung Zoopalast – wo damals noch der Wettbewerb lief – hinunterlaufen: sehr „dekadent“ (das dachte der jugendliche Filmfreak damals). Drei Jahre später inszenierte er an der später unrühmlich geschlossenen Freien Volksbühne „Shakespeares“ Comedy of errors – eine schöne Arbeit, die an Jean Pauls Doppelgängerthematik erinnerte.

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