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12.11.2012, 18:12 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [30]: Über ein zeitgenössisches Wiener Mausoleum (mit Musik)

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So trauerte man in Wien über ein großes militärisches Tier, als Jean Paul die ersten Sektoren seines Romans schrieb: das Laudonsche Mausoleum im Deymschen Wachsfigurenkabinett, eine Installation von Franz de Paula von Stržitež, dokumentiert in einem anonymen Kupferstich.

1791 schreibt Goethe, der im Vorjahr kurz in Bayreuth war, den Groß-Cophta, eine (leider) selten gespielte Tragikomödie über den Obskurantismus. Beethoven skizziert eine erste Symphonie und komponiert an seinem Ritterballett, einer Folge höfischer Tänze. Schiller schreibt, gemessen am dramatischen Werk, nichts Besonderes. Mozart stirbt, zuvor schreibt erLa clemenza di Tito, Die Zauberflöte und das Fragment des Requiem. Mit dem Tod hat es nicht nur Jean Pauls Herrnhutische Gesellschaft, auch Mozart zu tun: nicht allein im Fall der Messe. Eines seiner letzten Werke ist relativ bizarr; es passt zur Welt Jean Pauls, der, hätte er das Projekt gekannt (und vielleicht tat es der Vielbelesene), darüber seine Glossen geschrieben hätte.

1791 nämlich schrieb Mozart sein Allegro und Andante und Andante für eine Walze in eine kleine Orgel. Er schrieb dieses leicht seltsame Werkchen für das Mausoleum des Freiherren Ernst Gideon von Laudon, „welches in der Himmelpfortgasse Nr. 1355 in des Hn Baumeister Gerl Hause aufgestellet und täglich beleichtet zu sehen ist“. „Beleichtet – der Austriazismus hat einen tiefen Sinn, denn in der Wiener Himmelpfortgasse – was für ein herrlicher, wie von Jean Paul erfundener Name! - konnten die Besucher  etwa ab dem 21. März 1791, als der Dichter gerade über den ersten Sektoren seines Romans saß, ein ephemeres Mausoleum besuchen: eine Installation, wie man neudeutsch sagen würde. Die Musik Mozarts, die aus einem mechanischen Instrument tönte, machte aus diesem Objekt ein performatives. Franz de Paula von Stržitež betrieb unter dem wesentlich leichter aussprechbaren Namen „Joseph Müller“ eine Art Kunstgalerie, in der man den wächsernen Leichnam des großen Feldherren im gläsernen Sarkophag betrachten konnte – ein Lenin des späten 18. Jahrhunderts. Die Architektur dieses Grabmals war schwer symbolisch, sie wurde uns durch einen Kupferstich überliefert: unter einer Säulenarchitektur mit der Uhr, die den unaufhaltsamen Ablauf der Zeit markierte, und den Feldzeichen als bekrönende Elemente konnte man Gott Mars – in der Rüstung der Renaissance -, den Genius Österreichs (in Gestalt einer Frau) und die kleine Türkin sehen, die der Feldherr einst aus Belgrad als Pflegekind in seine Heimat gebracht hatte.

Der Tod ist ein Wesen des Lebens, Jean Paul wusste das natürlich; in seiner Schwarzenbacher Aufzeichnung über den „wichtigsten Abend meines Lebens“ hat er das Verhältnis zu ihm klar gemacht. Schreibt er über Tod und Auferstehung, so weiß er, worüber er spricht; schon ein Bruder stirbt in der Saale (hat er sich umgebracht? Wir wissen es nicht, wir waren nicht dabei). Das Wiener Mausoleum transzendiert diesen Tod in einer etwas anderen Weise, als der Dichter es mit der Geschichte von des kleinen Mannes „Sterben“ und „Auferstehung“ tut, aber die Angst, dass mit dem bloßen Verschwinden eines Menschen der Tod ins Leben getreten ist, haftet der letzten Episode ebenso grauenvoll an wie der hübsche Genius Österreichs sich untröstlich zeigt über das Abscheiden des Großen Mannes.

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