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07.11.2012, 17:58 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [27]: Über Naivität und Dogmatismus

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Der gute Genius, die schönhaarige Mutter, der bezopfte Vater, der lustige Pudel: ein Familienbild von Daniel Chodowiecki.

Wie das alles zusammenpasst: Jerusalem und Jeanpaul. Der fünfte Sektor trägt den lapidaren Titel: Auferstehung. Gab es auch längst schon b. C. göttliche Auferstehungen in den religiösen Mythologien der Völker, so wurde unsere diesbezügliche Vorstellung in Jerusalem geprägt – oder anders: in Jerusalem fand, nach legendarischer Tradition und Fantasie, jenes Ereignis statt, an dem sich bis heute der Vorschein der Hoffnung knüpft. Das 18. Jahrhundert hatte durchaus andere Ideen als das dritte oder vierte; Jean Paul, geprägt auch durch die Theologie seines Vaters, stellt sich vor, dass den, der dort drüben ankommt, seine Eltern empfangen. Er beschreibt diesen Übergang als einen schlechthin idyllischen – aber es ist bezeichnend, vielleicht noch ein Ausfluss seiner Skepsis, der er nicht lange zuvor kurz, aber heftig nachgegeben hatte; es ist bezeichnend, dass er im tiefen Glauben an diese Passage noch fähig ist, eine Frage zu stellen. „O Schicksal! Gibst du uns wieder, was wir niemals hier vergessen können?“

Jean Paul beantwortet diese Frage sofort – und eindeutig, aber es ist doch schön, dass er auch dem Schmerz und der Unsicherheit der Zurückgebliebenen eine Stimme gibt. „Das Schicksal steht stumm hinter der Larve; die menschliche Träne steht dunkel auf dem Grabe; die Sonne leuchtet nicht in die Träne.“ Er schreibt das so, als hätte er gerade Yad Vashem besucht – die Erinnerung an ein singuläres Ereignis bedenkend, von dem der reale Jean Paul nicht einmal in seinen ärgsten Albträumen etwas ahnen konnte. Eben deshalb vermag er die Hoffnung herbeizusehnen, dass „unser liebendes Herz nicht in der Unsterblichkeit stirbt“, auch nicht „vor dem Angesichte Gottes“.

Wo Gott ist, wenn es ungöttlich zugeht in der Menschenwelt, diese einfache Frage wurde immer wieder bedacht. In Yad Vashem hatte ich die Gelegenheit, im Lerncenter sechs Antworten verschiedenster Autoritäten einzuholen. Da ist viel Naivität und viel menschenfeindlicher Dogmatismus im Spiel; am ehrlichsten scheint mir immer noch der jüdische Historiker zu sein, der den deus absconditus, den verborgenen Gott verflucht. Gustav aber weiß von diesen Fragen, die das Leben zumindest dem „Gläubigen“ stellt, noch reinweg nichts. Ich bin gespannt, welche Zumutungen der Autor ihm aufbürden wird. Vorerst schaut Gustav ins Licht, er sieht ein wahres „himmlisches“ Erdenparadies, er ruft, als habe er dort unten, in der Grabesgruft, die Rede des toten Christus vernommen: „Gott steht dort“.

Die Zeichnung Daniel Chodowieckis zeigt allerdings nicht den wachen, sondern den schlafenden Knaben, der gerade auf eine Art Bank gebettet wird. Die Mutter umfasst ihn, der Vater schaut selig auf sein Kind. Schildert der Stecher hier nur eine der üblichen Aktionen, in denen Gustav ans Tageslicht gebracht wurde? Es scheint der Fall zu sein.

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