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04.08.2013, 12:56 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [218]: Das – typisch deutsche? – Leiden an den Zeitläuften

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„Weltschmerz“: das finstere Wort, ein Modewort des 19. Jahrhunderts wurde von – Jean Paul erfunden. „Nur sein Auge sah all die tausend Qualen der Menschen bei ihren Untergängen“, so heißt es in der SELINA. Schon Ottomar ist ein Protagonist dieses unheilbaren Schmerzes, hinter dem sich eine „ganz normale“ Depression verbergen mag. Die aber hat ihre handfesten politisch-gesellschaftlichen Ursachen.

Nun wird klar, wieso Ottomar depressiv geworden ist: weil er, wie Gustav, so sensibel ist, dass er die Zeit nicht zu ertragen vermag. Schwarz ist ihm das alles: der monarchische Unsinn, die aristokratische Gewalt, die Ausbeutung durch Dummheit und Unterdrückung der Seele. Andere schreiben Kampftraktate und organisieren sich Gewehre, Ottomar schreibt einen düsteren Brief. Dass der empfindende Mensch, der wirken will, ohnmächtig ist vor dem Geburtsadel: es bohrt in ihm, es macht ihn gleichzeitig böse gegen die da oben. Kann man es ihm verdenken?

Was verrichten denn vor dem fürstlichen Porträt über dem Präsidentenstuhl, oder gar vor einem verschnittenen regierenden Gesicht selbst, dein Scharfsinn, dein Herz, deine Schnellkraft? Die zurückgepreßten ineinander sich krümmenden Zweige drücken das Fenster des Winterhauses, der Regent lässet in der compotière ihre Frucht vor seinem Teller vorübergehen, der blaue Himmel fehlet ihnen, das Gescheiteste ist noch, dass sie verfaulen!

Ottomar ist wütend, denn auch er ist ein Idealist – ein Idealist der Verzweiflung, der die Kraft zur aktiven Revolte verloren hat. Warum denn reist er durch die Welt, die „verschattete Kugel“? Weil er es „zuhause“ nicht aushält. Allein in einem schwachen Moment gönnt er sich das verzweifelte Vergnügen, an die Revolution wenigstens zu denken:

Sooft ich so zusah, so wünscht' ich, ich würde gehenkt mit meinen Räubern, wär' aber vorher ihr Hauptmann und rennte mit ihnen die alte Verfassung nieder! […] ach wär' ich nur etwas gewesen, hätte meine Gehirnkugel und mein Herz nur, wie Luther, mit irgendeiner dauerhaften, weit wurzelnden Tat das Blut abverdient, das sie rötet und nährt.

Es ist dies vielleicht „typisch deutsch“: das Leiden an den Zeitläuften, der Rückzug von der Welt in der Welt, die Unfähigkeit zur Revolte – doch schon die Tatsache, dass Jean Paul dem schwarzen Kapitän eine deutliche Stimme verleiht und einen Möglichkeitssinn freilässt, macht den Roman zu einem Roman über die Revolution – und sei es eine unmögliche.

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