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29.07.2013, 18:11 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [212]: Einziger Streitberger Reiseanzeiger

„Vergiß vor Streitberg unsern Rosenhof und die Rosensonne nicht; sie blühen vielleicht dieses Jahr – und du kommst wohl morgen abends hin?“ – „Beides!“ sagt' ich; aber ich ging hinaus. Ich will nur in der Eile dem Leser berichten, dass ich – als ich einmal mit ihr auf jener Anhöhe die Sonne wie einen Apollo aus diesem Arkadien gehen sah, der unter der Trennung ein Gott wurde und glühend verschwand – auf meinem und ihrem Standort eine wachsende Spur zu lassen suchte, indem ich Zimtrosensamen so enge und rund und Samen von weißen Rosen so weit und zirkelförmig steckte, dass die Blumen des erstern einmal eine purpurne Sonnenscheibe und die weißen einen bleichen Kranz oder Hof um sie bilden konnten.

So sah der erfundene „Jean Paul“ der Palingenesien – beileibe kein Nachfolger des „Jean Pauls“ der 5 Jahre zuvor gedruckten Unsichtbaren Loge – den Ort mit der Streitburg; so sieht er heute von der Höhe der Neideck aus. Mit Jean Paul reisen heißt also, die Gegenden kennen zu lernen, die man vielleicht nie bemerkt hätte. Dies gilt für die geistigen wie für die physischen Welten. Der Zu-Fall des Jean-Paul-Jahres macht es, dass der Blogger im Auftrag des Herrn vom Kulturamt des Landkreises Forchheim unterwegs ist. Er hat das Vergnügen, zusammen mit einem Schauspieler und einer Musikerin auf der kleinen Bühne auf der beeindruckenden (auch beeindruckend erschlossenen) Burgruine Neideck den Herren Jean Paul vorzustellen. Rein literarisch geht´s hier natürlich und vor allem um jene Reiseerzählung, die Jean Paul 1798 schrieb, und der wir in Nürnberg schon einmal begegneten: es geht um die Palingenesien.

1798 saß Jean Paul noch in Leipzig; er erinnerte sich da vermutlich an die Landschaft, die er 15 Jahre zuvor, als er mit Christian Otto nach Neustadt an der Aisch reiste, gesehen hatte. In diese Landschaft, zwischen Nürnberg und Bayreuth gelegen, in den Tiefen der Fränkischen Schweiz, die 1793 von Wackenroder und Tieck erkundet worden war, setzte er eine Geschichte, die so typisch ist für Jean Paul, weil sie das Reale (die Landschaft), das Literarische (vielleicht die Adaption zeitgenössischer Reisetexte, auch Texte ökonomisch-wissenschaftlicher Art) und rein Fiktives derart verband, dass auch heute noch viele Menschen der Meinung sind, dass sich Jean Paul 1798 – also just zur Entstehungszeit des Leipziger Werks – mit einem Diener namens Stuß[1] auf die Fahrt machte und nach Streitberg kam, wo er sich an eine Szene erinnerte, die er zusammen mit seiner Geliebten und späteren Ehefrau Hermine erlebte.

Dieser Traum und das abgelösete Blech auf dem Tisch hielten mir das Entfliehen des Menschen und das häßliche Verschieben unserer Liebe so strafend vor, dass ich mich entschloß, heute die strengsten Reflexionen über mich – und darum eine kürzere Tagreise (nur bis Streitberg) – und um frei zu sein, mein satirisches Tagewerk der zweiten Auflage schon im Gasthofe zu machen.

Wie in der Unsichtbaren Loge zeigt sich Jean Paul als König der Vorreden. Wer in Streitberg logieren will, kann es auch heute noch – und er kann vom Ortsinneren aus einen Blick auf die Neideck erhaschen, von der aus man auf den Ort schauen kann, in dem, der Erfindung nach, Jean Paul sich an eine „romantische“ Szene mit einer fiktiven Geliebten erinnern wollte. Auch Natalie und Leibgeber spielen in den Palingenesien ihre Rollen, Bayreuth und Kuhschnappel, so erfunden sie auch sind, sind nicht weit – sich Gustav, den Genius, Amandus, den Herrn von Falkenberg oder Ernestine hier vorzustellen, fällt schon schwerer.

Es war gegen Abend – der Tag mit seinen Quellen des Scheines in Wassern und auf Auen versiegte allmählich – das Sonnenlicht rückte von den Gipfeln auf die Bergspitzen und ergoß sich schon halb in den bloßen durchsichtigen Himmel hinein – wir gingen den dunkeln Berg eiliger hinauf, um die tiefe Sonne noch auf der Küste des Streitberger Tales liegend anzutreffen. Als wir endlich die Aussicht erreichten und wir die himmlische Ebene mit Hügeln und Bäumen wie flatternde Zauberschlösser eines Feuerwerks in grünen und goldnen Strahlen brennen sahen – und als ein Windstrom von Morgen gleichsam die verglühende Sonne zu Wolkenflammen anblies – und als ich endlich mit zitterndem Herzen vor meine unzerstörte Rosenpflanzung kam und sie voll harter Knospen und weicher Dornen fand, und als in meiner Seele diese Eden-Ruine und Hermine und die Sonne als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit gleichem Lichte nebeneinandertraten: so kam mir das Leben, das für so viele ein tierischer dicker Mitternachtstraum, bei andern eine tappende Schlaftrunkenheit, bei wenigen ein tagender Morgentraum ist, plötzlich entziffert, entschieden, hell und leicht und wie eine dämmernde erfrischende blumige Sommer-Nachmitternacht vor, und alle Türen des zweiten lichten Morgen standen schon offen.

Den Tag darauf erreichte er das Bambergische. Sein Weg lief von einem Paradies durch das andere – Die Ebene schien aus musivisch aneinander gerückten Gärten zu bestehen – Die Berge schienen sich gleichsam tiefer auf die Erde niederzulegen, damit der Mensch leichter ihre Rücken und Höcker besteige – Die Laubholz-Waldungen waren wie Kränze bei einem Jubelfest der Natur umhergeworfen, und die einsinkende Sonne glimmte oft hinter der durchbrochnen Arbeit eines Laubgeländers auf einem verlängerten Hügel wie ein Purpurapfel in einer durchbrochnen Fruchtschale. – In der einen Vertiefung wünschte man den Mittagschlaf zu genießen, in einer andern das Frühstück, an jenem Bache den Mond, wenn er im Zenith stand, hinter diesen Bäumen ihn, wenn er erst aufging, unten an jener Anhöhe vor Streitberg die Sonne, wenn sie in ein grünes Gitterbette von Bäumen steigt.

Da er den Tag darauf schon mittags nach Streitberg kam, wo man alle jene genannte Dinge auf einmal erleben wollte: so hätt' er recht gut – er mußte denn kein so flinker Fußgänger sein als sein Lebenbeschreiber – noch gegen Abend die Baireuther Turmknöpfe das Rot der Abend-Aurora auflegen sehn können; aber er wollte nicht, er sagte zu sich: „Ich wäre dumm, wenn ich so hundmüde und ausgetrocknet die erste Stunde der schönsten Wiedererkennung anfinge und so mich und ihn (Leibgebern) um allen Schlaf und am Ende um das halbe Vergnügen (denn wie viel könnten wir heute noch reden?) brächte. Nein, lieber morgen früh um 6 Uhr, damit wir doch einen ganzen langen Tag zu unserem Tausendjährigen Reiche vor uns haben.“

Es ist kein Zufall, dass sich Jean Paul in den Palingenesien an den Siebenkäs erinnert und seine Figuren wieder aufmarschieren ließ, hatte er sich doch schon im Siebenkäs an Streitberg erinnert. Auch diese Gegend, die Landschaft um Streitberg herum, ist ein stilles Land, eine Variation von Jean Pauls Urheimat, eine Art Idyll – bevor die Helden nach Nürnberg oder Bayreuth kommen, den geschäftigen Kleinstädten mit ihren geschäftigen Bürgern.

Das stille Land gebiert auch Träume. Im Fall der Palingenesien ist es ein Traum Hermines – ein typischer jenapaulscher Traum, gewirkt aus Jenseitsgestalten, Blumen, Ängsten und Hoffnungen und ein reich instrumentierten Sprachorchester – der für die Metaphysik sorgt:

Auf dem Berge stand ich in einem Zirkel hoher weißer Rosen mit weißen Dornen, über welche ich nicht hinauskommen konnte: die roten waren umgetreten und einige Dornen blutig gefleckt. Hinter mir in Morgen hört' ich ein Gewitter und Wetterläuten in einem fort, und bald wurde ein roter Blitz vor meine Füße geworfen, bald ein langer Schatten; aber ich durfte mich nicht umschauen. 'Ist es denn hier nicht mehr wie sonst?' fragt' ich. Auf einmal sah' ich, dass das Tal froher und heller war: eine Ebene voll Papillonsblumen bewegte sich wie eine Ernte, und unter dem Aufblättern wurde ein leuchtender gestirnter Fußboden entblößet. Auf dem Hügel daneben stand eine weißverschleierte Gestalt, die eine große Passionsblume abbrach und damit gegen das Tal herniederging. Je näher sie herunterkam, desto heftiger fing das wankende Blumengewimmel zu wallen an. Ich schmachtete wie mit einem zerflossenen Herzen nach der verhüllten Gestalt, die ich für eine weißtrauernde Fürstin hielt: ich streckte inbrünstig die Hände nach ihr aus, und sie winkte mit der Blume...

Die Rosen, denen der Dichter mit dem „Rosenhof“ ein poetisches Denkmal setzte, das ganz aus seinem Geiste war, spielen auch heute noch in Streitberg eine Rolle: am sogenannten Liselottebrunnen. Ich finde ihn gegenüber der „Pilgerstube“, vor kurzem hat man ihn, der 1929 vom Kurhausbrenner Hans Hertlein gestiftet wurde, mit einer Tafel versehen, die auf die romantische Erzählung hinweist. Seit 1929 hatte Streitberg also tatsächlich einen „Rosenhof“, denn Hertlein hat damals eine Rosenpflanzung am Brunnen vorgenommen. Weiß und rot – statt Zitronensamen säte er weiße Rosen, daneben wuchsen – natürlich – rote Rosen. Heute kann man von dieser Anlage nur noch den Brunnen sehen, der nicht nach Hermine, sondern nach der Tochter des Stifters benannt wurde.

Früher säte man Rosen, heute hängt man Schlösser an Brücken, auch an Burgruinen. Oben auf der Neideck, der der durch Franken[2] reisende, auch in Streitberg quartierende Dichter Victor von Scheffel ein kleines literarisches Denkmal setzte, kann man noch heute sehen, was Liebe bedeutet.

Keine Angst, liebe Leserinnen: der Frrrank ist natürlich nicht identisch mit dem Blogger.

Fotos: Frank Piontek, 27.7. 2013

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[1] Überflüssig, darauf hinzuweisen: auch in diesem Namensfall war Jean Paul sehr erfinderisch. Nomen est omen, wie der Lateiner sagt.

[2] Bekannt blieb sein Gedicht, das er auch auf Staffelstein (bei Banz) gedichtet hatte: „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein“:

Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
wer lange sitzt, muß rosten!
Den allerschönsten Sonnenschein
läßt uns der Himmel kosten.
Drum reich mir Stab und Ordenskleid
der fahrenden Scholaren,
ich will zur schönen Sommerzeit
ins Land der Franken fahren.
Valleri, vallera, valleri, vallera,
ins Land der Franken fahren.

Und hier die berühmten Verse, die er schreiben konnte, nachdem er die Landschaft erfahren hatte:

Zum heiligen Veit von Staffelstein
komm´ ich emporgestiegen
und seh die Lande um den Main
zu meinen Füßen liegen:
Von Bamberg bis zum Grabfeldgau
umrahmen Berg und Hügel
die breite, stromdurchglänzte Au,
ich wollt, mir wüchsen Flügel!

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