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14.04.2013, 11:37 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [128]: 15 Menschenköpfe und 15 Roßköpfe zwischen einem Artillerietrain von Hunden

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So müssen wir uns (neben dem Zaren) den „adeligen Bojar“ vorstellen, mit dem Jean Paul den Rittmeister vergleicht.

Es ist rein ergötzlich: wenn der Rittmeister beschließt, jemanden zu beglücken – wie Röper. Im Übrigen ist er, man muss das betonen, nicht böse. Der Erzähler zeigt nur einen Charakter, der etwas zu kindisch veranlagt ist, um als feiner Charakter durchzugehen, aber es gibt doch Gründe, warum er mit Fenk befreundet ist. NB:

Man schätzet Menschen von einer gewissen zu großen Feinheit erst dann am meisten, wenn man von ihnen weg ist unter Menschen von einer gewissen Grobheit.

Ita est. Wir freuen uns durchaus mit, wenn Röper von diesen Leuten ein wenig geärgert wird, vom bureau d'esprit[1] Falkenbergs und seines wilden Anhangs. Und so reitet die kleine Horde nach Maußenbach, vor dem (und vor dessen vollzählig angetretenem „Miniatur-Ministerium“) der Rittmeister wie ein „adeliger Bojar“ steht.

Ah, die Bojaren! Da kommen wieder Erinnerungen hoch, ein Assoziationsgewitter beginnt, Eisensteins Iwan der Schreckliche reicht Mussorgskijs Boris Godunow die Hand, die Bojaren werden bekämpft und intrigieren gegen die Zaren – es ist ein ewiges Machtspiel. Wie reagiert nun Röper auf den Überfall? Offensichtlich mit Humor, obwohl er erschrickt. Jean Paul liebt die Übertreibungen, er sagt, dass in diesem „aufgehellten Jahrhundert“ keiner so erschrak wie der Kommerzienagent: nicht einmal die Jesuiten, die Aristokraten und Voltaire seien so erschrocken. Der Kommentar muss den Witz des Ähnlichkeitsvergleichs klären: er verweist auf den Umstand, dass alle drei ein- oder mehrmals verboten und vertrieben wurden. Röper gerät in gelinde Panik, „da er 15 Menschenköpfe und 15 Roßköpfe zwischen einem Artillerietrain von Hunden oben über den Berg hinunterziehen sah, die sämtlich in seinem Schlosse nichts zu suchen, aber zu finden genug“. Am liebsten würde er fliehen, aber über die Wiese geht’s nicht, und so macht er denn gute Miene zum bösen Spiel, denn ein fröhlicher Mensch, und wär es ein Geiziger, will Fröhliche machen“. Und so erschrickt er zwar, aber er „resigniert“ denn auch. „Er blieb im Geben heute, weil er einmal im Geben war.“ Das ist durchaus erstaunlich. Jean Paul misst dem seltsamen Menschen denn doch jene Menschlichkeit zu, die über den rein satirischen, den eindeutigen Charakter hinauszugehen scheint.

So hätten wir denn auf ungefähr anderthalb Seiten: einige kluge Lebensweisheiten, ein Dutzend witzige Vergleiche, eine zeithistorische Anspielung, eine deutliche, geradezu verfilmbare Szene. Für einen Autor, der immer noch als unlesbar gilt, ist das gar nicht so wenig (um es zurückhaltend auszudrücken).

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[1] Der Begriff gefällt Jean Paul so gut, dass er ihn gleich zweimal in wenigen Zeilen verwendet.

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