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28.09.2012, 20:35 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [4]: Über Sonnenlicht und lebendige Romane

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Aha, ein Lehrroman oder Diesen Kupferstich erblickte der zeitgenössische Leser der „Unsichtbaren Loge“ auf der rechten Seite des Titels, als er das Buch aufschlug.

Gestern hielt ich sie in der Hand: eine Originalausgabe des Erstdrucks des ersten Bandes, ein dickes, kleinformatigeres Buch, das ich vorsichtig aufschlage. Gedruckt im Jahre 1793 bei Karl Matzdorff in Berlin[1], zeigt die Titelseite, im Rund eines Tondos, einen halb antikisch gewandeten, mit einem wallenden Mantel gekleideten, dozierenden Lehrer vor einem nackten Epheben, der, den Arm lässig an die Hüfte geknickt, an einer abgebrochenen Säule steht. Aha, ein Lehrroman. Links sehe ich das Titelkupfer, gestochen von keinem Geringeren als Daniel Chodowiecki, ich werde die Szene des Übergangs in die Lichtwelt lesen. Jean Paul schrieb in seiner Vorrede zur zweiten Auflage, dass erst das Sonnenlicht einen lebendigen Roman gelingen lasse. Mal sehen, was die Dunkelheit dem Helden bringen wird.


[1] Seltsam: vor über 35 Jahren las ich ein Buch von Karl Matzdorff: Berlin-Wedding mit viel Herz, die Erinnerungen eines Kassenarztes. 1936 war das Buch zum ersten Mal unter dem Titel Berlin-Wedding nicht kleinzukriegen erschienen, etwa 1977 hielt ich den schönen, schmalen Band aus dem guten Arani-Verlag (sel.) in Händen. Berliner Humorliteratur, das waren so Prägungen, die sich den „klassischen“ Erlebnissen an die Seite stellten und der Wahllosigkeit nicht entbehrten – was dem späteren Verfasser schlussendlich, glaube ich, nicht geschadet hat. Jean Paul wird ähnlich empfunden haben, als er sich durch die Bibliotheken wühlte und fraß, was gerade schmeckte.

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