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24.09.2012, 14:25 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [1]: Über Anfänge und unvollendete Weltgeschichten

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Cover der Erstausgabe der "Unsichtbaren Loge"

Am 12. März 1791, es ist Sonnabend, schreibt er an seinen Herzensfreund Christian Otto: „Ich wil dich mit keinem langen Vorbericht vol Salutarklauseln quälen. Ich habe blos so viel Seiten geschrieben bis ich den Schulmeister tod hatte – iezt kan ich das Uebrige bequemer wenn ich wil nachholen. Ich will mich an etwas Schwierigeres oder wenigstens mit mehr Anstrengung machen – man verdirbt sich, wenn man 2, 3 mal zur Lust nachlässig wegschreibet und man wils immerfort nachher; so wie einen Gesellschaften, die einem Anstrengung ersparen und schenken, am Ende zu ihr untauglich machen.“

Er: das ist der 28jährige Jean Paul, der als Pädagoge einer „Winkelschule“ in Schwarzenbach an der Saale, in Hölzels Palais saß, eine kleine Handvoll Kinder unterrichtete und nebenbei seinen ersten Roman schrieb, der nach dem vernichteten Jugendroman Abaelard und Heloise erhalten blieb. Den Wutz, der später als Anhang des Romans publiziert werden sollte, hatte er bereits geschrieben, nun rüstete er sich, ein Monstrum in Angriff zu nehmen, das er, letzten Endes, nicht bezwingen sollte – geht man allein vom äußerlichen Umstand aus, dass der Roman Fragment blieb. Außerdem gilt er als rätselhaft, insofern einige Handlungsknoten nicht gelöst wurden und nach wie vor der Aufklärung harren. Am Ende seines Lebens hat Jean Paul sich, nur ein paar Tage vor seinem Tod, nun in Bayreuth in der Friedrichstraße sitzend, davon Rechenschaft gegeben: Habe er in der 1821 geschriebenen Vorrede noch versprochen, den fehlenden Rest nachzuliefern, müsse er jetzt, in der „Entschuldigung bei den Lesern der sämtlichen Werke in Beziehung auf die unsichtbare Loge“, bekennen, dass das Buch doch eine „geborene Ruine“ bleibe. Viel zitiert wurden die Sätze: „Vor dreissig Jahren hätte ich das Ende mit allem Feuer des Anfangs geben können, aber das Alter kann nicht ausbauen, nur ausflicken, was die kühne Jugend aufgeführt.“ Da hat er Recht behalten: was einmal empfunden, kann durch den langen Lauf der Zeiten nicht derart fortgeschrieben werden, als hätte es nie ein Dazwischen gegeben. Gilt diese Sentenz nur für Kunstwerke?

Allein das Fragmentarische hatte für Jean Paul seinen objektiven Sinn, den er im Glauben an ein anderes, jenseitiges Leben aufgehoben fand. Es mag ihm ein Trost gewesen sein, dieses Bruchstückhafte des Lebens, das durch eine Unterbrechung endet. Eine imaginäre Fortsetzung der „Unsichtbaren Loge“ zu schreiben: es wäre vielleicht einem Jean Paul eingefallen, der „hinter seinem Grabe“ fort- und fortschreibt: so unerlöst und rastlos, wie er es zeitlebens tat.

Seltsam: gestern las ich, im „Neuen Shake-Speare Journal“, Neue Folge Band 2, einen Auszug aus Carl Christian Brys, also Carl Deckes „Verkappte Religionen“. Decke stellte 1924 eine Reihe von esoterischen, hinterwelterischen Moden zusammen, die den Sinn hinter – nicht jenseits – der Welt zu entdecken suchen. In diesem Sinn war Jean Paul, den wir uns – trotz der „Rede des toten Christus“ – als einen sehr gläubigen Menschen vorstellen müssen, kein Anhänger einer „verkappten“ Religion – aber es ist interessant, schon durch die Lektüre einer kurzen „Entschuldigung“ auf gänzlich unbanale Denkbilder zu stoßen: „so tröste man sich damit, dass der Mensch rund herum in seiner Gegenwart nichts sieht als Knoten, – und erst hinter seinem Grabe liegen die Auflösungen; – und die ganze Weltgeschichte ist ihm ein unvollendeter Roman“. Denkbilder, das heißt: Wir müssen Jean Paul nicht unbedingt trauen – aber können mit ihm mitdenken. Die „Knoten“ und die unvollendete Weltgeschichte: zumindest hier dürfte der nicht ganz empfindungslose Leser ihm zustimmen.

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