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19.01.2013, 11:38 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [73]: Um- und Abwege beim Schreiben und Werben

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So warb man im 18. Jahrhundert die Rekruten: mit Gewalt. Eine Illustration aus Hanns Friedrich von Flemmings „Der vollkommene teutsche Soldat“ (1726).

„O wenn du bei mir bist, Trauter, wie will ich dich schonen und lieben!“ Derart euphorisch ist die imaginäre Anrede des Erzählers an „seinen“ Gustav. Die Emphase erklärt vielleicht auch die Funktion des ersten Absatzes des 14. Sektors, der mir zunächst seltsam separat das Kapitel zu beginnen scheint. Da ist nämlich kurz und knapp die Rede von den Rekruten, die der Rittmeister anwirbt und die ihm entwischen, weil der Truppentransport im Maußenbacher Wald überfallen wird, wonach alles fort und weg ist: Mann und Maus, Soldaten und Geld. Sofort geht es über zur Charakterisierung des sanften, introvertierten Gustav und zur Beschreibung des Vermieters Hoppediezel. Kontraste sind hier alles: zwischen der rohen Rekrutierungswelt (und der satirischen Flucht der Geworbenen), der kindlichen Menschlichkeit Gustavs und der Unmenschlichkeit des Professors – doch halt: Verachten tut er nicht, denn „zum Unglück hatte Hoppediezel nie Achtung für irgendeinen Menschen (mithin Verachtung auch nicht); er borgte alles, besudelte alles, kompromittierte jeden, verzieh jedem und zuerst sich.“ Deutlicher kann man die Gegenposition zu Gustav nicht ausdrücken, deutlicher auch nicht Gustavs Innerlichkeit gegenüber der Äußerlichkeit des Rekrutenwerbens und den Folgen, die ein Rittmeister auf sich nehmen muss, „der für sich und seine Familie nicht die nützlichste Ungerechtigkeit beging, zuweilen auf dem Werbplatz eine kleine verstattete“. Wie es beim Rekrutieren zuging, weiß man: brutal. Eine „verstattete“ Ungerechtigkeit bleibt eine ungerechte, was im Sinne Jean Pauls nur heißen kann: eine unverzeihliche.

Der Roman sei formal wirr, lese ich sinngemäß in der neuen, gerade erschienenen Jean-Paul-Biographie Helmut Pfotenhauers. Formal mag die Anmerkung richtig sein; ich werde am Ende der Lektüre sagen können, ob sie unterm Strich zutrifft – aber wer den Leser mit derartigen Urteilen verschreckt, hindert ihn vielleicht daran, das Schönste zu entdecken: den Traum und den Realismus. Soviel ist allerdings richtig: Würde man alles wegstreichen, was nicht unmittelbare Handlung ist, hätten wir es vermutlich mit einer Kurzgeschichte zu tun – einer nicht sonderlich spannenden Kurzgeschichte.

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